Bei etlichen HIV-positiven Menschen in Ghana piepst jeden Morgen das Mobiltelefon: „Guten Morgen! Wir hoffen, dass es Ihnen gut geht. Bitte denken Sie daran, Ihr Medikament wie vom Arzt verordnet einzunehmen, damit Sie gesund bleiben.“ Die SMS kommt vom Team der nichtstaatlichen Organisation (NGO) FHI 360. Der „LifeLine“ genannte Service ist Teil eines telefonischen Gesundheitsprojekts, das Menschen, die in besonderem Maße dem Risiko einer HIV-Infektion ausgesetzt sind, mit Informationen versorgt.
Ursprünglich richtete sich der 2008 gestartete Telefondienst „Text Me! Flash Me! Helpline“ nur an Männer, die Sex mit Männern haben, und ist damit eine der wenigen Initiativen in Ghana für Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern. Inzwischen wurde der Service auf Sexarbeiterinnen und HIV-positive Menschen ausgeweitet. Mit dem Projekt sollen die Zielgruppen besser mit Informationen zur HIV-Vorbeugung und mit HIV-bezogenen Gesundheitsdienstleistungen versorgt werden. Die Kommunikation über den Mobilfunk erscheint als sinnvoller Weg: Laut dem Marktforschungsinstitut Gallup besaßen 2010 zwei Drittel der Erwachsenen ein Mobiltelefon. Die Geräte sind in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen verbreitet.
Autorin
Griet Newiger-Addy
ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freie Autorin und Consultant in Accra.Die Telefonnummern des mobilen Service werden mit Hilfe von Faltblättern gezielt bekannt gemacht. Zu Beginn wurde auch mit der Vergabe freier Telefoneinheiten um Anrufer geworben. Ratsuchende rufen, texten oder „flashen“ eine der Mobilfunknummern an und werden dann von Gesundheitsexperten zurückgerufen. Beim „flashen“ bricht man den Anruf ab, bevor er vom Gesprächspartner angenommen wird. Der sieht die Handynummer auf seinem Display und meldet sich dann. Damit bleibt das Gespräch für den Anrufer kostenlos. Nutzer der Telefonhotline können auch verschiedene Nummerncodes eingeben, um automatisch generierte Textnachrichten zu einer Reihe von HIV-relevanten Themen zu erhalten.
Entscheidend für den Erfolg des Projektes ist die Anonymität der Ratsuchenden. „Mit den Mobiltelefonen erreichen wir Menschen, zu denen wir auf andere Weise keinen Zugang hätten“, sagt Projektleiterin Nana Fosua Clement. Kommerzieller Sex und Geschlechtsverkehr zwischen Männern sind in Ghana illegal. Homosexuelle, Sexarbeiterinnen und HIV-positive Menschen werden weithin stigmatisiert. Zugleich bemüht sich die Aids-Kommission der ghanaischen Regierung inzwischen gezielt darum, genau diese Menschen zu erreichen, um die nationale HIV-Infektionsrate, die bei 1,5 Prozent liegt, noch weiter zu verringern.
Die Mobilfunk-Helpline, die von der US-amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID finanziert wird, ist Teil des ghanaischen Projektes SHARPER (Strengthening HIV/AIDS Response Partnerships with Evidence-based Results), das bei der Umsetzung mit dem Aids-Kontrollprogramm der ghanaischen Regierung zusammen arbeitet. Derzeit werden die Anrufe von zwanzig HIV-Beraterinnen und Beratern entgegengenommen. Die meisten sind im Gesundheitswesen im Großraum der Hauptstadt Accra tätig. Zu ihnen zählt Schwester Matilda, die als Krankenschwester bei einem kommunalen Gesundheitsdienst arbeitet. „Die Inhalte der Anrufe sind sehr unterschiedlich und kommen aus ganz Ghana. Vertraulichkeit ist das Wichtigste bei unserer Arbeit“, sagt sie.
Manche Anrufer benötigen eine medizinische Auskunft, andere haben finanzielle Probleme oder rufen gemeinsam mit ihrem Partner oder einem Familienmitglied an, um zu besprechen, wie sie mit ihrer HIV-Infektion umgehen können. Es gibt auch Leute, die sich regelmäßig bei Schwester Matilda melden, manchmal nur, um zu erzählen, was am Tag so los war. Die Nummern der Anrufer speichert sie grundsätzlich nicht auf ihrem Telefon. Zurzeit spricht sie mit fünf bis zehn Ratsuchenden pro Woche. Die vermittelt sie auch an Gesundheitsdienste vor Ort, „von denen wir wissen, dass sie unsere Klienten angemessen versorgen“, betont Schwester Matilda. Denn nicht selten werden homosexuelle Männer von Krankenschwestern oder Ärzten abgewiesen, sobald sie ihre sexuelle Orientierung offenbaren.
Die „Text Me! Flash Me! Helpline“ kooperiert mit 33 NGOs und Gesundheitseinrichtungen in ganz Ghana, die in der HIV-Prävention arbeiten und deren Mitarbeitende für den Umgang mit der Zielgruppe geschult sind. Seit dem Start des Projektes hat sich die Zahl der Patienten, die Gesundheitsdienstleistungen im Bereich HIV und anderer sexuell übertragbarer Infektionen in Anspruch nehmen, in den beteiligten Kliniken deutlich erhöht. Zu den Kooperationspartnern zählt auch die „Maritime Life Precious Foundation”, die in Takoradi, einer der größten Küstenstädte Ghanas, eine offene Beratungsstelle für homosexuelle Männer, betreibt.
Über sie bietet die Organisation FHI 360 auch Videos an, die von einem Handy auf ein anderes überspielt werden können. Sie berichten etwa über die Erfahrungen von Männern in anderen afrikanischen Ländern oder zeigen US-amerikanische Superstars, die den Zuschauer ermutigen, einen HIV-Test zu machen. Künftig will FHI 360 die Nutzung sozialer Medien etwa auf Facebook erweitern, um noch mehr Menschen anzusprechen. Die „Text Me! Flash Me! Helpline“ schafft mit modernen Kommunikationsmitteln einen geschützten öffentlichen Raum für von Diskriminierung bedrohte Gruppen und versorgt sie mit lebenswichtigen Informationen, ohne sie zu gefährden.
An eine ganz andere Zielgruppe richtet sich die Initiative „Mobile Technology for Community Health” (MOTECH), die von der Bill & Melinda Gates Stiftung finanziert wird. In dem gemeinsam von der Grameen Foundation und dem ghanaischen Gesundheitsdienst organisierten Pilotprojekt werden Handys bei der Schwangerschaftsvorsorge sowie bei der Betreuung von Müttern und Neugeborenen in zwei ländlichen Distrikten Ghanas eingesetzt. Der Dienst „Mobile Hebammen“ verschickt per Handy wöchentliche Nachrichten an Schwangere und ihre Familien zu den Themen Schwangerschaft, Vorsorge und Geburt. Zudem erhalten Mütter im ersten Lebensjahr der Neugeborenen Informationen über Säuglingsbetreuung und Impfungen. Krankenschwestern bekommen Mobiltelefone mit einer Software, die die Datenverwaltung der Gesundheitsleistungen erleichtert.
Außerdem informiert der Telefonservice Krankenschwestern sowie Schwangere und Mütter automatisch darüber, welche Schwangeren und Neugeborenen zu welchem Zeitpunkt Vorsorge- und Impftermine wahrnehmen sollten. Beide Dienste sind miteinander verknüpft. Wenn eine Schwangere oder Mutter einen Termin versäumt, erhalten die Frauen und Krankenschwestern eine Nachricht zur Erinnerung. „Mit MOTECH können wir viele Frauen in weit entfernten ländlichen Gebieten mit Informationen versorgen, die sie auf anderem Wege nicht bekämen“, sagt die Direktorin der Grameen Foundation in Ghana, Jacqui Moller Larsen.
Von dem Projekt sollen vor allem arme Familien profitieren. Deshalb versuchen die Initiatoren, den Frauen den Zugang zu den Informationen so leicht wie möglich zu machen. So werden die Nachrichten nicht nur in Textform, sondern auch als Sprachnachricht in der einheimische Sprache der jeweiligen Region verschickt. Die Stimmen der Sprecherinnen wurden getestet, um die Nachrichten möglichst glaubwürdig und verständlich zu machen. Die Inhalte wurden in enger Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des ghanaischen Gesundheitssystems entwickelt, um auf spezifische kulturelle Verhaltensweisen, wie zum Beispiel lokale Essgewohnheiten, eingehen zu können. Einige Nachrichten richten sich direkt an die Ehemänner, um ihre Unterstützung zu sichern. Frauen, die kein eigenes Handy besitzen, können bei der Registrierung eine andere Telefonnummer angeben und bekommen eine spezielle Nummer, mit der sie Zugang zu ihren Nachrichten erhalten.
Interviews der Grameen Foundation mit teilnehmenden Frauen belegen erste Erfolge: Schwangere gehen öfter zur Vorsorge und zur Entbindung in die kommunale Klinik. Sie folgen den Ernährungsratschlägen und bereiten sich besser auf die Geburt vor.
Dank der Anwendungssoftware sparen Krankenschwestern mehrere Tage bei der Zusammenstellung ihrer Berichte und haben einen besseren Überblick über die Termine ihrer Patienten.Das Pilotprojekt läuft seit Mitte 2010 und hat seither ungefähr 18.000 Schwangere und Kinder unter fünf Jahren erreicht.
Nun soll es mit finanzieller Hilfe der internationalen Initiative „Saving Lives at Birth: A Grand Challenge for Development“ auf drei weitere Distrikte in Ghana ausgeweitet und auf seine Wirkungen genauer untersucht werden. Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass die Mobilfunkanbieter in Ghana nicht alle Regionen flächendeckend versorgen. Es kommt immer wieder zu Netzausfällen und die Handys haben dann keinen Empfang. Auch die Unterfinanzierung des ghanaischen Gesundheitswesens bereitet Probleme.
„Es nicht einfach, eine neue Technologie in ein bestehendes System zu integrieren“, sagt Jacqui Moller Larsen von der Grameen Foundation. So kann es passieren, dass eine Mutter per Telefon aufgefordert wird, zu dem von der modernen Software errechneten Impftermin ihres Säuglings in die Klinik zu kommen, nur um bei ihrer Ankunft festzustellen, dass die Impfung doch nicht stattfinden kann. Denn geimpft wird in vielen ländlichen Kliniken nur an einem Tag – dann, wenn Impfstoffe frisch eintreffen. Einen Kühlschrank, um die Impfstoffe aufzubewahren und später zu nutzen, können sich diese Krankenhäuser nicht leisten.
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