Wohlstand nur für wenige

Sudans Wirtschaft wächst schnell, doch davon profitiert nur eine kleine Elite

In Khartum werden Wolkenkratzer, Straßen und ein Flughafen gebaut. Die Hauptstadt des Sudan boomt, und die Wirtschaft des Landes wächst beachtlich dank der steigenden Öleinnahmen. Doch jenseits des Zentrums herrscht weiter bittere Armut und es gibt weder Strom noch sauberes Wasser. Die Bevölkerung hat nichts vom Ölreichtum.
Wo sich in Khartum der Blaue und der Weiße Nil treffen, ragen futuristisch anmutende Bürotürme mit prachtvollen Glasfassaden in den Himmel. Unten an den Ufern des Flusses verlaufen großzügig angelegte Promenaden, gesäumt von Ladengalerien. Richtung Süden am Weißen Nil erstrecken sich ein Golfplatz und eine vornehme Wohnstadt mit Bungalows für die gehobene Mittel- sowie die Khartumer Oberschicht.

Noch ist das alles keine Wirklichkeit, sondern existiert lediglich auf den am Computer erzeugten Bildern des sudanesischen Bauunternehmens Alsunut, das den neuen Glitzerstadtteil im Auftrag der Regierung bis 2015 aus  dem Boden stampfen soll. Der Sudan des 21. Jahrhunderts hat mehr mit Dubai zu tun als mit dem Kriegselend in Darfur, suggerieren die Bilder. Tatsächlich boomt die sudanesische Hauptstadt heute schon kräftig. Es wird überall gebaut, es gibt schicke Straßencafés und Restaurants und die Straßen füllen sich täglich mehr mit koreanischen Billigautos und europäischen Luxuslimousinen. Drei neue Brücken hat die Regierung in den vergangenen Jahren über den Nil gebaut, derzeit entstehen sowohl eine neue Ringstraße um die Metropole als auch ein neuer Flughafen.

Autor

Manfred Öhm

ist Politikwissenschaftler und hat mehrere Jahre im Sudan gearbeitet. Seit 2008 ist er Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mosambik.

Möglich gemacht haben all das nicht zuletzt die enorm gestiegenen Öleinnahmen. Im vergangenen Jahr hat das Land für mehr als 8 Milliarden US-Dollar Öl exportiert, das entspricht rund 93 Prozent des gesamten Exportvolumens des Landes. Der Staatshaushalt hat sich seit 2004 auf umgerechnet 11 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt. Allerdings ist im selben Zeitraum auch die Verschuldung des Sudan deutlich gestiegen. Anfang dieses Jahres hatte das Land mehr als 27  Milliarden US-Dollar Auslandsschulden; allein 2007 hat die Regierung 750 Millionen Dollar neue Schulden aufgenommen. Die hohe Neuverschuldung, die anhaltende Inflation (Ende 2007 rund 12 Prozent) und der steigende Import von Grundnahrungsmitteln und Luxusgütern bergen in den Augen der internationalen Finanzinstitutionen eine unmittelbare Bedrohung der wirtschaftlichen Stabilität des Landes. 2007 war die Regierung in einigen Monaten aufgrund von Geldknappheit  nicht einmal im Stande, die Gehälter der Staatsbediensteten zu zahlen.

Die Haushaltszahlen der Regierung sind nicht sehr transparent, aber sudanesische Experten schätzen, dass nicht zuletzt wegen des Krieges in Darfur über 60 Prozent des Staatshaushaltes in den Sicherheitssektor fließen. Zudem muss Khartum als Folge des Friedensabkommens (CPA) mit dem Südsudan hohe finanzielle Transfers in den Südsudan leisten. Da ausländische Investoren aufgrund der Unsicherheit im Land immer schwerer zu gewinnen sind, muss die Regierung für infrastrukturelle Großprojekte neue Schulden machen. 2007 beispielsweise hat sie sich von China rund 150 Millionen US-Dollar geliehen und musste gleichzeitig 171 Millionen Dollar Schulden an chinesische Unternehmen zurückzahlen.

Doch vom Bauboom in Khartum hat nur ein Bruchteil der sudanesischen Bevölkerung einen Nutzen. Das gleiche gilt für das hohe Wirtschaftswachstum von rund 10 Prozent (2007) und für das schnell wachsende durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen, das von gut 1000 US-Dollar (Kaufkraftparitäten) in 2000 auf knapp 1800 Dollar 2006 gestiegen ist. Die regierende Nationale Kongress-Partei NCP verfolgt auch nach dem Friedensschluss eine Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung ausschließlich des Zentrums – also der Region zwischen den Städten El Obeid und Atbara, wo sie ihre größte politische Gefolgschaft sieht. Nur dort wurde in den vergangenen Jahren sichtbar in die Infrastruktur investiert, hat sich Industrie angesiedelt und ist die Landwirtschaft effizienter geworden. Und nur in der Zentralregion haben sich staatliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit verbessert.

An der geschätzten landesweiten Armutsrate von gut 70 Prozent wird sich deshalb auf absehbare Zeit nichts ändern. Der Sudan ist agrarisch geprägt, von der Landwirtschaft leben rund zwei Drittel der Bevölkerung. In diesem Sektor liegt das eigentliche Potenzial des Landes. Doch seit Beginn der Ölförderung 1999 hat sich im Sudan eine Rentenökonomie entwickelt, die der Elite zur Maximierung ihrer persönlichen Gewinne dient, aber die Erneuerung und Instandhaltung des landwirtschaftlichen Sektors und der verarbeitenden Industrie vernachlässigt. Privatisierung der wenigen arbeitsfähigen Wirtschaftsbereiche wie der Zucker-, Hafen- und Zementindustrie hat zudem den Verlust von Arbeitsplätzen und den Abbau von Sozialleistungen zur Folge. Immer mehr Menschen werden in den informellen Sektor gedrängt.

Ackerland im Ausverkauf

Die Regierung des Sudan will ihre Landwirtschaft mit Hilfe ausländischen Kapitals modernisieren. Dazu plant sie riesige Flächen gratis zur Verfügung zu stellen, wenn die Investoren sich verpflichten, ...

Im Sudan bereichert sich eine kleine Elite im Norden des Landes auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit. Diese Bereicherung beruht auf der gezielten Unterdrückung anderer kultureller und religiöser Gruppen des Landes.  Dies war eine wesentliche Ursache für den Krieg zwischen Nord- und Südsudan und für den Krieg in Darfur. Die Strategie der regierenden Elite, ihren eigenen materiellen Vorteil mit der kulturellen Diskriminierung anderer Bevölkerungsgruppen zu verbinden, zeigt sich auch in den großen jährlichen Zwangsumsiedlungen in Khartum. Sie haben das Ziel, homogene Ansiedlungen von Menschen aus Darfur und den angrenzenden Nubabergen zu verhindern. Dabei werden die Menschen im wörtlichen Sinne in die Wüste geschickt, viele Kilometer weit hinaus aus dem Zentrum der Stadt, wo es weder Wasser noch Strom gibt, sondern nur Sand und Hitze.

Das beachtliche Wirtschaftswachstum von bis zu 10 Prozent geht fast ausschließlich auf die Ölförderung von Firmen aus China, Malaysia und Indien zurück. China ist zusammen mit Malaysia über die China National Petroleum Company der wichtigste Ölförderer im Sudan; drei Viertel der sudanesischen Ölexporte fließen in die Volksrepublik. Die Partnerschaft von China und Sudan reicht jedoch weit über die Ölförderung hinaus.

Chinesische Firmen übernehmen große Infrastrukturprojekte wie den neuen Nil-Staudamm bei Karima im Norden des Landes oder – gemeinsam mit Indien – die Erneuerung der Eisenbahnlinie von Port Sudan über Atbara nach Khartum. Selbst die quasi-autonome Regierung des Südsudan, die immer stark an den USA orientiert war, kooperiert mittlerweile in verschiedenen Bereichen mit China, das sich dadurch den Zugang zu den südsudanesischen Ölressourcen sichert.  Politisch stützt die Volksrepublik den Sudan dadurch, dass sie internationale Friedensinitiativen für Darfur ausbremst und der Regierung Waffen liefert, obwohl das gegen ein Embargo der Vereinten Nationen verstößt.

Die westliche Welt hingegen hat Sudan seit Jahren isoliert. Die USA belegen das Land seit 1997 mit wirtschaftlichen Sanktionen. Der amerikanische Kongress hat im vergangenen Jahr zudem ein Gesetz verabschiedet, dass der US-Regierung Geschäfte mit im Sudan tätigen Unternehmen verbietet und ihnen mit dem Rückzug privater amerikanischer Anleger wie Investmentfonds droht. Das hat unter anderem zum Rückzug von Siemens, ABB und anderen europäischen Firmen geführt. Allerdings hat diese Isolierung kaum wirtschaftliche Folgen, denn Sudans Außenhandel findet im wesentlichen mit Asien statt, insbesondere mit China und Japan sowie den Golfstaaten – hier vor allem Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Europa und die USA spielen nur eine marginale Rolle. Derzeit spielt der Boykott der westlichen Länder lediglich Peking in die Hände.

Die Voraussetzung für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung des Sudan ist der Verzicht auf eine weitere Staatsverschuldung beziehungsweise die effizientere Nutzung des Budgets für den Ausbau des industriellen Sektors sowie der Landwirtschaft. Auf diesem Weg könnte nicht nur den Menschen im Sudan geholfen werden, sondern der Sudan könnte auch die umfangreichen Importe an Grundnahrungsmitteln und Luxusgütern reduzieren, die sich negativ auf die Außenhandelsbilanz auswirken.

Für die wirtschaftliche Stabilität im Sudan ist Frieden in allen Landesteilen eine zwingende Voraussetzung. Dieser ist nur erreichbar, wenn die Elite in Khartum aufhört, die kurzfristige persönliche Bereicherung über die Entwicklung des Landes zu stellen. Der Fokus der Regierung auf das Zentrum des Landes zeigt, dass sie aus den Kriegen der letzten Jahrzehnte wenig gelernt hat. Die bereits errichteten und noch geplanten Wolkenkratzer in Khartum, die neuen, breiten Straßen und die vielen Autos haben die Stadt innerhalb weniger Jahre mehr verändert als je zuvor. Doch sie geben ein falsches Bild von der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Landes.

 

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erschienen in Ausgabe 9 / 2008: Sudan: Krieg an vielen Fronten
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