Frischer Wind in der Drogenpolitik

Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Flop. Drogenexperten hatten gehofft, der Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Mitte April im kolumbianischen Cartagena würde zu einem Wendepunkt in der internationalen Drogenpolitik. Denn zuvor waren die Rufe aus Zentral- und Südamerika, das repressive Vorgehen zu überdenken, immer lauter geworden. Einige Regierungschefs wollen es nicht länger hinnehmen, dass ihre Bevölkerung die blutige Zeche zahlt für die Drogen, die vorwiegend in den USA und Europa konsumiert werden. Doch US-Präsident Barack Obama erklärte kategorisch, es komme nicht infrage, den Konsum und die Produktion von Cannabis, Kokain oder Heroin sowie den Handel damit zu entkriminalisieren oder gar zu legalisieren.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Immerhin: Obama betonte, die USA seien offen für die Diskussion über neue Strategien im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel, und bezeichnete diese Debatte als „legitim“ angesichts der wachsenden Frustration über den Mangel an Erfolgen bei den Regierungen und der Bevölkerung von mittel- und südamerikanischen Ländern. Und die OAS hat beschlossen, eine Gruppe von Experten mit der Suche nach brauchbaren Alternativen zu beauftragen.

Viel mehr war nicht zu erwarten. Offiziell stand das Thema Drogen nämlich gar nicht auf der Tagesordnung des Gipfels und blieb Verhandlungen hinter verschlossenen Türen vorbehalten. Und es verwundert kaum, dass Obama, der im November als US-Präsident wiedergewählt werden will, konservative Wähler nicht mit liberalen Positionen zur Drogenpolitik verprellen will. Nun kommt es darauf an, dass Guatemalas Präsident Otto Perez Molina, der zu den lautesten Kritikern des von den USA angeführten „Krieges gegen die Drogen“ zählt, und seine gleichgesinnten Amtskollegen Juan Manuel Santos (Kolumbien), Felipe Calderon (Mexiko) und Laura Chinchilla (Costa Rica) den Freiraum nutzen, der sich mit dieser Expertengruppe eröffnen kann.

Zwar gilt der „Krieg gegen Drogen“, der seit mehr als 40 Jahren auf ein hartes Vorgehen gegen Konsumenten, Produzenten und Händlern setzt, inzwischen weithin als gescheitert. Nicht zuletzt die hochrangig besetzte Weltkommission für Drogenpolitik hatte im vergangenen Sommer seine „verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus“ angeprangert und gefordert, staatliche Modellversuche für eine gesetzliche Regulierung des Drogenmarktes zu fördern. Doch bisher blieben alle Bemühungen um neue Wege – auch im Rahmen der Vereinten Nationen – weitgehend wirkungslos, weil sich die Debatte auf den ideologischen Gegensatz Legalisierung illegaler Drogen versus Verbot verengt hatte.

Mit der OAS-Initiative bietet sich nun die Chance, Tabus und Denkverbote aufzuheben und sich genau anzuschauen, welche Herangehensweisen in der Drogenpolitik erfolgreich waren und in Zukunft verstärkt werden sollten – ohne sich von vorneherein auf die Legalisierung als einzige Alternative festzulegen. Eine offene Diskussion könnte es den USA leichter machen, ihre harte Haltung nach und nach aufzugeben.

Zusätzlich müssen die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die mit illegalen Drogen und ihrer Vermarktung zusammenhängen, insgesamt in den Blick genommen werden. Ein regulierter Drogenmarkt würde dem organisierten Verbrechen gewiss eine wichtige Geschäftsgrundlage entziehen. Doch Cannabis, Kokain und Heroin sind nur ein Teil seines Portfolios; die internationale Mafia handelt längst auch mit anderen Waren aller Art – und mit Menschen. Deshalb müssen die lateinamerikanischen Regierungschefs neben einer Drogenpolitik, die Schäden für die Gesundheit und die Sicherheit des Einzelnen und der Gesellschaft abwendet, staatliche und juristische Institutionen stärken, die dem Treiben der organisierten Banden insgesamt ein Ende machen, etwa indem sie Geldwäsche und Korruption besser verfolgen.

Und sie müssten sich stärker dafür einsetzen, dass die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihrer Länder der gesamten Bevölkerung zugutekommt. Bauern, die Hanf oder Koka anpflanzen, und Kleindealer brauchen alternative Verdienstmöglichkeiten, die ihnen ein Leben in Würde ermöglichen – die bisherigen Versuche, das zu erreichen, waren halbherzig und wenig wirkungsvoll. All das erfordert Geduld, Ausdauer und einen ausgeprägten politischen Willen – zumal eine Region nur Vorreiter sein kann für die nötigen Veränderungen im UN-Gefüge. Aber der Wind des Wandels, der aus Lateinamerika weht, lässt sich hoffentlich nicht mehr aufhalten.

 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik
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