Tunesien befindet sich auf der staatlichen und der kommunalen Ebene im Übergang. Eine Schlüsselrolle beim Aufbau der Demokratie kommt der Zivilgesellschaft zu. Nach dem Sturz von Diktator Ben Ali im Frühjahr 2011 wurden in den tunesischen Kommunen die politischen Spitzen weitgehend ausgetauscht, weil sie mit dem früheren Regime eng verbunden waren. An ihre Stelle sind bis zu den für 2013 geplanten Kommunalwahlen Übergangsräte und Übergangsbürgermeister getreten, die noch keine demokratische Legitimation besitzen. Auf der Verwaltungsebene sind die Strukturen und Machtverhältnisse dagegen bisher weitgehend unverändert.
Junge Leute stärker an der Politik beteiligen
Zehn deutsche Kommunen haben Partnerstädte oder Projektpartnerschaften in Tunesien. Neben der technischen Zusammenarbeit beim Abfallmanagement, bei der Verkehrsplanung und bei der nachhaltigen Stadtentwicklung engagieren sie sich bei der Bürgerbeteiligung und beim Aufbau demokratischer Strukturen. Langjährige Partnerschaften haben nach dem Umbruch von 2011 eine neue Stoßrichtung bekommen und neue Verbindungen entstehen. Unterstützt werden sie vom Vorhaben „Stärkung kommunaler Strukturen im Maghreb“ der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), vom Programm „Transformationspartnerschaft“ des Auswärtigen Amts und der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt. Köln ist bereits seit 1964 mit der Hauptstadt Tunis verbunden. Lange beschränkte sich die Zusammenarbeit vor allem auf den Austausch von Schülern und Künstlern. Mit einem Ratsbeschluss hat die Domstadt im April 2011 der langjährigen Partnerkommune angeboten, sie beim Aufbau der Verwaltung und öffentlicher Dienstleistungen zu unterstützen. Tunis erhält Hilfe bei der Einrichtung von Bürgerbüros als Anlaufstelle für Beschwerden. Auch die Jugendarbeit soll gestärkt werden und den jungen Leuten die Chance für mehr Beteiligung bieten.
Autorin
Claudia Mende
ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de„Jugendzentren aus der Ära von Ben Ali waren reine Show“, sagt Uwe Korch, zuständig für Internationale Angelegenheiten im Amt des Kölner Oberbürgermeisters. Sie seien zwar bestens ausgestattet gewesen, die Jugendlichen hätten sie aber nicht wirklich angenommen. Die Mitsprache junger Menschen ist auch deshalb so wichtig, weil die Frustration der Jugend ein wichtiger Auslöser für die Revolten in ganz Nordafrika war. In der Kooperation geht es für Korch nicht darum, deutsche Konzepte zu exportieren. „Wir wollen nichts überstülpen,“ betont er.
Die Einbindung der Jugendszene und ihrer Vereine in den Kommunen ist ein völlig neues Thema in Tunesien. „Darüber kann man erst jetzt reden“, sagt Bettina Schäfer vom Stadtjugendring in Stuttgart. Seit 2011 sind viele neue Vereine aus dem Boden geschossen. Baden-Württembergs Landeshauptstadt hat ihre seit 1971 bestehende Partnerschaft mit Menzel Bourguiba im Norden Tunesiens ebenfalls mit neuen Inhalten gefüllt. Zurzeit wird die Stadt von einem „Übergangsrat“ verwaltet, der sich aus Oppositionellen aus dem liberal-säkularen Lager zusammensetzt.
Die Öffnung für mehr Bürgernähe braucht Zeit
Schäfer vergleicht die Situation in Menzel Bourguiba mit der polnischen Partnerstadt Lodz nach der Öffnung Polens. Dort habe es etwa zehn Jahre gedauert, bis sich in der Kommune mehr Bürgernähe durchsetzte. „Das geht nicht von jetzt auf gleich. Man kann nicht so schnell Ergebnisse erwarten“, sagt Schäfer. Nach ihrer Erfahrung werde es mindestens eine Generation brauchen, bis Mitarbeiter aus der Ära von Ex-Staatspräsident Ben Ali durch neue Kräfte ersetzt werden könnten. Immerhin: „Es bewegt sich etwas.“
Unbelastet von der Vergangenheit ist die Kooperation von Freiburg und Nabeul, die 2012 begonnen hat. Im Vordergrund stehen nachhaltige Stadtentwicklung, Umweltschutz und erneuerbare Energien. Der Entwurf für die neue tunesische Verfassung stärkt Stellung und Rechte der Kommunen, die Strukturen seien in den Städten aber noch nicht vorhanden, sagt Günther Burger vom Freiburger Referat Internationale Kontakte. „Vorher wurde alles von der Regierung geregelt.“ Mit der neuen Freiheit täten sich die Kommunen noch schwer.
Auch für die deutschen Kommunen ist es nicht immer einfach, das politische Umfeld in ihren Partnerstädten richtig einzuschätzen. Beide Seiten werden einen langen Atem brauchen, bis aus einer über Jahrhunderte gewachsenen Obrigkeitskultur eine Bürgerverwaltung wird.
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