Was bleibt von Rio+20? Statt die Weichen für die „Zukunft, die wir wollen“, zu stellen, die das Abschlussdokument verspricht, hat die UN-Konferenz „die Blockaden, die wir haben“, aufgezeigt. Dabei schien bei der Analyse der Probleme durchaus Einigkeit zu bestehen: Dass wir an den Grenzen der Tragfähigkeit des Planeten operieren und dass ein Entwicklungsmodell, welches auf dauerhaftes Wachstum setzt, keine Zukunft mehr hat, wird heute weithin anerkannt. Doch daraus folgte keine Kompromissbereitschaft bei der Suche nach neuen Wegen.
Warum nicht? Zweierlei war in Rio augenfällig: Erstens scheint gerade in unsicheren Zeiten wie der heutigen Finanzkrise das Hemd näher als der Rock – nationale wirtschaftliche Eigeninteressen verdrängen weltpolitischen Gemeinsinn, und kurzfristiges Krisenmanagement erscheint dringender als vorausschauendes, langfristiges Umsteuern. Zweitens verschiebt sich das geopolitische Kräfteverhältnis: Das Selbstbewusstsein ökonomisch erfolgreicher Schwellenländer erstarkt und Europa ist geschwächt. Eine neue Ordnungsmacht oder neue Allianzen, die bei der Bearbeitung globaler Zukunftsfragen die Führung übernehmen könnten, sind noch nicht in Sicht.
Autorin
Cornelia Füllkrug-Weitzel
ist Präsidentin von „Brot für die Welt“ in Berlin.Derweil spitzen sich die Krisen weiter zu: Angesichts einer Jahrhundertmissernte in den USA und damit rapide steigender Getreidepreise sind dramatische Nahrungsmittelengpässe zu erwarten. Zugleich steigen die weltweiten CO2-Emissionen auf neue Rekordniveaus. Die Folgen sind für die reichen Nationen und Bevölkerungsgruppen im Moment noch kaum ernsthaft bedrohlich, für die die armen Nationen und verletzlichen Bevölkerungsgruppen aber sind sie ein Desaster.
Was es jetzt braucht, sind überzeugende und wirtschaftlich erfolgreiche Transformationsprojekte, die eine neue Dynamik erzeugen. In Rio wurden für die ganze Breite relevanter Sektoren – von der Biodiversität über das Recycling und die nachhaltige Landwirtschaft bis hin zu Erneuerbaren Energien – faszinierende Innovationen vorgestellt. Viele einzelne technische Lösungen liegen bereits auf dem Tisch. Zu deren Umsetzung im Rahmen einer Transformationsagenda braucht es nun Pioniere des politischen Wandels und neue Allianzen, die bereit sind, gemeinsam innovativ zu handeln. Ein solch gewaltiges Transformationsprojekt reicht – wie die deutsche Energiewende zeigt – aber weit über die wirtschaftliche und technologische Dimension hinaus: Auch gesellschaftliche Innovation tut not.
Dazu zählt eine fundierte Wertediskussion, die die Akzeptanz für planetarische Grenzen erhöht, der Gier und dem unbegrenzten Konsumismus entgegentritt, der Fixierung auf individuelle und materielle Aspekte des „guten Lebens“ überzeugende Alternativen entgegensetzt, die Gemeinwohlorientierung stärkt und die Verantwortung für nachfolgende Generationen in den Blick rückt.
Letztlich braucht es auch einen neuen Multilateralismus und globale Rahmenvereinbarungen. Ohne Wende zu einer Weltinnenpolitik kann eine Transformation in eine ökologische und solidarische Weltgesellschaft nicht gelingen. Weitreichende globale Regeln für eine nachhaltige Entwicklung scheinen aber noch nicht möglich, weil zu viele Staaten fürchten, dabei zu verlieren. Noch immer werden Umwelt- und Entwicklungsinteressen als konkurrierend erachtet. Dies wird sich erst ändern, wenn erstens innovative Pilotprojekte in der Praxis erweisen, dass sich Transformation auch wirtschaftlich lohnt, und wenn sich zweitens ein Werteverständnis in der Gesellschaft etabliert, das nichtnachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren ablehnt. Diesen Weg müssen Pioniere des Wandels heute beginnen – seien es Regierungen, Unternehmen, NGOs, Kirchen oder Kommunen.
Die Kirchen – speziell in Europa – haben eine sehr große Verantwortung, als Sauerteig in den westlichen Gesellschaften diesen Wertewandel herbeiführen zu helfen. Gewiss nicht alleine – die Zeiten sind vorüber –, aber als eine wesentliche Kraft. Der „Transformationskongress“ im Juni in Berlin hat ein historisch neuartiges, innovatives Bündnis zwischen Gewerkschaften, Naturschutzring und Organisationen der evangelischen Kirche für ökologische Nachhaltigkeit und soziale und internationale Gerechtigkeit gestiftet. Bleibt zu hoffen, dass es dauerhaft ist, wächst und weitere Umweltverbände, die ganze EKD und katholische Verbände und Organisationen – im Idealfall die ganze katholische Kirche – sich ihm anschließen.
Neuen Kommentar hinzufügen