Für die Armen Mangelware

Vor 13 Jahren stoppte ein breites Bündnis von Bürgern im bolivianischen Cochabamba die Privatisierung der Wasserversorgung. Die Regierung versprach mehr Beteiligung und Wasser für alle. Die Einwohner im Süden der Stadt haben das Warten darauf inzwischen satt.

Am Platz der Flaggen, der „Plaza de Banderas“, versprüht Cochabamba den Charme einer modernen Großstadt. Im Geschäftsviertel der drittgrößten Stadt Boliviens deutet nichts darauf hin, dass man sich im ärmsten Land Südamerikas befindet. Vans und Limousinen schieben sich durch den Kreisverkehr, der mit Fahnen aus aller Herren Länder geschmückt ist. Moderne Bürogebäude umsäumen den Platz, an der Ecke thront ein Multiplex-Kinocenter. Hier sind alle Haushalte an das Netz des lokalen Wasserversorgers SEMAPA (Servicio Municipal de Agua Potable y Alcantarillo) angeschlossen. Das lebenswichtige Nass kommt zuverlässig aus dem Hahn, Tag und Nacht.

Nur wenige Kilometer südlich ändert sich das Bild. Plätze und Straßen in der „Zona Sur“ sind staubig und mit Schlaglöchern übersät. Die Häuser schmiegen sich windschief an die in rote Erde getauchten Hügel. In diesem Teil von Cochabamba, der in den vergangenen Jahrzehnten infolge der Landflucht entstanden ist, gehört der Mangel an Wasser zum Alltag. In vielen Barrios der Zona Sur gibt es bis heute kein fließendes Wasser, die Bevölkerung wird mit Tanklastern versorgt. Sie kommen nur unregelmäßig und das Wasser, das sie für viel Geld verkaufen, ist nicht zum Trinken geeignet. „Das Wasser, das wir von den Tanklastern bekommen, ist verschmutzt und mit Bakterien durchsetzt“, berichtet Luis Patiño vom lokalen Wasserkomitee von Mineros.

Dabei gab es eine Zeit der Hoffnung: Vor 13 Jahren verhinderten die Bürger von Cochabamba erfolgreich die Privatisierung des lokalen Wasserunternehmens. Die Bewohner von Mineros hofften, ein öffentlicher Wasserversorger würde sie in absehbarer Zeit in das bestehende System integrieren. Und sie kämpften an vorderster Front im „Wasserkrieg“. Sie bildeten den harten Kern eines breiten Bündnisses gegen ein multinationales Konsortium unter Führung des US-Konzerns Bechtel, der die Wasserversorgung von Cochabamba übernehmen wollte. Ihrem Widerstand schlossen sich Landwirte aus dem Umland und die Mittelschicht aus dem Zentrum und dem Norden Cochabambas an. Alle versammelten sich unter dem Dach des  „Zusammenschluss zur Verteidigung des Wassers und des Lebens“ (Coordinadora de Defensa del Agua y de la Vida), um sich gegen die Privatisierung zu wehren. Allerdings war das Bündnis von Anfang an fragil, weil die einzelnen Beteiligten sehr unterschiedliche Inte-ressen vertraten. Die Bauern im Umland befürchteten die Enteignung ihrer Quellen, die Bürger im Zentrum wehrten sich gegen die angekündigten Preiserhöhungen. Die Unterschicht aus dem Süden stand auf, weil sie befürchtete, eine Privatisierung würde sie auf Jahrzehnte abhängen von der Möglichkeit, an die Wasserversorgung angeschlossen zu werden.

Bei den Massenprotesten von Januar bis April 2000 wurde die Stadt zeitweise von mehreren Zehntausend Demonstranten belagert, Wasserrechnungen wurden verbrannt und Barrikaden errichtet. Tagelang kam das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Regierung sah sich gezwungen, die Privatisierung zurückzunehmen und SEMAPA wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Mit der Rekommunalisierung ging der Versuch einher, den Wasserversorger unter Beteiligung der Bürger zu organisieren und so alle Interessen zu berücksichtigen. Es wurden Bürgerdirektoren eingesetzt, die von der Bevölkerung gewählt wurden und den zügigen Ausbau der Wasserversorgung gewährleisten sollten.

Bald stellte sich jedoch heraus, dass sie die Erwartungen nicht erfüllen konnten. Ihre Arbeit blieb ineffektiv. Vielmehr schoben sich lokale Eliten die Posten zu: „Korruptionsskandale, Nepotismus und Klientelpolitik verhinderten den Umbau zu einem öffentlichen Dienstleister“, meint Ida Peñaranda, die sich als Studentin an den Protesten beteiligt und bei dem Wasserprojekt „Yaku Al Sur“ mitgearbeitet hat. „Die Leute wandten sich von dem Unternehmen ab und beteiligten sich nicht mehr“, ergänzt sie resigniert.  An den Wahlen zu den Bürgerdirektoren 2006 beteiligten sich kaum noch zehn Prozent der Bevölkerung. 2009 fanden gar keine Wahlen mehr statt.

Noch stärker wiegen laut Ida Peñaranda allerdings die technischen Probleme, das ineffektive Versorgungsnetz und fehlende Leitungen. So wurde eine Integration der südlichen Stadtviertel in die Wasserversorgung zwar ins Auge gefasst, scheiterte aber auch daran, dass SEMAPA das nötige Kapital fehlt. Luis Patiño aus Mineros ist enttäuscht über die Ergebnisse der Rekommunalisierung. „Die Versorgung mit Wasser ist eine Basisdienstleistung von SEMAPA. Aber die Unternehmensführung sieht das leider nicht so“, sagt er.

In vielen Regionen kam nur alle zwei Tage Wasser aus dem Hahn

Das Bündnis gegen die Privatisierung zerfiel, und ein Flickenteppich an Einzelinteressen trat zutage. Die Mittelschicht im Stadtzentrum und den wohlhabenderen Vierteln im Norden erhielt wieder billiges Wasser von SEMAPA – sie hatte keinen Grund mehr, sich weiter zu engagieren. Im landwirtschaftlich geprägten Umland der Stadt kommt es immer häufiger zu Konflikten zwischen verschiedenen Gemeinden, bei denen es um den Zugang zum Wasser geht – manche von ihnen verfügen über Quellen und Brunnen, andere nicht.
Die Wasserversorgung von Cochabamba ist aus mehreren Gründen schwierig. Zwar sei genug Wasser für alle da, meint Rocio Bustamante, von der Universität San Simón. Im Jahresdurchschnitt fällt rund 480 Millimeter Regen. Die Niederschläge sind allerdings über das Jahr sehr ungleich verteilt und konzentrieren sich auf wenige Monate. In den Trockenperioden kommt es regelmäßig zu Engpässen, weil Tanks oder Auffangbecken fehlen, die in der Regenzeit Wasser sammeln könnten.

2010 führte eine monatelange Dürre dazu, dass das Wasser im gesamten Tal von Cochabamba knapp wurde. In manchen Gegenden wurde es rationiert. Da nicht mehr genug Wasser durch die Leitungen floss, mussten selbst die, die ans Netz angeschlossen waren, am Tanklastwagen anstehen. In anderen Regionen kam nur alle zwei Tage Wasser aus dem Hahn. „Für den Süden war es noch schwieriger, an Wasser zu kommen, weil viele Verkäufer ihr Wasser bei einer kaufkräftigeren Klientel im Norden absetzen konnten“, berichtet Rocio Bustamante.

Autor

Thomas Guthmann

ist Journalist und berichtet unter anderen für den Nachrichtenpool Lateinamerika e. V. über Themen in Lateinamerika mit Schwerpunkt Bolivien, Mexiko und Venezuela.

Die Dürre offenbarte eine weitere Schwierigkeit: Das Wasser in der Stadt wird auf Kosten von Gemeinden im Umland verbraucht. Bisher bezieht SEMAPA sein Wasser größtenteils aus den umliegenden Gemeinden. Einige von ihnen haben bereits gefordert, dass das Grundwasser auf ihrem Boden nicht mehr angezapft wird. Müsste der Wasserversorger jedoch auf die Quellen außerhalb der Stadtgrenzen verzichten, könnte er noch weniger Einwohner versorgen. „Nur fünf Prozent des Wassers, das in der Stadt Cochabamba verbraucht wird, stammt aus dem eigenen Gebiet. Der Rest wird aus dem Grundwasser der Nachbargemeinden entnommen“, meint Bustamante.

Und im indigen geprägten Umland herrscht wenig Verständnis dafür, das Wasser den zumeist weißen Städtern zur Verfügung zu stellen. Jahrhundertelang war es der indigenen Bevölkerung in Bolivien nicht erlaubt, in den Städten zu wohnen. Die Quechuas waren unter spanischer Kolonialherrschaft gezwungen, auf dem Land oder vor den Toren der Städte zu leben. Das blieb auch lange Zeit während der Unabhängigkeit so. Nur langsam hat sich das weiße Bild der Städte geändert.

Der Wasserbedarf in Cochabamba und Umgebung ist in den vergangenen Jahren durch das Bevölkerungswachstum und die intensivere Landwirtschaft ständig gestiegen. Die extreme Trockenheit vor zwei Jahren hat gezeigt, wie nötig ein umfassendes Konzept für die Wasserversorgung ist. Allerdings weiß bisher keiner, wie das bewerkstelligt werden kann. Die Regierung von Präsident Evo Morales hat bisher vor allem mit Absichtserklärungen auf nationaler und internationaler Ebene reagiert: Das Recht auf Wasser wurde 2009 in der Verfassung verankert. Jede Person habe ein Recht auf einen „universellen und gerechten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Trinkwasser“ steht dort. Bei den Vereinten Nationen wurde auf Initiative von Bolivien erreicht, dass Wasser auch dort als Menschenrecht anerkannt wurde.

Doch die Frage, woher das Wasser in der Trockenzeit kommen soll, ist damit nicht beantwortet. „Es gibt einen schönen Diskurs und richtige Prinzipien in der neuen Verfassung“, kritisiert Bustamante. „Aber alle Erklärungen bleiben abstrakt, wenn es nicht gelingt, ein tragfähiges Konzept daraus zu entwickeln.“ Die Einwohner von Mineros hatten das Warten satt. Unterstützt von einer Hilfsorganisation aus den Niederlanden haben die 1200 Familien mit Spaten und Schaufeln ein eigenes Leitungssystem geschaffen und Zisternen aufgebaut. Sie sollen das Regenwasser sammeln und das Viertel damit versorgen. Das hat ihre Situation entschärft, aber nicht alle Probleme aus der Welt geschafft. Vor allem wenn der Regen ausbleibt und sich die Zisternen leeren, sind sie wieder auf die Tanklaster angewiesen. 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2013: Wasser
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