Auf der Suche nach einer neuen Mission

Der Südafrikanische Kirchenrat, zu Zeiten der Apartheid eine wichtige Stimme für Gerechtigkeit und eine Stütze des Widerstands, hat seine Bedeutung weitgehend eingebüßt. Bislang ist es ihm nicht gelungen, seine Rolle im „neuen“ Südafrika zu finden. Aufgaben gäbe es reichlich; doch es fehlen eine klare Vision und – Geld.

Der Südafrikanische Kirchenrat (SACC) hat sich mit seinem Eintreten für Gerechtigkeit einen Namen gemacht. Die überkonfessionelle Dachorganisation christlicher Kirchen im südlichen Afrika, die 1968 ins Leben gerufen wurde, ist durch tatkräftige Zuwendung, Protest und Widerstand mit den Opfern und Gegnern von Unrecht und staatlicher Gewalt verbunden. Zu Zeiten der Apartheid und über den Beginn der Demokratisierung vor rund 20 Jahren hinaus setzte sich der SACC unbeirrt für verbotene politische Organisationen, Verfolgte und Inhaftierte ein.

Inzwischen, im zweiten Jahrzehnt nach der Abwahl des Apartheidregimes, können der SACC und seine heute 27 Mitglieder unter günstigeren Bedingungen in einem demokratischen Rechtstaat arbeiten. Paradoxerweise stehen sie aber gerade deswegen vor neuen Fragen und Aufgaben. Welche Erwartungen tragen die Mitgliedskirchen und die weltweite Christenheit an den SACC heran? Welche Zukunftsperspektiven hat er? „Die Stimme der Kirchen ist schwach geworden“, wird bisweilen wehmütig geklagt und nach Konsequenzen gerufen.

Autor

Ben Khumalo-Seegelken

ist promovierter Theologe und Sozialpädagoge. 1975 musste er im Widerstand gegen die Apartheid seine Heimat Südafrika verlassen, 1986 ließ er sich in Deutschland einbürgern. Er publiziert und lehrt unter anderem über die Entwicklung Südafrikas seit dem Ende der Apartheid.

Um den Kirchenrat ist es beklemmend still geworden. Etliche seiner Mitglieder haben den Anbruch der Demokratie offensichtlich zum Anlass genommen, sich guten Gewissens aus dem gesamtgesellschaftlichen Engagement zurückzuziehen und sich nun in erster Linie Aufgaben in der eigenen Institution zu widmen, die bis dahin oft zu kurz gekommen waren. Andere Kirchen, die sich während der Apartheidzeit eher vom SACC distanziert und seine Initiativen nicht mitgetragen hatten – die weißen reformierten und lutherischen Kirchen insbesondere –, bleiben erst recht auf Distanz. Sie kapseln sich weiter ab und beteiligen sich kaum an Annäherungsversuchen und Verständigungsprozessen, die derzeit in Gang kommen.

Gleichzeitig breitet sich eine Welle der Neugründung von Kirchen aus, die sich als Gegenbewegung zum SACC empfehlen. Sie tun sich vor allem dadurch hervor, dass sie Bessergestellte in ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den Armen bestätigen und den Regierenden nach dem Munde reden, sich anbiedern und selbst offenkundiges Fehlverhalten verharmlosen und „absegnen“. Dazu zählt etwa ein von Korruptionsverdacht begleitetes Waffengeschäft, das Steuergelder in Milliardenhöhe verschlungen hat, seit Jahren die Gerichte beschäftigt und 2008 zur vorzeitigen Amtsniederlegung von Präsident Thabo Mbeki geführt hat.

Sie boten einigen der Beschuldigten, unter ihnen Präsident Jacob Zuma, ausgerechnet dann eine öffentliche Bühne als Gastprediger, als die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in den Medien kontrovers diskutiert wurden und der Regierungspartei hätten schaden können. Ein Stein des Anstoßes für den SACC und seine Mitglieder: Wie ist missbräuchlicher Umgang mit politischer Macht – vor allem die grassierende Korruption – noch in Grenzen zu halten? Wie kann man Menschenrechtsverletzungen entgegentreten, die skrupellose Großgrundbesitzer an ihren ehemaligen Leibeigenen und Farmarbeitern begehen, wenn sie mit dem Einverständnis einer kirchlichen Bewegung verschleiert und verharmlost werden?

Die neue kirchliche Strömung der „Rhema ­Church“ stellt zudem ungeniert Errungenschaften infrage wie die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern und den Schutz der Rechte von Homosexuellen, Flüchtlingen und anderen Minderheiten – sie wurden nicht zuletzt auf Drängen des SACC in der Verfassung festgeschrieben. In Verhandlungen mit den Regierenden wird angeregt, die Regelungen zu überdenken und womöglich rückgängig zu machen. Selbst nichtkirchliche Organisationen und Gewerkschaften verfolgen diese Entwicklung mit Sorge. Stimmen aus Kirchengemeinden und theologischen Fachverbänden haben kürzlich in einer Erklärung öffentlich zur Wachsamkeit gemahnt.

In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ist eine Vielzahl von Institutionen der Zivilgesellschaft entstanden (Gewerkschaften, Fachverbände und nichtstaatliche Organisationen), die sich in Fragen zu Wort melden, die früher am ehesten vom SACC angesprochen wurden. So haben die Welt-Aidskonferenz 2000 und die UN-Klimakonferenz 2011 dank kritischer Stimmen und alternativer Vorschläge von Demons­trierenden und Protestierenden – auch aus den Reihen des SACC – Impulse von unten aufnehmen können, die unerlässlich sind, wenn Worten Taten folgen sollen. Bei vielen Anliegen übergibt der SACC die Initiative in die Hände neuer Gruppen. Entsprechend profilierter und effektiver kann der theologische und kirchenpolitische Beitrag werden, den der Kirchenrat als anerkannter ethisch-moralischer Mahner und gut vernetzter Wegweiser leisten kann.

Eine neue Generation tritt in den Kirchengemeinden und theologischen Ausbildungsstätten in die Fußstapfen bisheriger Führer und versucht, neue inhaltliche Akzente zu setzen. Verstecken muss sich der SACC also nicht – im Gegenteil. Seine Jahreskonferenzen sind nach wie vor eines der wenigen öffentlichen Foren in und um Südafrika, auf denen die ganze Bandbreite brennender sozialer, politischer und theologischer Fragen sachkundig und überparteilich beraten wird. Ein freundlicher Umgangston und gegenseitiger Respekt selbst bei heftigen Meinungsverschiedenheiten zeichnen den SACC und seine Repräsentanten aus – ein Vorbild für eine Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet. Durch jahrzehntelange Arbeit, die darauf abzielte, Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern die Augen für gesellschaftliche Missstände zu öffnen und den Rücken zu stärken, haben der SACC und seine Mitglieder dazu beigetragen, dass diese Menschen heute wachsam bleiben, rechtzeitig die Stimme erheben und zum Wohle aller Hand anlegen.

Von 1994 bis 1999 stand Nelson Mandelas Regierung der Nationalen Einheit vor großen Aufgaben, um Brücken zu bauen und Bevölkerungsgruppen zueinander zu führen, die zuvor gegeneinander ausgespielt worden waren. Entscheidend daran mitgewirkt haben einige frühere Repräsentanten des SACC und seiner Mitgliedskirchen, darunter der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, der frühere Direktor der SACC-Abteilung für Gerechtigkeit und Versöhnung, Wolfram Kistner, die frühere SACC-Generalsekretärin Brigalia Bam und ihre Amtsvorgänger Christiaan Beyers Naudé und Frank Chikane. Sie haben mit den „Frauen und Männern der ersten Stunde“ den werdenden demokratischen Rechtstaat in besonderer Weise mitgeprägt.

Ohne ihre Mitwirkung wären Südafrikas Wahrheits- und Versöhnungskommission sowie die Arbeit der Unabhängigen Wahlkommission erheblich mühsamer, wenn überhaupt, in Gang zu bringen gewesen – so kontrovers die Arbeitsweise und der Ertrag jenes Versöhnungsversuchs zu bewerten sein mögen.

Stehengeblieben und unbeweglich wirkt allerdings heute manche Mitgliedskirche des SACC mit ihren Versammlungen, Gremien und Ämtern, die – wie zu Apartheidzeiten – ausschließlich oder vorwiegend von Menschen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder nur von Männern besetzt sind. Im ganzen Land sind Schulen, Sportvereine, Betriebe und Fachverbände bereits merklich weiter damit, nicht mehr rassistisch oder sexistisch und stattdessen bewusst inklusiv zu werden.

Dem SACC hätte es gut zu Gesicht gestanden, seine Mitglieder anzuregen, in ihren Gemeinden und Leitungsgremien mit gutem Beispiel voranzugehen. Sie hätten die Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens in freier Gemeinschaft in Modellen umsetzen können, die Südafrika zu der „Regenbogennation“ werden lassen, nach der sich mit Desmond Tutu und Nelson Mandela viele Menschen sehnen. Wann fangen der SACC und seine Mitgliedskirchen endlich an, die von ihnen angeprangerte „Apartheidgeografie“ umzukrempeln? Noch heute wohnen Menschen dort, wohin sie der Kolonialismus und die Apartheid hinbeordert haben – in ehemaligen Homelands, Townships und Vorstädten, wo niemand freiwillig hingezogen ist und heute nicht unbedingt bleiben will.

Der SACC hat sich seinerzeit mutig gegen Entwurzelung und Zwangsumsiedlung zur Wehr gesetzt. Er darf nicht tatenlos zusehen, wie jenes Unrecht nun nachträglich legitimiert und als eine unumkehrbare Ausgangsposition für das Zusammenleben hingenommen wird. Sein Auftrag verpflichtet den SACC vielmehr dazu, mitzuwirken an der Schaffung neuer Landschaften und Wohnorte, damit neue Gemeinsamkeiten über bisherige Trennlinien hinweg entstehen und sich entwickeln können. Absichtserklärungen allein genügen da nicht.

„Neuen Wein in alte Schläuche gießen“, so könnte Jesus von Nazareth die derzeitige Praxis bezeichnen, nach der im neuen Südafrika strukturelle Ungerechtigkeiten unbekümmert übernommen und weitergeführt werden. Er würde dazu aufrufen, die Strukturen von Grund auf zu erneuern, damit alle genug zum Leben haben und gut miteinander leben können. Der Landfrage etwa – der fälligen Umverteilung ertragreicher Flächen, damit Land nicht länger Eigentum weniger bleibt, sondern wieder Lebensgrundlage für alle wird – können der SACC und seine Mitgliedskirchen nicht aus dem Weg gehen, wenn ihr Eintreten für dauerhaftes friedliches Zusammenleben nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommen soll. Die Gemeinden und Verbände, die sich derzeit an Verhandlungen über die Landfrage beteiligen, sind darauf angewiesen, dass erfahrene und gut vernetzte Fürsprecher im SACC sich zu Wort melden.

Seit geraumer Zeit plagen den Kirchenrat und seine Mitgliedskirchen jedoch ernstzunehmende Existenzängste. Das Geld, das bisher von Partnerkirchen und -organisationen aus Übersee überwiesen wurde, damit Mitarbeitende entlohnt, Arbeitsräume unterhalten und Verwaltungsaufgaben finanziert werden können, fließt inzwischen merklich stockender. Es reicht nicht mehr aus, um die laufenden Grundausgaben zu decken. Auch zweckgebundene Zuwendungen für Projekte sind neuerdings kaum aufzutreiben. Den meisten Verbündeten in Übersee gilt Südafrika seit 1994 als „über dem Berg“, Spenden und Zuschüsse würden andernorts mehr gebraucht, heißt es. Zudem verunsichert die Wirtschaft- und Finanzkrise viele Geber.

Haushaltsmittel, die der SACC eingeplant und zum Teil bereits ausgegeben hatte, bleiben aus. Das trifft vor allem Projekte zur Bekämpfung der Armut, insbesondere auf dem Land in den ehemaligen Homelands, und Initiativen ehemaliger Leibeigener und Farmarbeiter sowie von Flüchtlingen aus den Nachbarländern. Viele von ihnen kämpfen am Rande der Großstädte ums nackte Überleben, ohne Zugang zu Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Bei aller Sorge um das eigene Fortbestehen bringen der SACC und seine Mitglieder weiter Mittel auf, um an den Rand gedrängte Menschen und Slumbewohner zu unterstützen.

Andere brennende Aufgaben müssen dann dem Rotstift zum Opfer fallen – etwa die Mitfinanzierung der Fortbildung von Lehrern in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik in den früheren Homelands und Townships, die immer noch einen großen Nachholbedarf haben. Ferner sollte der SACC die treibende Kraft dafür sein, mit Elternverbänden, Lehrergewerkschaften, NGOs und der Regierung darüber zu verhandeln, ob Religionsunterricht als Schulfach an allgemeinbildenden Schulen eingeführt wird. Die Arbeit daran ist ohne finanzielle Mittel nicht denkbar.

Das ist für den SACC keine neue Erfahrung. Seit seinen Gründungstagen musste er sich immer nach der Decke strecken und jeden Cent mehrmals umdrehen – und die Arbeit konnte weitergehen. So auch jetzt: In knapp zwei Wochen brachte ein Spendenaufruf zur Rettung des SACC Anfang August 2012 in und um Soweto und Johannesburg immerhin 148.000 Rand (ungefähr 15.000 Euro) ein. Untergang oder Neugründung? Wohin sich der SACC bewegt, bleibt spannend. Sang- und klanglos wird das bewährte Dach für Schutzbedürftige und die bewährte Stimme des Gewissens der Nation hoffentlich nicht verschwinden.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
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