UNICEF geht davon aus, dass in der Schweiz rund 7000 beschnittene Mädchen und Frauen leben. Diese Schätzung ist allerdings acht Jahre alt. Seither hat sich die Zahl der Flüchtlinge aus Ländern, in denen diese archaische Tradition gelebt wird, in der Schweiz vervielfacht – und damit wohl auch die Zahl der verstümmelten Mädchen und Frauen. Spätestens seit einem Gerichtsfall im Jahr 2008 ist klar, dass die Verstümmelung von Mädchen und Frauen auch in der Schweiz praktiziert wird.
Das neue Gesetz verbietet die Genitalverstümmelung – die teilweise oder ganze Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien – ausdrücklich, und zwar nicht nur wenn die Tat in der Schweiz begangen wurde. Strafbar macht sich auch, wer die Tat im Ausland begangen hat, selbst wenn diese dort nicht strafbar ist. Damit gilt für die Genitalverstümmelung ein sogenanntes unbeschränktes Universalitätsprinzip, das die Schweiz sonst nur bei schwersten Verbrechen gegen Kinder und Jugendliche kennt. Das Gesetz erfasst auch Personen, die sich nur für kurze Zeit im Land aufhalten oder auf der Durchreise sind.
Nur drei weitere Länder in Europa haben ähnliche Gesetze
Täter, vor allem die „Beschneiderinnen“, müssen mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen. Aber auch die Eltern der Opfer machen sich strafbar, sobald sie eine Reise zum Zweck der Verstümmelung ins Ausland organisieren, beim Eingriff dabei sind oder die Einreise einer „Beschneiderin“ ermöglichen.
Bisher fiel die Genitalverstümmelung in der Schweiz unter den Straftatbestand der Körperverletzung. Mit dem neuen Gesetz schließt die Schweiz zu den diesbezüglich fortschrittlichsten Ländern Europas auf: Bisher gibt es lediglich in Schweden, Großbritannien und Norwegen spezifische Strafnormen für Genitalverstümmelung.
Die Politik erhofft sich eine „symbolische und abschreckende Wirkung“, die dazu beiträgt, Genitalverstümmelungen zu verhindern. Fachleute werfen allerdings die Frage auf, inwiefern die Strafnorm präventiv wirken wird. Der Artikel setze zwar ein starkes politisches Zeichen, sagt Sonja Kaufmann von Caritas Schweiz. Gleichzeitig könne er aber auch dazu führen, dass beschnittene Frauen stigmatisiert und die Verstümmelungen noch mehr im Versteckten durchgeführt würden – mit schlimmen Konsequenzen für die Betroffenen. „Der Artikel ersetzt deshalb keine präventiven Maßnahmen“, sagt Kaufmann. Wichtig sei der Dialog mit dieser „schwer erreichbaren Zielgruppe“.
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