Warum ein Brüsseler Sportclub doch keine Hemden aus Afrika einführt

Den Weg zum Freihandel pflastert die Europäische Union mit Verträgen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln enthalten, unter welchen Bedingungen Waren in die EU eingeführt werden können. Derzeit gelten dafür im einfachsten Fall mindestens drei Zollsätze: die bei der Welthandelsorganisation (WTO) angemeldeten Standardzollsätze, die ermäßigten Zölle für Entwicklungsländer nach dem „Allgemeinen Präferenzsystem“ (APS) und die Ausnahmen für die ärmsten Länder, die (fast) „alles außer Waffen“ (Everything But Arms, EBA) zoll- und quotenfrei nach Europa einführen dürfen. Welcher davon angewendet wird, hängt davon ab, nach welchem regionalen oder bilateralen Handelsvertrag die Herkunft einer Ware eingeordnet wird. Derzeit hat die EU rund ein Dutzend solcher Verträge abgeschlossen, zum Beispiel mit Chile, Mexiko, Südafrika oder das „Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen“ (EPA) mit der Gemeinschaft der Karibik-Länder CARICOM.

Autor

Heimo Claasen

ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".

Allein das offizielle Papier der EU mit den grundlegenden Regeln für Importe und Exporte zählt 856 Seiten. Das Verzeichnis der Zollpositionen, also der Warenkategorien, auf die Zölle anfallen, umfasst 891 Seiten. Kaum einer der derzeit geltenden Handelsverträge kommt mit weniger aus. In den Anhängen wird für jede einzelne Zollposition genau bestimmt, wie hoch der Mindestanteil an Rohstoffen oder Vorprodukten aus dem jeweiligen Land in einer importierten Ware sein muss, damit es für die Berechnung des Zolls als „Ursprungsland“ gilt. Wenn zum Beispiel Baumwolle oder Garn in Textilien aus dritten Ländern stammen, ist entscheidend, ob Vorprodukte aus diesen speziellen Drittländern nach dem jeweiligen Vertrag in den Mindestanteil des Exportlands eingerechnet werden dürfen oder nicht. „Kumulation“ lautet dafür der Fachausdruck.

Den Unternehmern aus Ländern, die mit der EU über Handelsverträge verbunden sind, bleibt nichts anderes übrig, als sich diese durchzuarbeiten, wenn sie denn wissen wollen, wie hoch ihre Waren bei der Einfuhr verzollt werden. Und selbst das garantiert noch keine Klarheit, wie das Beispiel eines gescheiterten Importgeschäfts von Afrika nach Europa zeigt. Ein Sportclub in Brüssel spielte mit dem Gedanken, bei einer Firma in Johannesburg eine Partie Oberhemden für seine Mitglieder zu bestellen – angeregt von der Reise einiger Vereinsmitglieder zur Fußball-WM in Südafrika. Der Lieferant in Johannesburg hätte den Stoff mit dem Club-Logo in guter Qualität von einer Weberei in Lesotho beziehen können. Zu günstigen Preisen zugeschnitten, gesäumt und genäht hätte die Hemden eine Textilfabrik in Tunesien, zu der ein Vorstandsmitglied des Sportvereins geschäftliche Kontakte hat. Die Frachtkosten von Johannesburg nach Tunis für den Stoffballen hätten sich in Grenzen gehalten, erheblich teurer wäre das letzte Stück von dort nach Europa gewesen.

Es blieb die Frage, wie viel Zoll noch dazu gekommen wäre. Da fällt zunächst die so genannte Zolleskalation ins Auge: Grundsätzlich ist für den Rohstoff Baumwolle an der EU-Grenze kein Zoll fällig; für das Garn zum Gewebe schon 4 Prozent, für Gewebe 8 Prozent, für fertige Kleidungsstücke 12 Prozent. Lesotho allerdings hätte für das gewebte Tuch gar keinen EU-Zoll zahlen, da es unter die „Everything But Arms“-Regel fällt. Zudem gilt für Lesotho noch die alte Regelung für die AKP-Länder, denn das EPA für das südliche Afrika, das Lesotho als eines der AKP-Länder im vorigen Jahr unterzeichnet hat, ist noch nicht in Kraft. Doch selbst wenn, wäre das irrelevant. Denn die Firma, die die Hemden verkaufen wollte, sitzt in Südafrika, das einen eigenen Handelsvertrag mit der EU hat. Und danach darf Baumwollgewebe aus Südafrika nur dann zollfrei in die EU eingeführt werden, wenn auch das Garn vom Kap kommt. Mit anderen Worten: Lesothos Zollvorteil geht verloren, sobald eine Ware von einer Firma im Nachbarland Südafrika ausgeführt wird.

Es wird aber noch komplizierter. Denn das Tuch sollte ja erst nach Tunesien gekarrt und dort zu Hemden verarbeitet werden. Herrenhemden aus Baumwolle – EU-Zollposition 61051000 – können gemäß dem Mittelmeer-Freihandelsabkommen mit Tunesien zollfrei in die EU eingeführt werden, wenn die Vorprodukte wie Garn und Stoff aus der EU kommen. Ist das nicht der Fall, dürfen sie höchstens ein Zehntel des Warenwertes ausmachen. In unserem Beispiel wären es aber deutlich mehr gewesen: Der Stoff und die Frachtkosten aus Südafrika allein hätten mit fast 40 Prozent zu Buche geschlagen. Für die Frachtkosten nach Europa wären weitere 33 Prozent des Warenwertes hinzugekommen, und der Zoll wäre auf die Summe erhoben worden.

Die Folge: Weil die Hemden aus Tunesien exportiert werden sollten, die Zollermäßigung aus dem Mittelmeer-Abkommen aber nicht greift, wäre der generelle Zollsatz für fertige Kleidung in Höhe von 12 Prozent angefallen. Für Tunesien gilt allerdings die Ermäßigung um 3,5 Prozent aus dem „Allgemeinen System der Präferenzen“ der EU für Entwicklungsländer. Wären also nur 8,5 Prozent fällig gewesen? Das Brüsseler Hauptzollamt konnte das nicht beantworten. Und eine „Verbindliche Zolltarifauskunft“ erhalten Unternehmen nur, wenn sie nachweisen können, dass ein Geschäft wirklich stattfinden soll.

Fazit: Der Sportverein begrub sein Vorhaben schnell wieder, weil die Kosten unkalkulierbar waren. Und nach Afrika lautet die Botschaft: Je mehr Länder an der Produktion einer Ware beteiligt sind, desto schwieriger wird es, sie nach Europa auszuführen. Entwicklungspolitisch sinnvoll ist das nicht.

 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2011: Welthandel: Auf dem Rücken der Armen
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