Nur wenige Kirchen haben sich bisher offiziell zu den Reformbewegungen geäußert. Während die Evangelischen Kirchen in Ägypten in einer gemeinsamen Erklärung den Demonstranten den Rücken stärkten, rief der koptisch-orthodoxe Papst Schenuda III. die Mitglieder seiner Kirche auf, sich nicht einzumischen. Wenige Tage vor dem Sturz Mubaraks hatte er sich noch für dessen Verbleib an der Macht ausgesprochen.
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Die meisten Kirchen sind sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollen. Die Unsicherheit hängt damit zusammen, dass die Kirchen in arabischen Ländern immer versucht haben, sich mit den Regierungen zu arrangieren. Selbst autokratische oder gar diktatorische Machthaber wie einst Saddam Hussein wurden nicht offiziell kritisiert. „Als Minderheit haben die Christen immer einen guten Kontakt zu den Mächtigen gesucht“, sagt Jens Nieper, Referent für den Nahen und Mittleren Osten bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nun öffentlich zu deren Umsturz aufzurufen, käme für sie kaum in Frage.
Zudem birgt die Demokratisierung in den Augen vieler Christen eine große Gefahr. Islamistische Gruppen könnten an Einfluss gewinnen und, einmal an der Macht, den Christen das Leben noch schwerer machen. Umso wichtiger waren deshalb die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, wo Muslime und Christen Seite an Seite den Sturz Mubaraks forderten. „Für das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Ägypten waren diese Demonstrationen ein Geschenk“, sagt Otmar Oehring, Referent für Menschenrechte bei Missio Aachen. „Sie haben allen gezeigt, dass das Gros der Bevölkerung nicht islamistisch ist.“ Dennoch säßen viele Christen nach wie vor auf gepackten Koffern. „Sie wollen die Wahlen abwarten und sehen, welche Parteien sich etablieren und ob die künftigen Regierungen sich für Religionsfreiheit einsetzen“, sagt Oehring.
Laut Nieper könnten Christen in den Diskussionen um neue Gesellschaftsformen „eine wichtige Rolle spielen, da sie allgemein einen hohen Bildungsgrad haben“. Er rechne zwar nicht damit, dass sie in der ersten Reihe mitspielen werden. „Sie bringen aber Kenntnisse mit, die für Veränderungsprozesse wichtig sind.“ Durch ihre Nähe zur westlichen Welt habe ein Großteil von ihnen ein demokratisches Grundverständnis. Interessant sei auch, ob und wie sich Exil-Christen in die Debatten ihrer Heimatländer einmischen werden.
Christen prüfen, wie sie an den Reformen mitwirken können
Fraglich ist allerdings, ob die anderen Oppositionsparteien die Christen offiziell mitreden lassen werden. Es müsse deshalb überlegt werden, wie sie sich informell in die Diskussionen einbringen könnten, sagt Oehring. Christliche Bildungseinrichtungen könnten beispielsweise ihre Kontakte ins islamische Milieu nutzen. Auch politische Stiftungen aus Deutschland, die schon viele Jahre in der Region tätig sind, könnten helfen, dass die Stimmen der Christen gehört werden.
Eine direkte Einmischung des Westens in die Reformprozesse würde allerdings verheerende Folgen für die Christen haben. Dafür ist das Beispiel Irak zu abschreckend, wo die Christen mit dem intervenierenden Westen gleichgesetzt wurden und nach wie vor Zielscheibe für Radikale sind. Die Kirchen in Deutschland und auch der Ökumenische Rat der Kirchen sind derzeit auf der Suche nach Möglichkeiten, wie sie die Christen in den arabischen Umbruchländern unterstützen können, damit sie sich konstruktiv an der Neuordnung beteiligen können.
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