Für die Förderung von Homosexuellen-Initiativen haben deutschen Stiftungen und Hilfsorganisationen 2008 nur 600.000 Euro bereitgestellt. Das hat eine im August vorgelegte Studie ergeben – wobei die Autoren einräumen, dass ihnen vielleicht das eine oder andere Vorhaben entgangen ist, weil viele Organisationen solche Projekte nicht gesondert ausweisen, sondern unter Gesundheit (HIV/Aids) oder Menschenrechtsarbeit führen. Dennoch: Unterstützung von Schwulen und Lesben in ihrem Kampf für mehr Rechte, wie sie etwa die Heinrich-Böll-Stiftung in Thailand oder im Libanon oder die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) seit diesem Jahr in Kenia leisten, ist in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eine Seltenheit.
Jean-Luc Tissot erstaunt das nicht: „Das ist ein Nischenthema, um das sich die Homosexuellen selbst kümmern müssen.“ Tissot weiß, wovon er spricht. Der 63-Jährige war von 1978 bis 1988 Leiter des christlichen Hilfswerks Eirene International. Mit 35 Jahren hatte er sein „coming out“. „Ab heute habt ihr einen schwulen Geschäftsführer“, verkündete er seinen Mitarbeitern damals. Tissot suchte fortan gezielt nach Projektpartnern zum Thema Homosexualität. Fündig wurde er allerdings nur in Nordamerika und Europa. „In Ländern des Südprogramms, zum Beispiel in Afrika, gab es keine Anknüpfungspunkte; unsere Partner dort haben keinen Bedarf angemeldet.“ Zur Betreuung der Vorhaben stellte Tissot bewusst Schwule und Lesben ein. Nach seinem Weggang 1991 habe das Engagement von Eirene in diesem Bereich dann wieder nachgelassen. „Das war stark an meine Person gebunden“, sagt Tissot.
Einige Eirene-Mitarbeiter sind damals dem Vorbild ihres Chefs gefolgt und haben ihre Homosexualität öffentlich gemacht. In der Entwicklungsszene gilt das Hilfswerk mit Sitz in Neuwied noch heute als besonders tolerant gegenüber Lesben und Schwulen. Aber auch für die anderen großen Entwicklungsdienste und Hilfsorganisationen spielt nach eigenen Angaben die sexuelle Orientierung von Bewerbern und Mitarbeitern keine Rolle. Aus einigen kirchlichen Hilfswerken heißt es lediglich, man wolle ungern an die große Glocke hängen, dass man auch Schwule und Lesben als Entwicklungshelfer beschäftige, weil das zu Unmut bei konservativen Unterstützern und Spendern führen könnte.
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Homosexualität sei kein Grund gegen Einsätze in Ländern, in denen Schwule und Lesben diskriminiert oder gar staatlich verfolgt werden, heißt es übereinstimmend in den Personalabteilungen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen. Ist allerdings die Homosexualität eines Bewerbers bekannt, wird über mögliche Risiken gesprochen – das gebiete schon die Fürsorgepflicht. Einige Dienste schließen es grundsätzlich aus, Schwule oder Lesben in Länder wie den Sudan, Jemen oder Mauretanien zu schicken, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Katharina Müller und Yvonne Meier (Namen von der Redaktion geändert) arbeiten als Entwicklungshelferinnen in einem Land am Horn von Afrika, in dem Homosexualität mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft wird. Die beiden Frauen leben als lesbisches Paar zusammen in einem Haus. „Natürlich verhalten wir uns hier auf der Straße anders, als wir es in Deutschland tun würden“, sagt die 41-jährige Müller. „Und wenn mich ein Afrikaner fragt, warum ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe – was hier sehr wichtig ist –, dann lüge ich eben.“ Homosexualität sei in dem Land in der Öffentlichkeit kein Thema, und solange man sich daran halte, könne man in den eigenen vier Wänden gut als lesbisches Paar leben. „Die Leute hier sind sehr diskret, es geht nie um etwas Intimes“, sagt die 43-jährige Meier. Alle afrikanischen Kollegen wüssten, dass sie sich ein Haus teilen, aber das sei kein Problem. „Wahrscheinlich wäre es schwieriger, wenn wir getrennt lebten und uns ständig gegenseitig über Nacht besuchen würden.“
Müller sagt, sie respektiere, dass Homosexualität in diesem Land tabu sei. „Ich trete hier nicht als Vorkämpferin für die Rechte von Lesben und Schwulen auf.“ Allerdings reicht der Respekt für sie nur so weit, wie Homosexuelle nicht aktiv verfolgt werden. Wie heikel das Thema ist, hat Martin Lorenz in Burkina Faso erlebt. Der heute 25-jährige Berliner hat dort im vergangenen Jahr im Rahmen des „weltwärts“-Programms für junge Freiwillige in einem Fußballklub für sozial benachteiligte Jugendliche gearbeitet. Nach sechs Wochen Dienst teilte ihm der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) mit, Mitarbeiter des Klubs wollten ihn loswerden – wegen „interner Probleme“. Lorenz war ratlos, doch dann drang das Gerücht auch zu ihm vor: Im Klub hieß es, er sei homosexuell und deshalb ungeeignet für die Arbeit mit den jungen Männern. Dass Martin Lorenz nach eigenen Angaben gar nicht schwul ist, spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr – der Verdacht genügte. Als der DED ihn nach weiteren sechs Wochen immer noch nicht abgezogen hatte, intervenierte der deutsche Botschafter, der gleichzeitig Präsident des Fußballklubs ist, und veranlasste die Versetzung nach Ghana.
In einem Schreiben an den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), an den sich Lorenz mit seinem Fall gewandt hatte, rechtfertigte das Auswärtige Amt das Vorgehen damit, dass „allein die vermutete Annahme einer abweichenden sexuellen Identität“ sowohl für Lorenz als auch für das Projekt „nicht absehbare Risiken“ geborgen hätte. Martin Lorenz kann diese Argumentation durchaus nachvollziehen. „Aber ich hätte mir gewünscht, dass die Angelegenheit offen besprochen wird – auch mit den Afrikanern. Das wäre nicht leicht gewesen, aber es wäre gegangen.“ Dem DED macht Lorenz keine Vorwürfe. „Die hatten wohl keine Wahl mehr, nachdem der Botschafter sich eingeschaltet hatte.“
In einem Punkt werden schwule und lesbische Entwicklungshelfer gegenüber ihren heterosexuellen Kollegen klar benachteiligt: Das Entwicklungshelfergesetz, das unter anderem den Unterhalt und die soziale Sicherung der Helfer und ihrer Familien regelt, erstreckt sich nur auf Eheleute, nicht aber auf eingetragene homosexuelle Lebenspartner. Die Beschwerden gegen diese Diskriminierung nehmen zu, geklagt hat aber noch keiner – obwohl laut Manfred Bruns, dem Rechtsexperten beim LSVD, die Erfolgschancen seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor drei Jahren „sehr viel günstiger“ sind. Bei der GTZ, deren Auslandsmitarbeiter nicht dem Entwicklungshelfergesetz unterliegen, sind eingetragene Lebenspartnerschaften bereits seit 2005 Ehen tariflich gleichgestellt; die Deutsche Welthungerhilfe plant die Gleichstellung in nächster Zeit.
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hätte eine Änderung des Gesetzes während ihrer Amtszeit in den vergangenen zehn Jahren begrüßt. Auch DED-Personalleiter Gerhard Wagner sagt, die Gleichstellung homo- und heterosexueller Partnerschaften wäre „ein wichtiges Signal“. Er weist aber darauf hin, dass eine Gesetzesänderung in Deutschland am „Problem der Toleranz“ in den Entwicklungsländern nichts ändere. Vorstöße für eine Reform des Gesetzes sind laut Manfred Bruns bislang stets an der CDU/CSU gescheitert. Der LSVD hofft nun, dass die FDP sich dafür stark macht, sollte sie an der Regierung beteiligt werden.
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