Die EU-Kommission lobt den Abschluss mit Südkorea als „den am meisten umfassenden Handelsvertrag, der jemals von der EU ausgehandelt wurde“. Für wertmäßig 98,7 Prozent aller Importe würden die Zölle ermäßigt oder ganz beseitigt, nichttarifäre Handelshemmnisse würden ausgeräumt und Dienstleistungen weitgehend liberalisiert. Das Abkommen sei damit das erste einer neuen Generation von Freihandelsverträgen, die Bereiche erfassen, die über die in der Welthandelsorganisation (WTO) erreichbaren Marktöffnungen hinausgehen.
Autor
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".Für die Grünen ist das Ansinnen der EU „skandalös“
Der EU-Ministerrat hatte nichts dagegen einzuwenden, und auch das EU-Parlament gab im Februar mit großer Mehrheit seinen Segen. Einzig von der Grünen-Fraktion gab es Kritik, denn der Vertrag verlangt von der koreanischen Regierung, dass sie bestimmte gesetzliche Regeln für „sensitive“ Güter ändert, etwa für Autos oder pharmazeutische und elektronische Produkte. Südkorea hat zum Beispiel die Normen des US-Staats Kalifornien für Autoabgase übernommen, die es den EU-Herstellern laut Kommission sehr schwer machen würden, auf dem südkoreanischen Markt zu bestehen. Der französische Abgeordnete Yannick Jadot und Vorsitzende der Fraktion der Grünen nannte das Ansinnen der EU „skandalös“. Denn das bedeute, „dass die europäischen Ansprüche in Sachen Klimawandel nichts gelten, sobald es um Profit geht“. Zudem sei das Abkommen mit Südkorea ein „gefährlicher Präzedenzfall dafür, dass die EU nun auch anderen Handelspartnern ökologisches und soziales Dumping auferlegt“.
Um einen weiteren, nicht weniger ehrgeizigen Freihandelsvertrag verhandelt Brüssel derzeit mit Indien. Auch dort geht es um weit mehr als Zollermäßigungen, doch die indischen Verhandler erweisen sich bisher als schwierigere Partner, etwa hinsichtlich des EU-Marktzugangs für Dienstleistungen. Daran ist besonders den Banken und großen Handelsketten wie Metro, Rewe oder Carrefour gelegen.
Besonders heikel sind die Verhandlungen über den Umgang mit Pharmaprodukten. Indien liefert derzeit fast vier Fünftel aller generischen, also nachgebauten, Arzneimittel im Welthandel; bei Medikamenten zur Aids-Behandlung ist der Anteil sogar noch größer. Brüssel will in dem Abkommen mit Indien den Patentschutz für Medikamente verschärfen, was die Herstellung von Generika erschweren würde. Hilfswerke weltweit sind deshalb höchst alarmiert. Zwar betont die EU-Kommission, sie wolle keineswegs die Exporte indischer Generika unterbinden, sofern sie den Regeln der WTO entsprechen. Sie besteht aber auf einer Regelung für „geistiges Eigentum“, die genau dies bewirken würde: Für die Zulassung von artgleichen Stoffen dürften sich die Hersteller dann nämlich nicht mehr wie bisher auf die medizinischen und klinischen Daten berufen, die bereits für die Zulassung der Originalpräparate vorgelegt wurden. Brüssel will die Frist, in der ein Hersteller diese Daten unter Verschluss halten darf, erheblich verlängern, sogar weit über die Zeit für geltende Patente hinaus. Die indischen Hersteller müssten folglich alle Tests wiederholen, ehe sie ein generisches Medikament auf den Markt bringen dürfen.
Der Vertrag mit Indien wird wohl erst nächstes Jahr fertig
Noch beim EU-Indien-Gipfeltreffen im vorigen Oktober hatte sich die Kommission zuversichtlich gezeigt, den Vertrag möglicherweise bis Ende des vergangenen Jahres abzuschließen. Jetzt wird ein Abschluss für kommenden Sommer angestrebt – beziehungsweise „auf jeden Fall noch in diesem Jahr“. Doch das hält selbst die hartnäckigste Industrielobby für unwahrscheinlich: Im besten Fall sei das fürs Frühjahr 2012 möglich, sagte ein Sprecher des mächtigen Unternehmensverbands BusinessEurope. Wörtlich: „Wir fangen gerade erst an mit den wirklich sensiblen und komplexen Fragen.“
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