Die US-amerikanische Journalistin Adriana Carranca gibt in ihrem Buch einen fundierten Einblick in die weltweite evangelikale Bewegung und ihre Verflechtungen mit der US-amerikanischen Politik. Und sie zeigt, wie evangelikale Missionare undercover in der islamischen Welt den christlichen Glauben verbreiten wollen.
Gleich auf den ersten Seiten erzählt Carranca die Geschichte eines jungen Irakers, der 2007 als Lastwagenfahrer für die US-Armee bei einem Angriff schwer verwundet wird. In den folgenden Monaten im Lazarett beginnt er, „zum amerikanischen Gott“ zu beten. Dass es die Amerikaner waren, die den Krieg in sein Land gebracht haben, kommt ihm nicht in den Sinn. Später wird er als Konvertierter nach Jordanien fliehen, wo er in Kontakt mit Missionaren kommt, die auch „zum amerikanischen Gott“ beten. Sie stammen aus Lateinamerika, Südafrika und Südkorea.
„Soul by Soul“ handelt vom weltweiten Evangelikalismus, seinen US-amerikanischen Wurzeln und Verflechtungen mit der christlichen Rechten in den USA sowie von den Strategien, mit denen er die gesamte Welt zum Christentum bringen will. Carranca erklärt, welche Rolle der zentrale Begriff des „10/40-Fensters“ dabei spielt: Evangelikale meinen damit die Länder zwischen dem 10. und 40. nördlichen Breitengrad, also in Afrika, dem Nahen Osten und Asien, wo die Mehrheit der Muslime, Hindus und Buddhisten lebt. Dieser sogenannte Widerstandsgürtel verhindert nach evangelikaler Weltsicht, dass das Christentum endlich die ganze Welt für sich gewinnt.
Missionierung von Muslimen wird drakonisch bestraft
In diesem 10/40-Fenster ist Mission besonders gefährlich. Denn in vielen islamischen Ländern wird der Abfall vom Glauben und erst recht die Missionierung von Muslimen drakonisch bestraft. Weil diese nach den Militäreinsätzen der US-Armee im Irak und in Afghanistan für US-amerikanische Missionare besonders gefährlich geworden ist, werden dafür nun verstärkt Missionare aus Lateinamerika ausgebildet – dort verzeichnet der Evangelikalismus seit Jahrzehnten besonders hohe Zuwachsraten.
Normalerweise lassen sich Undercovermissionare in der islamischen Welt nicht einfach von Journalisten über die Schulter schauen. Ihr Überleben hängt von der Geheimhaltung ihrer verborgenen Absichten ab. Durch jahrelanges Recherchieren und Netzwerken ist es Carranca jedoch gelungen, direkten Kontakt zu einem brasilianischen Pastor aufzubauen, der selbst in Afghanistan missioniert hat und für die Ausbildung zahlreicher Missionare zuständig ist. Er bringt die Journalistin mit Missionaren und Konvertierten in Afghanistan, Pakistan, im Irak, Syrien, Ägypten und der Türkei zusammen, die nach außen ein normales Leben als Lehrer oder Krankenpfleger führen. Carranca bekommt Zugang zu Untergrundgemeinden und Hauskirchen und kann am Familienleben der Missionare teilhaben.
Sie möchte die persönlichen Motive und Überzeugung der Menschen verstehen, die sich und ihre Familien freiwillig in Gefahr bringen. Erschütternd ist das Beispiel einer südafrikanischen Missionarsfamilie in Kabul, deren Einsatz mit dem Tod des Mannes und der beiden Kinder endet. Nur die Frau überlebt. Im Tod ihrer Familie sieht sie ein Opfer, das man bereit sein müsse zu bringen, wenn die Menschen zu Jesus finden sollen.
Genialer Schachzug des Allerhöchsten?
Carranca macht deutlich, wie im evangelikalen Weltbild alles in den großen Plan eines Gottes eingeordnet wird, der die gesamte Menschheit getauft sehen will. So werden auch die großen Flüchtlingsbewegungen weltweit als genialer Schachzug des Allerhöchsten verstanden, der damit seine Missionare schützen will. Denn nun kommen die Missionsobjekte direkt vor die eigene Haustür.
Adriana Carranca gelingt es, ein heikles und kompliziertes Thema verständlich zu erklären. Sie stellt Menschen vor, die bereit sind, für ein höheres Ziel einen extrem hohen Preis zu zahlen. Dass die Autorin deren Ziele und Überzeugungen nicht teilt, verheimlicht sie nicht. Doch an keiner Stelle führt sie ihre Gesprächspersonen vor. Genau das macht das Buch nicht nur informativ, sondern auch lesenswert.
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