Die Tücken des gewaltfreien Widerstands

In ihrem Sammelband gehen die Herausgeber der Frage nach, ob und wie gewaltfreie gesellschaftliche Machtveränderungen möglich sind. Am Beispiel Syrien und Sudan erscheint das Fazit ernüchternd.

Die Herausgeber Guillaume Gamblin, Pierre Sommermeyer und Lou Marin schildern Episoden zivilen Ungehorsams aus der Frühzeit der Aufstände in Syrien – der Phase friedlicher Massendemonstrationen zwischen 2011 und 2013 – sowie Aktionen der „Republikanischen Brüder“ aus dem Sudan zwischen 1983 bis 1985. Dazu haben sie Zeitzeugen befragt und Berichte aus dem Internet ausgewertet. Warum sie eben diese Episoden ausgewählt haben, erklären sie nicht. Aus vielen Schilderungen spricht allerdings die Annahme oder besser gesagt die Hoffnung, dass die friedliche Revolution trotz aller zwischenzeitlichen Gewalt am Ende siegen werde.

Geschildert werden rührend anmutende Streiche von syrischen Jugendlichen, die die Schlösser eines Regierungsgebäudes mit Sekundenkleber füllten, aber auch Begebenheiten, bei denen einzelne Widerstandskämpfer getötet wurden. Erst die Gründung bewaffneter Widerstandsgruppen im Herbst 2011 wie etwa der Freien Syrischen Armee (FSA) und der Terrormiliz IS sowie die Intervention Saudi-Arabiens, der USA und Russlands hätten aus dem Traum der sozialen Revolution einen Albtraum gemacht.

Den zweiten Teil des Buches widmen die Autoren der gewaltfreien Massenbewegung im Sudan, die weitgehend vom Sufi und Islamgelehrten Mahmud Taha geprägt wurde, der den Koran modern und liberal interpretierte. Von den 1950er bis in die 1980er Jahre habe er sich als Wortführer der antikolonialistischen sozialen Bewegung „Republikanische Brüder“ für eine demokratische, föderalistische Struktur des unabhängig gewordenen Landes eingesetzt. Allerdings verlor seine Bewegung den Kampf gegen die Klanstrukturen, die von der britischen Kolonialverwaltung installiert worden waren und einigen Großfamilien zu unumschränkter Macht verhalfen. Mahmud Taha, der als Wortführer der Gewaltfreiheit und als Anarchist beschrieben wird, wurde 1985 wegen „erwiesener Apostasie“ (Ketzerei) hingerichtet.

Die Autoren rechnen sich dem „gewaltfreien Anarchismus“ zu. Ihre Schilderungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass Gewaltfreiheit keine Perspektive hat. Die Herausgeber äußern sich dazu aber nicht – sei es, weil sie den Widerspruch nicht wahrnehmen oder weil sie ihn nicht wahrnehmen wollen. Alles in allem ist das Buch keine Analyse der politischen Ereignisse und gesellschaftlichen Entwicklungen in der arabischen Welt. Auch bietet es keine Erklärung, warum nach friedlichen Volksaufständen so oft kleine Gruppen die Macht an sich reißen und ein noch brutaleres Regime errichten als das gestürzte und warum es so unendlich schwierig ist, dies zu verhindern.

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