Der Wirtschaftswissenschaftler Hartmut Sangmeister und die Politikwissenschaftlerin Heike Wagner möchten in ihrem Sammelband Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Entwicklungspolitik abwägen. Ein roter Faden ist dabei allerdings nicht zu erkennen.
Die weltweite digitale Vernetzung eröffnet der Entwicklungspolitik neue Perspektiven, betonen die Herausgeber in ihrem Vorwort. Vor allem beim Datenschutz oder dem ungleichen Zugang zum Internet seien aber auch Risiken damit verbunden. Die Beiträge des Sammelbandes, die auf eine Akademietagung der Diözese Rottenburg-Stuttgart zurückgehen, diskutieren Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Entwicklungszusammenarbeit und vereinen akademische Reflexionen mit Praxisbeispielen aus dem entwicklungspolitischen Alltag.
So skizziert Mitherausgeber Sangmeister in seinem einleitenden Beitrag, wie die Entwicklungspolitik digitale Instrumente nutzen könnte. Einer seiner Vorschläge: die Vereinbarungen zwischen Geber- und Nehmerländern online stellen. So würde „obskuren Verschwörungstheorien“ der Boden entzogen, denn die Verträge wären ja für alle nachvollziehbar. Beim Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist das bereits Praxis: Die Evaluation von BMZ-Projekten ist online abrufbar. Gleichzeitig weist er auf mögliche Gefahren hin und zitiert Prognosen der Weltbank, zwei Drittel der Jobs in Entwicklungsländern könnten durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung wegfallen.
Davon berichtet auch Philipp Keil, Geschäftsführer der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg. So habe die Bekleidungsfirma Adidas einen 3-D-Drucker entwickelt, mit dem Laufschuhe hergestellt werden. Wegen dieser technologischen Innovation habe Adidas Fabriken in Entwicklungsländern geschlossen und die Produktion nach Deutschland verlagert. Das Beispiel zeige, „wie Niedriglohnländer ihren Wettbewerbsvorteil durch digitale Innovationen verlieren können“, schreibt Keil. Der Autor warnt vor einer neu aufgelegten Modernisierungstheorie, nach der technologischer Fortschritt allein für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen kann.
GIZ-Mitarbeiterin Lea Gimpel kehrt den Blick nach innen: Sie beschreibt, wie sich das Arbeitsumfeld der deutschen Entwicklungsorganisation verändert hat. Sie berichtet von hausinternen Fortbildungen, die altgediente Führungskräfte und jüngere Mitarbeiter zusammenbringen. So könnte die ältere Generation von denen lernen, die mit Smartphones und Apps aufgewachsen sind. Leider wirft Gimpel reichlich mit Fachbegriffen aus der Managementliteratur um sich. Nicht Eingeweihten kann davon schwindlig werden – und auch Eingeweihte fragen sich, ob das Vokabular geeignet ist, die Arbeitsweise einer Entwicklungsorganisation zu beschreiben.
Ein roter Faden, der sich durch den Sammelband zieht, ist nicht zu erkennen: In weiteren Beiträgen geht es um die Rolle von Satellitenbildern bei der Auswertung von Entwicklungsprojekten, „ethische Fragen der Digitalisierung“ oder Konflikte um Rohstoffe, die für den Bau von Smartphones benötigt werden.
Auch was unter „Digitalisierung“ zu verstehen ist, wird nicht klar definiert. Stattdessen werden verschiedenste Phänomene vom Internet bis zum 3-D-Drucker unter dem Begriff verhandelt. Vor allem die Praxisbeispiele bieten dennoch einen interessanten Einblick in das Innenleben der Entwicklungsorganisationen. Bei den akademischen Beiträgen wirkt die Verbindung von Digitalisierung und Entwicklungspolitik dagegen manchmal etwas künstlich.
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