Abgründe zwischen Recht und Unrecht

Die historische Prachtstraße Rotten Row gibt es nicht nur in London, sondern – wegen des kolonialen Erbes der Briten – auch in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe. Das dortige Strafgericht hat die Autorin Petina Gappah zu bildreichen Kurzgeschichten über die zerstörerischen Folgen der Diktatur inspiriert.

Dass die promovierte Juristin aus Simbabwe, die mehrere Jahre in Genf gearbeitet hat, mit Fragen des Völkerrechts vertraut ist, merkt man ihren Geschichten an. So erkennt ihre junge simbabwische Protagonistin Pepukai bei einem kurzen Aufenthalt im westafrikanischen Sierra Leone, dass der dortige Sondergerichtshof so gut wie nichts zur Aufarbeitung von Bürgerkriegsverbrechen beiträgt. Wir treffen Pepukai aber auch in einer ganz anderen Rolle, nämlich als Kundin im Friseursalon „Schneewittchen Hairstyling“ in Harare. Hier versetzt Petina Gappah ihre Leserinnen in eine aufdringlich nach Haarspray duftende Frauenwelt, in der Klatsch und Tratsch mit modischen Schönheitsidealen und knallharten Geschäftsinteressen zusammentreffen: Weibliche Alltagserfahrungen durchziehen ihre Geschichten.

Die Autorin macht auch die strukturelle Mangelwirtschaft greifbar – etwa wenn sie beschreibt, wie viel strategische Planung es erfordert, einfache Haarpflegemittel zu beschaffen, oder wie im Metzgerladen die Knochensäge nur dann surrt, wenn gerade einmal die Fleisch- und Stromversorgung funktioniert. Dabei sind es ohnehin nur die Privilegierten, die hier im Friseursalon zusammenkommen. Ganz selbstverständlich besprechen die Frauen nicht nur Schönheits- und Versorgungsfragen, sondern auch den Mord an ihrer Kollegin Kindness. Sie wurde am Abend zuvor von einem ihrer reichen Liebhaber umgebracht – war es der Arzt oder der Drogenhändler?

Frauen sind für Gappah aber keineswegs nur Opfer eines diktatorischen und repressiven Regimes, sondern auch Täterinnen. Das hat die preisgekrönte Autorin schon in ihrem Roman „Die Farben des Nachtfalters“ bewiesen. Dort brauen sich schlimme Kindheitserfahrungen, Glaube an übersinnliche Kräfte und erdrückende Machtverhältnisse zu einem giftigen Cocktail zusammen, der eine Mutter zur Mörderin ihrer eigenen Kinder werden lässt.

Auch in diesen Kurzgeschichten stellt die Autorin die Frage nach der individuellen Schuld. Etwa der am Tod von Gidza, dem Geldeinsammler in einem Minibus. Ihn kostet das vermisste Mobiltelefon eines Fahrgastes das Leben, weil niemand den aufgebrachten Mob stoppt, der in ihm den Dieb sieht. Für Passanten wie die fromme Christin oder die ansonsten couragierte Marktfrau ist Gidzas gewaltsamer Tod nur ein Spektakel. Selbst der wohlhabende Mobiltelefonbesitzer ignoriert den Vorfall – und widmet sich seiner jungen Schwägerin, die ihm schließlich sein Handy bringt. Er hatte es zu Hause vergessen.

An alltäglichen Situationen und mit einer bildreichen Sprache zeigt Gappah, wie Gewalt Mitmenschlichkeit erstarren und Courage schwinden lässt. Sie ist keine politische Schriftstellerin, aber wer verstehen will, was die jahrzehntelange Mugabe-Herrschaft in der simbabwischen Gesellschaft angerichtet hat, dem sei dieses Buch empfohlen. Das gilt auch für Mitarbeitende in Entwicklungsorganisationen, die nun wieder Projekte und Programme in Simbabwe planen. Denn die Kurzgeschichten fordern auf zum Nachdenken über die Grauzonen zwischen Recht und Unrecht, Schuld und Strafe.

 

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