Stimmen, stärker als Waffen

Mali ist bekannt für seine rege Weltmusikszene, die allerdings zunehmend durch militante Islamisten bedroht ist. Lutz Gregors Dokumentarfilm zeigt, wie sich vier malische Musiker für einen toleranten Islam und ein freies multireligiöses Mali einsetzen.

Die vier Protagonisten, die in ihrer Heimat als Stars gelten, bilden exemplarisch das breite Spektrum musikalischer Stilrichtungen in einem der ärmsten Länder der Welt ab, das als Wiege des Blues gilt. Die Songwriterin und Schauspielerin Fatoumata Diawara, die lange in Frankreich gelebt hat, spricht in ihren oft autobiographisch grundierten Balladen meist die Lage der Frauen an. Der traditionsbewusste Griot und Grammy-nominierte Weltmusiker Bassekou Kouyaté, der auf dem elektrisch verstärkten Saiteninstrument Ngoni den Bogen von der väterlichen Überlieferung zur modernen Rockmusik schlägt, spielt vorwiegend für die herrschende Klasse. Dagegen kritisiert der junge Rapper Master Soumy mit frechen Texten die Regierung und prangert soziale und politische Missstände an. Der virtuose Gitarrist Ahmed Ag Kaedi und Leiter der Tuareg-Band Amanar aus Nordmali wiederum ist vor den Dschihadisten in die Hauptstadt Bamako geflohen. Sie hatten ihm nach ihrer Machtübernahme Anfang 2012 im Norden Malis angedroht, seine Finger abzuschneiden. Im Bamako ist er jedoch unglücklich, weil er die Wüste vermisst.

Obwohl  französische und malische Soldaten 2013 die Extremisten aus den großen Städten wie Timbuktu und Gao vertrieben haben, haben sich Terroranschläge inzwischen auch auf den Süden ausgebreitet.Musiker, die öffentlich auftreten, haben also durchaus Anlass zur Besorgnis. Dennoch lassen sich  die vier nicht unterkriegen. Sie treten mit ihrer Musik offen für Frieden und Toleranz ein und mahnen einen gesellschaftlichen Wandel an. „Wir Musiker haben Stimmen, die stärker sind als Waffen“, betont Kouyaté.

Besonders klar spricht Master Soumy Probleme wie Machtmissbrauch, Korruption und Extremismus an: In seinem Song „Explique ton islam“ (Erklär deinen Islam) fordert der Hiphopper, der sich als „Anwalt der Straße“ versteht, Rechenschaft von den Fanatikern für deren Untaten im Namen des Islam. Und die Wirkung seiner Worte sollte man nicht unterschätzen: Mehr als die Hälfte der Malier ist unter 18 Jahre alt, und viele von ihnen hören ihm zu.

In den Vordergrund seines zweiten Langfilms rückt Regisseur Lutz Gregor jedoch Diawara. Er begleitet den Shooting Star des Afropop bei der Fahrt in ihr Heimatdorf, das sie in jungen Jahren abrupt verließ, um einer arrangierten Hochzeit zu entgehen. Dort versöhnt sie sich mit ihrer Mutter und singt vor einer Frauengruppe ein Protestlied gegen die Zwangsbeschneidung von Mädchen. Auch werden  wir Zeuge ihres ersten Konzerts in Mali. Zwar hat die Musikerin weltweit schon Hunderte Konzerte gegeben, aber erst 2014 trat sie vor Tausenden Besuchern auf dem „Festival sur le Niger“ in Ségou auf. Auf der Bühne vereinte sie sich dort mit Kouyaté und Soumy zu einem All-Star-Auftritt, mit dem der Film beginnt. Auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen 2016 erhielt Diawara eine besondere Auszeichnung für „ihren unbeugsamen Willen, sich die Musik in finsteren Zeiten nicht verbieten zu lassen“.

Mit ruhiger Hand kombiniert Gregor Konzertausschnitte, Statements und Diskussionen der Musiker mit visuellen Impressionen des Alltagslebens und von Fahrten über Land, die mit Liedern der vier Musiker unterlegt sind, zu einem kurzweiligen Roadmovie. Bezeichnend ist, dass die Musiker sich untereinander auf Französisch verständigen, aber meist in anderen afrikanischen Sprachen singen. Diese sprachliche Vielfalt ist eine starke Metapher für das Leitbild einer friedlichen Koexistenz in einem Land, das über 300 Ethnien vereint.

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