Klimawandel als Schicksal

Der Dokumentarfilm des Schweizer Regisseurs Matthias von Gunten schlägt einen weiten Bogen vom Norden Grönlands bis zu einem kleinen Inselstaat im Pazifik. Die Menschen in Thule und in Tuvalu bekommen die Folgen der globalen Erderwärmung besonders deutlich zu spüren.

Der Inuit Rasmus lebt mit seiner Familie am nördlichsten bewohnten Ort der Erde. Das Eis vor Thule, erklärt er, sei in den 1990er Jahren noch zwei Meter dick gewesen – nun sind es nur noch 30 Zentimeter. Die Bucht sei früher bereits im Oktober zugefroren, zuletzt sei es erst im Januar soweit gewesen. Am Strand einer Tuvalu-Insel zeigt derweil der Fischer und Kanubauer Patrick, wie das steigende Meer Palmen unterspült, das Grundwasser versalzt und Gemüseäcker unfruchtbar macht, während der jährliche Regen ausbleibt und das Trinkwasser knapp wird.

Der Film besticht durch seine klare Erzählstruktur. Er wechselt zwischen den beiden Schauplätzen, wobei die Montage manchmal so geschickt gestaltet ist, dass man den Ortswechsel kaum bemerkt. Etwa wenn Rasmus Jagdgerät im Meer säubert und nach dem Filmschnitt Patrick sein Fischernetz auswirft. So beschaulich die imposanten Naturaufnahmen aus dem hohen Norden und dem vorgeblichen Südseeparadies auch wirken, sie sind geprägt von der Ironie des Schicksals: Ausgerechnet die industriefernen Regionen leiden am stärksten unter den Langzeitfolgen der Industrialisierung.

Von Gunten kommt ohne Off-Kommentar und Experten aus. Hintergrundinformationen liefern eingeblendete Schrifttafeln. Auf einer liest man, dass der Meeresspiegel weltweit um sieben Meter steigt, falls das gesamte Eis Grönlands schmelzen sollte. Die Eismassen, die bei Thule schwinden, tragen also maßgeblich dazu bei, dass Tuvalu früher oder später überspült wird. Der höchst Punkt der polynesischen Inselgruppe liegt nur vier Meter über dem Meer. In den vergangenen 20 Jahren ist das Wasser dort bereits um 19 Zentimeter gestiegen. Kein Wunder, dass sich viele Einwohner Sorgen machen. Wer es sich leisten kann, wandert nach Neuseeland aus – wie die Lehrerin Foini mit ihrer Familie. 

 

Doch was wird aus den ärmeren Bewohnern? Viele Gläubige hoffen auf Gottes Hilfe und verweisen auf das Bibelwort, laut dem nach der Sintflut keine zweite Flut mehr folgen soll. Der 71-jährige Vevea, der sechs Frauen und 21 Kinder hat, ist pragmatischer und fordert eine Evakuierung an einen sicheren Ort. Die Regierung des ebenfalls bedrohten Inselstaats Kiribati macht schon Nägel mit Köpfen: Sie hat beschlossen, das Territorium aufzugeben und die Einwohner umzusiedeln.

Im direkten Vergleich trifft die Erderwärmung die Tuvalesen härter als die Grönländer. Die traditionellen Inuitjäger, die heute noch ihre Familien mit der Jagdbeute ernähren können, müssen vermutlich den Beruf wechseln. Rasmus etwa wird vielleicht Fischer, weil vor Nordgrönland nun mehr Fische als Robben und Narwale auftauchen. Sie können zumindest bleiben. Die polynesischen Inselbewohner dagegen können nicht mehr lange nachts mit der Lampe fliegende Fische fangen. Sie werden bald gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Auf sie warten dann in Neuseeland schlecht bezahlte Aushilfsjobs in Fastfood-Restaurants wie bei Foinis Kindern. Ihre traditionellen Riten und Gesänge vermissen diese Klimaflüchtlinge schon heute. Sie werden nicht die letzten sein: Weltweit leben rund 150 Millionen Menschen in Gebieten, die der steigende Meerespegel bedroht.

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