Laut Schätzungen soll die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen steigen. Wie sollen sie satt werden? Valentin Thurn hat sich auf die Suche gemacht.
Von Bonn bis Kyoto, von Milwaukee bis Mosambik reicht das dokumentarische Road Movie Thurns, der 2011 einen ähnlichen Erkundungstrip für seine Dokumentation „Taste the Waste“ über die Verschwendung von Lebensmitteln gemacht hat. In sieben Themenblöcken werden Grundelemente des Ernährungssystems beleuchtet: Saatgut, Dünger, Fleisch, Futtermittel, Innovation, Preise und alternative Pilotprojekte. Thurn geht auf Pioniere der Agrarindustrie ebenso zu wie auf Biobauern, besucht Laborgärten und Gentechnik-Schmieden. In nüchternen Off-Kommentaren nimmt er Stellung. Im Zuge der Recherchen wird sichtbar, dass es so wie jetzt auf Dauer nicht weitergehen kann.
Thurn zeigt Sackgassen auf wie die Gewinnung von Kalidünger, dessen Vorräte in 50 Jahren aufgebraucht sein werden, und beschreibt Irrwege wie den Anbau von industriell erzeugtem Hybridreis in Indien. Er bringt zwar weit höhere Erträge als herkömmlicher Reis, stirbt aber nach fünf Überschwemmungstagen ab, die die konventionellen Sorten locker überstehen. Ferner präsentiert Thurn Errungenschaften der Spitzenforschung wie Ersatzfleisch aus Rinderstammzellen in einem niederländischen Labor.
Mit detektivischem Spürsinn erkundet Thurn Lösungsansätze wie die japanische Pflanzenfabrik Spread Inc. Hier können Arbeiter in sterilen Hallen neun Mal im Jahr Gemüse ernten, das in hohen Stellagen auf bis zu 16 Etagen ohne jede Erde wächst. „Wir erreichen die 100-fache Ernte auf der gleichen Anbaufläche“, sagt Direktor Shinji Inada. Doch die 250 Pflanzenfabriken in Japan rechnen sich mit ihrem hohen Stromverbrauch für die Beleuchtung nur, weil dort Ackerland knapp und die Lebensmittelpreise hoch sind. Thurns Resümee: „Für Entwicklungsländer sind sie keine Lösung.“
Der Autor vermeidet jede Anklage oder Polemik, wägt Pro und Contra sorgfältig ab, lässt aber bei der Schilderung von Öko-Konzepten wie dem Urban Farming in Milwaukee erkennen, wo seine Sympathien liegen. Sein größtes Verdienst ist, dass er – wie schon in „Taste the Waste“– komplexe Zusammenhänge verständlich erklärt, etwa die Manipulation der Lebensmittelpreise durch Spekulanten und die Ernährungskrisen von 2008 und 2011. Das Schlusskapitel der filmischen Odyssee porträtiert vier Initiativen mit regionaler Ausrichtung, die vom Weltmarkt unabhängig sein wollen. Dazu gehört das britische Projekt „Incredible edible“: „Guerilla-Gärtner“ okkupieren Bahnsteige und Parkplätze, um Sträucher mit essbaren Früchten zu pflanzen.
„Die Lösung der großen Probleme liegt im Kleinen“, konstatiert Thurn und verweist auf das Potenzial der Kleinbauern in Asien und Afrika, die mehr aus begrenzten Landflächen herausholen und dafür sorgen können, dass Lebensmittel und Einkünfte besser verteilt werden. Ob das tatsächlich den Hunger von zehn Milliarden Menschen stillen kann, bleibt zu diskutieren. Im Abspann wird noch erklärt, dass Insektenfarmen wie in Thailand auch in Afrika entstehen – laut Welternährungsorganisation FAO soll die Insektenzucht in zwei Jahrzehnten zehn Prozent der weltweiten Proteinversorgung decken. Und dass inzwischen 80 Städte in Großbritannien und 500 Städte weltweit das britische Modell der „Essbaren Stadt“ kopieren.
Reinhard Kleber
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