Für ein Leben in Würde

Millions Can Walk - Marsch für Gerechtigkeit
Schweiz, 2013. 88 Minuten
Kinostart: 2. Oktober 2014

Indien ist noch immer stark von seinem traditionsreichen Kastensystem geprägt. Unterprivilegierte können ihre Bürgerrechte nur schwer durchsetzen. Ein Schweizer Dokumentarfilm zeigt, wie das trotzdem gelingen kann.

Im Oktober 2012 brechen im indischen Gwalior rund 100.000 landlose Bauern und Ureinwohner zu einem Jan Satyagraha, einem Marsch für Gerechtigkeit, in die 400 Kilometer entfernte Hauptstadt Neu-Delhi auf. Unter sengender Sonne gehen sie über gesperrte Straßen, trotzen Hunger, Durst und Entbehrungen und schlafen unter freiem Himmel, um gemeinsam für eine Existenz in Würde zu demonstrieren. Manche werden krank und müssen umkehren, die meisten halten durch.

Die Demonstranten sind Opfer einer systematischen Vertreibung. Bauern, sogenannte Unberührbare und Ureinwohner mussten ihr Land verlassen, damit Konzerne oder der Staat dort Stahlwerke, Erzminen, Staudämme oder Brücken errichten konnte. Die Eigentümer oder Nutzer der Böden wurden in der Regel nicht entschädigt. Im Laufe der Jahre wurden rund 20 Millionen Menschen vertrieben, von denen viele in den Slums der Metropolen landen.
Organisiert wurde der Protestzug von der Volksbewegung Ekta Parishad, die sich nach dem Prinzip der Gewaltlosigkeit dafür stark macht, die Lebensbedingungen der 80 Millionen Ärmsten Indiens zu verbessern. Sie sollen die Kontrolle über ihre Ressourcen zurückbekommen, über Land, Wald und Wasser. Der charismatische Kopf der Bewegung ist der Präsident der nationalen Gandhi-Stiftung, Rajagopal P. V., ein Aktivist, der selbst aus einer privilegierten Kaste stammt.

Rajagopal führt den Marsch von 2012 an. Während die Menschenschlange sich vorankämpft, laufen Gespräche einer Delegation mit der Zentralregierung auf Hochtouren. Sie münden in Vereinbarungen, die bei einer feierlichen Zeremonie in Agra besiegelt werden. Land- und Obdachlose sollen Bau- und Agrarland erhalten, Ehefrauen können auch ohne ihre Männer Land erwerben. Bei Landstreitigkeiten sollen gerichtliche Schnellverfahren eingesetzt werden. Sechs Monate nach dem Marsch seien 70 Prozent der Zusagen von der Zentralregierung verabschiedet, erfährt man im Abspann des Films.

Die Dreharbeiten fanden unter erschwerten Bedingungen statt. Der Zürcher Regisseur Christoph Schaub musste auf die Hilfe des schweizerisch-indischen Regisseurs und Kameramann Kamal Musale zurückgreifen, weil ihm die Einreise verweigert wurde: Die Behörden hatten ihn auf eine schwarze Liste gesetzt. Musale dokumentierte in enger Abstimmung mit Schaub den Protestmarsch und führte Gespräche mit Teilnehmern, die teilweise in deren weit entfernten Wohnorten gedreht wurden. Diese Sequenzen lockern die Aufnahmen der Demonstration auf, die auf lange Sicht etwas eintönig wirken.
Wie stark der „Marsch der Gerechtigkeit“ der Philosophie Gandhis verhaftet ist, zeigen eindrucksvolle Schwarzweißbilder vom legendären Salzmarsch, den Gandhi als Vordenker des zivilen Ungehorsams 1930 gegen die britische Besatzungsmacht anführte.

Den Verleih des Films, der auf dem Indischen Filmfestival Stuttgart 2014 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, hat das Evangelische Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) übernommen. Es plant für Oktober eine Kino-Tour mit dem Aktivisten Rajagopal. (Reinhard Kleber)

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