Die Geschäfte der Drogenbarone

Anne Huffschmid, Wolf-Dieter Vogel u.a. (Hg)
NarcoZones. Entgrenzte Märkte und Gewalt in Lateinamerika
Assoziation A, Berlin-Hamburg 2012,
268 Seiten, 18 Euro


Mexiko und seine Nachbarländer scheinen fest im Griff der Drogenmafia. Der Sammelband informiert umfassend über deren Geschäfte und ihre Beziehungen zu den Regierungen. Doch er zeigt zugleich, wie sich die Bevölkerung dagegen zu wehren beginnt.

Zehntausende Menschen fielen in den vergangenen Jahren in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern dem Drogenkrieg zum Opfer. Doch es geht längst nicht mehr nur um Drogen, sondern um ein ausgedehntes Geschäft , das Waffenschmuggel und Menschenhandel, Raubkopien und Internetbetrug, Entführungen und Erpressungen ebenso umfasst wie karibische Touristenhotels und deutsche Einkaufzentren. Das Geschäft braucht den schwachen und korrupten Staat in den Herkunftsländern der Drogen, aber auch die Rechtssicherheit in den Abnehmerländern, und ist eng mit der formalen Ökonomie verzahnt. In dem Sammelband sind 19 deutsche und lateinamerikanische Autorinnen und Autoren vertreten, darunter Journalisten, Wissenschaftler sowie Experten aus Sicherheits- und Entwicklungspolitik und Politikberatung. Sie kommen zu dem Schluss, dass die organisierte Kriminalität heute wie jedes andere transnationale Unternehmen agiert.

Übereinstimmend stellen sie fest, dass die Gewalt vor allem in Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen hat. Verlässliche Zahlen über die Opfer liegen zwar nicht vor, aber die gefühlte Gewalt, die Zunahme an Angst und Schrecken, die Ausdruck findet etwa in Flüchtlingsbewegungen, sind Indikator genug. Die Gesellschaften befinden sich in einer„Schockstarre“. Doch gibt es nicht auch Erfolgsmeldungen? Für den renommierten Sicherheitsexperten Edgardo Buscaglia sind sie von den Regierungen inszeniert.

Investigative Journalisten leben gefährlich. Sie versuchen, Licht in die Parallelwelt des organisierten Verbrechens zu bringen: wie die Kartelle entstanden sind, was sie begünstigt, inwieweit sie bereits den Staatsapparat auf den verschiedenen Ebenen durchdrungen und gekauft haben, wie die Regierungen ihnen begegnen. Eine Erklärung für den Bedeutungszuwachs der Kartelle und die Eskalation der Gewalt der vergangenen Jahre finden die Autoren in der mexikanischen „Transition“ vom Einheitsparteisystem zu einer labilen Demokratie, neben dem zunehmenden Drogenkonsum im Land selbst. Zugleich spielte die Verarmung ganzer Landstriche als Folge der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, die Lebens- und Arbeitsgrundlagen Hunderttausender von Kleinbauern zerstört hat, in die Hände der Drogenmafia. Soziale Ungleichheit, fehlende Perspektiven für Jugendliche, ein mangelnder Zugang zu Bildung – all das begünstigt nach Auffassung der Autorinnen und Autoren das Geschäft der Kartelle. Sie ziehen ein düsteres Fazit: Der Bevölkerung fehlt jegliches Vertrauen in ihre Regierungen und die Politik generell.

Die Lage scheint ausweglos und doch es gibt ermutigende Initiativen gerade in Mexiko: etwa die Bewegung „Estamos hasta la madre“ („Wir haben die Schnauze voll“) um den Dichter Javier Sicilia; das Engagement des Befreiungstheologen Solalinde oder die indigene Gemeinde von Cherán, die ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und gezeigt hat, dass es Alternativen zum herrschenden Sicherheitskonzept der Regierung gibt. Was schlagen die Autorinnen und Autoren vor? Das Spektrum reicht von einer Stärkung der Staatsgewalt und effektiven Anti-Korruptionsmaßnahmen auf allen Ebenen, der Beschlagnahmung der Vermögen der Drogenbosse über die Reform des Justizwesens und Sicherheitssektors bis hin zu großen Investitionen in Programme zur sozialen Sicherung. Als ebenso unverzichtbar werden zivilgesellschaftlicher Druck und Netzwerke von unten gesehen, damit die Regierungen auf den nötigen Reformkurs kommen.

Die Drogenbarone brauchen rechtssichere Räume, wie sie Europa bietet, um ihr Geld zu waschen und sicher anzulegen, stellen die Autoren fest. Dazu Näheres zu erfahren, wäre interessant gewesen. Auch hätte ein Beitrag über die (vergeblichen?) Anstrengungen der deutschen Entwicklungspolitik auf dem Gebiet einer „entwicklungsorientierten Drogenkontrolle“ dem Sammelband noch eine weitere Perspektive verliehen. Trotzdem: wer sich über Hintergründe und Agieren der Kartelle und organisierten (Drogen-) Kriminalität in ausgewählten Ländern Lateinamerikas informieren möchte und genauer wissen will, wie tief diese bereits Staat, Justiz und Zivilgesellschaft durchdrungen haben und wie sich doch der Widerstand von unten langsam zu formieren beginnt, muss dieses Buch zur Hand nehmen. Es ist bemerkenswert, wie viele Details über das Phänomen der transnationalen organisierten Kriminalität darin zusammengetragen worden sind.


Werner Würtele

 

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