Bis zu 20 Tonnen Kokain exportierten Pablo Escobar und sein Kartell aus Kolumbien monatlich ins Ausland, verdienten Hunderte Milliarden US-Dollar und ermordeten jeden, der ihnen im Weg stand. Sie erschossen Politiker, Richter, Polizisten und ließen unzählige Bomben in die Luft gehen. Tausende Menschen wurden in dieser Zeit Opfer von Gewaltverbrechen. In die Geschichte Kolumbiens sind die Jahre von 1984 bis zum Tod Escobars im Dezember 1993 als Narco-Terrorismus eingegangen. Mit der Fernsehserie „Pablo Escobar – Der Patron des Bösen“ hat der kolumbianische Privatsender Caracol diese Zeit 2012 in die Wohnzimmer der Kolumbianer gebracht.
In 113 Episoden haben rund sechs Millionen Kolumbianer von Mai bis November 2012 Aufstieg und Fall des skrupellosen Mafiabosses und seines Kartells miterlebt. Sie sahen, wie der Schulabbrecher vom Kleinkriminellen zum Schmuggler aufstieg, ab 1975 ins Kokaingeschäft einstieg, die Kokain-Produktion industrialisierte und schließlich den Markt beherrschte. Das Publikum lernte einen Egomanen und Psychopathen kennen, der ein halbes Land auf seine Gehaltsliste setzte, zahlreiche junge Männer zu Auftragskillern ausbildete und jeden töten ließ, der sein Bestechungsgeld nicht annehmen wollte. Er ließ sich in den Kongress wählen und baute im Wahlkampf mit seinen Drogenmilliarden Sozialwohnungen, vergewaltigte junge Mädchen und zwang sie dann zur Abtreibung oder ließ sie sogar umbringen.
Autorin
Claudia Isabel Rittel
ist freie Journalistin und lebt in Offenbach am Main.Gleichzeitig wird der Zuschauer Zeuge eines fast ohnmächtigen Staates, der lange erfolglos versuchte, diesen Mann in seine Schranken zu weisen. „Wer seine Geschichte nicht kennt, ist verdammt, sie zu wiederholen“, heißt es im Vorspann zu jeder Episode. Und das meinen die beiden Produzenten Juana Uribe und Camilo Cano auch so. „Wir wollten die Geschichte aus der Sicht der Opfer erzählen“, sagt Uribe. Beide haben dafür gute Gründe. Sie haben prominente Opfer Pablo Escobars in der Familie: Canos Vater ist der Chefredakteur und Zeitungsherausgeber Guillermo Cano, den der Drogenbaron im Dezember 1986 erschießen ließ. Uribe ist die Nichte des liberalen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán, den Escobar im Wahlkampf 1989 ermorden ließ, und die Tochter der Journalistin Maruja Pachón, die auf Geheiß Escobars 1990 entführt wurde. Grundlage für das Drehbuch von Juan Camillo Ferrand war ein Buch des Journalisten Alonso Salazar, das als eine der umfassendsten Darstellungen des Lebens Escobars gilt. Die Serie hält sich eng an die Fakten. Die Familie von Pablo Escobar und einige weitere zentrale Figuren treten mit Klarnamen auf. Die meisten Charaktere sind nach wirklichen Personen gezeichnet, tragen aber fiktive Namen. Tote seien im Drehbuch nicht erfunden worden, betont Uribe. Fiktiv aber seien manche Alltagssituationen wie das Planen und Beauftragen der Morde. In einer der aufwendigsten Produktionen der kolumbianischen Fernsehgeschichte haben die Regisseure Carlos Moreno und Laura Mora die Serie für rund zehn Millionen Euro an etwa 450 Originalschauplätzen und mit 1300 Schauspielern gedreht. Gezeichnet wird ein realistisches Bild, das nur für übertrieben halten kann, wer die Wirklichkeit nicht kennt.
„Die Serie hat viel weniger Gewalt gezeigt, als es eigentlich gab“, sagt die Historikerin Olga Luz Jaramillo. Fast vollkommen unter den Tisch gefallen sei die Gewalt in den armen Stadtvierteln, wo Escobar seine Auftragskiller rekrutierte und die er mit Waffen überschwemmte. Viele junge Männer verloren dort ihr Leben – vor allem weil Töten für einige zur Normalität wurde. Als Folge davon seien auch rechtschaffene junge Männer aus diesen Gegenden der Stadt stigmatisiert worden, erklärt Jaramillo. Das spreche die Telenovela jedoch nicht an. Nicht dargestellt sei auch, dass die Polizei dort immer wieder Jugendliche erschossen habe. Dennoch hält Jaramillo die Produktion für sehr gelungen.
Die Kolumbianer reagierten sehr unterschiedlich auf die Serie. Manche sehen darin nur eine weitere Narco-Novela, in denen die Mafia unkritisch dargestellt wird. Sie kritisieren, Escobar gewinne nur weiter an Prominenz. Andere hingegen sehen einen gelungenen Versuch, zur Bewältigung der Vergangenheit beizutragen, und sind dankbar, ihre eigenen Erlebnisse mit Hilfe der Wiederholung besser einordnen zu können. Zum Beispiel Felipe Gracia: Er erlebte 1988 als Neunjähriger den Anschlag eines konkurrierenden Drogenkartells auf Escobars Familie mit. Er wohnte mit seinen Eltern neben einem Haus, das Escobar komplett für seine Familie gekauft hatte. Durch die Druckwelle der Detonation gingen die Fenster zu Bruch, Gracias Familie wurde aus dem Schlaf gerissen und musste danach für mehrere Monate ausziehen. „Durch die Serie“, sagt der heute 35-Jährige, „habe ich besser verstanden, was damals passiert ist.“ Davon abgesehen sei sie aber auch sehr unterhaltsam.
„Sie zeigen der jungen Generation mit diesen Mafiaserien doch nur den Weg in ein falsches Gesellschaftsmodell auf“, sagt dagegen der 34-jährige Sozialarbeiter Marlon Gutierrez aus Medellín. Und fragt: „Warum sollen wir den Schmerz denn noch mal erleben?“ Die Serie hat er sich deshalb nicht angeschaut. Historikerin Jaramillo hält dagegen: „Die Leute lesen nicht viel“, sagt sie. Und für junge Menschen sei Pablo Escobar trotz der vielen Gewalt, die er über das Land gebracht hat, immer noch ein Mythos. Die Fernsehproduktion habe dazu beigetragen, eine Sensibilität für das Thema zu schaffen. „Ich denke, die Serie hat es geschafft zu zeigen, wie grausam Pablo war“, sagt sie. Die Wochenzeitung „Semana“ bilanzierte im Dezember, nur selten sei bislang so viel über eine Fernsehserie debattiert worden. Produzent Cano sieht einen wichtigen Reflektionsprozess angestoßen. „Sehr viele haben gefragt: Ist das wirklich so passiert?“, sagt er. „Ja, das ist es. Und auch wenn sich einige dafür schämen, ist es Teil unserer Geschichte.“
Eine tiefgreifende Aufarbeitung der Vergangenheit aber hat die Fernsehproduktion nicht ins Rollen gebracht. „Drogenhändler gibt es ja immer noch“, sagt Jaramillo. Nach Escobars Tod habe sich dieses Problem verändert, verschwunden sei es noch lange nicht. Die Serie, sagt sie, habe zwar die Aufmerksamkeit wieder auf dieses Thema gelenkt. „Jeder Teil der Gesellschaft hat das aber nur von seinem jeweiligen Standpunkt aufgenommen“, sagt sie.
Der Medellíner Psychologe Andrés Vasquez sieht das ähnlich. Zwar habe es vereinzelt Diskussionsrunden gegeben. Gefehlt habe jedoch ein umfassendes Begleitprogramm, um vor allem jungen Menschen zu helfen, das Gesehene richtig einzuordnen. „Das Fernsehen hat getan, was es tun konnte“, sagt Historikerin Jaramillo. Um die Vergangenheit aufzuarbeiten, müsse aber auch vermehrt in dem Bereich geforscht werden. Doch dafür fehle oft das Geld. „Das Thema Drogenhandel rührt die Regierung nicht an“, sagt sie.
Wie präsent die Epoche Escobar noch heute in Kolumbien ist, zeigt die Tatsache, dass die im Film dargestellte Drogenhändlerin und Verbindungsfrau zur Mafia in Miami, Griselda Blanco, im September in Medellín erschossen wurde. 250 Morde sollen auf ihr Konto gehen – darunter eigene Ehemänner. 1985 war sie in den USA zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt und 2004 entlassen worden. Die ganz heißen Zeiten, in denen allein in Medellín pro Woche 20 Menschen erschossen wurden, sind zwar vorbei. Doch auch heute bleiben zahlreiche Morde ungesühnt. Und das Geschäft mit Kokain floriert weiter.
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