„In Kolumbien muss man dicke Fische angeln“

Seit 14 Jahren kämpft die Anti-Korruptionsorganisation „Transparency International“ in Kolumbien gegen Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft und Veruntreuung. Besonders schwer wiegen die Verflechtungen zwischen Paramilitärs, Drogenbaronen und Regierungsbeamten. Gründungsmitglied Rosa Inés Ospina Robledo berichtet über Erfolge und Schwierigkeiten ihrer Arbeit und über die Vertrauenswürdigkeit nichtstaatlicher Organisationen (NGO).

Vor kurzem ist der kolumbianische Botschafter in Peru, Jorge Visbal Martelo, zurückgetreten, weil er als Präsident der Viehzüchtervereinigung Beziehungen zu den Paramilitärs pflegte. Ein Fall für Transparency?

Transparency untersucht keine individuellen Fälle.

Aber es geht darum, solchen Fällen von Korruption vorzubeugen, oder? Die Verwicklung von Politikern und Funktionären mit Drogenmafia und Paramilitärs ist ja in Kolumbien kein Einzelfall.

Natürlich. Es geht darum, Korruption vorzubeugen. Allerdings ist es schwierig, Verwicklungen mit dem organisierten Verbrechen zu bekämpfen. Transparency Kolumbien hat eine Studie der Journalistin Claudia López unterstützt, die untersuchte, wie der Staat vom organisierten Verbrechen gekapert wurde. Da geht es nicht mehr darum, dass jemand einen Politiker besticht, damit der ein bestimmtes Gesetz durchbringt, sondern um die Übernahme von Lokalverwaltungen durch Banden.

Wie funktioniert das?

Die Studie untersuchte atypische Wahlergebnisse: Wenn etwa nur ein Kandidat zur Wahl stand oder wenn der Kandidat mit den meisten Stimmen gar keinen Bezug zu der Gemeinde hatte. Der Oberste Gerichtshof griff diese Fälle auf und überprüfte die verdächtigen Politiker. Das Ergebnis ist, dass viele von ihnen heute hinter Gittern sitzen. In den folgenden Wahlen haben die Parteien dann solche Politiker von ihren Listen genommen. Es ist uns also gelungen, die Justiz für solche Vorgänge zu interessieren. In Kolumbien muss man dicke Fische angeln. Leider gibt es immer wieder welche, die selbst vom Gefängnis aus noch Wahlen manipulieren.

Und manche gehen ins Exil, um sich der Justiz zu entziehen.

Ja, wie zum Beispiel María del Pilar Hurtado, die ehemalige Direktorin des Inlandsgeheimdienstes DAS, die sich abgesetzt hat, um sich nicht für systematische illegale Telefonüberwachungen unbescholtener Bürger verantworten zu müssen. Sie ging auf Empfehlung von Ex-Präsident Álvaro Uribe nach Panama und hat dort sofort Asyl bekommen.

Hat sich die Transparenz in der Politik verbessert?

Ja. Viele Parteien haben gar nicht Buch geführt über ihre Ausgaben und Einnahmen, die sie dem Wahlrat melden konnten. Wir haben ihnen eine spezielle Software zur Verfügung gestellt. Bei den letzten Wahlen herrschte bereits Meldepflicht über die Geldflüsse. Das hat die Nachforschungen nach ungeklärten Ausgaben sehr erleichtert.

Auch bei Ausschreibungen für die öffentliche Beschaffung ist Transparenz gefordert.

Dieser Bereich ist sehr anfällig für Korruption. Schon 1998 haben wir uns für sogenannte Integritätspakte eingesetzt. Das sind Abkommen zwischen staatseigenen Unternehmen oder Institutionen und den Privatunternehmen. Es wird festgelegt, welche Verhaltensweisen nicht toleriert werden und welche Strafen jemandem drohen, der sich nicht an die Vereinbarungen hält. Überwacht wird das von einem externen Beobachter. Das kann Transparency sein oder die Zivilgesellschaft. Während der Regierung von Andrés Pastrana (1998–2002) haben wir 48 solche Pakte zustande gebracht. Diese Methode wurde dann nach und nach von mehreren staatlichen Institutionen übernommen. Die großen Skandale entstehen aber nicht bei der öffentlichen Auftragsvergabe selbst, sondern weil sich Politiker oder bewaffneten Gruppen in die Vergabeverfahren einmischen.

Wie genau nehmen es nichtstaatliche Organisationen (NGO) mit der Transparenz?

Transparency International arbeitet in Kolumbien mit dem öffentlichen Sektor, den Unternehmern und seit sechs Jahren auch mit NGO zusammen. Sie müssen den Behörden viele Informationen liefern: dem Innenministerium, dem Finanzministerium, der Handelskammer. Aber gegenüber den Begünstigten wird oft sehr wenig preisgegeben. Wir haben in acht lateinamerikanischen Ländern Standards vereinbart, welche Information den Zielgruppen offengelegt werden soll: Wer sind wir? Was machen wir? Was wollen wir erreichen? Woher kommt das Geld? Es liegt an der Politik der Geber, dass die NGOs oft keine durchsichtige Buchhaltung haben. Denn jeder Geber verlangt seine eigene Buchhaltung. Also wird pro Projekt abgerechnet und der Gesamtüberblick fehlt. Besonders in Zentralamerika ist es üblich, dass NGOs so viele Buchhaltungen wie Geldgeber haben.

Nicht alle Regierungen sind glücklich über die Arbeit der NGOs.

Der frühere Präsident Álvaro Uribe hat zwischen guten NGOs, feindlichen und indifferenten unterschieden. So geht das nicht. Eine NGO kann schnell in schlechten Ruf geraten, wenn man ihr vorwirft, Geld von den „Falschen“ zu bekommen.

Aber manche NGOs werden von illegalen Gruppen missbraucht. Wie kann man bei der großen Zahl der Organisationen, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind, die vertrauenswürdigen herausfinden?

Als wir mit unserer Arbeit in Kolumbien begannen, fiel uns auf, dass manche NGOs den Kontakt mit uns mieden. Sie hatten Verbindungen zur Politik oder illegalen bewaffneten Gruppen und wollten natürlich nicht über ihre Ziele und Motive informieren. Sie haben sich selbst ausgeschlossen. Als wir einmal NGOs einluden, kamen 80. Zu Mittag waren es nur noch 30 und dann blieben 15 übrig. Bedingung für die Teilnahme war, dass sie jemand kannte. Organisationen, die niemand kennt, sind suspekt. Dieser Prozess der Selbstregulierung war sehr erfolgreich. Seit 2009 arbeiten wir in ganz Lateinamerika mit etwa 600 NGOs zusammen, die mit Entwicklung zu tun haben. In Kolumbien sind es 400.

Wissen die europäischen Spender immer, mit wem sie es zu tun haben?

Ich denke schon. Das sind bewusste Entscheidungen. Oft sind es nicht Organisationen, die wir für die richtigen halten.

Zuviel Transparenz kann aber auch gefährlich sein.

In der Tat. In Nicaragua wird es sehr schnell gegen eine NGO verwendet, wenn sie ihre Geldgeber offenlegt. In Venezuela gibt es ein unglaubliches Gesetz, das es verbietet, Geld von „ausländischen Agenten“ anzunehmen. Da kann man wegen Vaterlandsverrat angeklagt werden. Ein Problem ist auch, dass die Arbeitsgesetze in den meisten lateinamerikanischen Ländern nicht zwischen NGOs und Kleinunternehmen unterscheiden und daher die gleichen Maßstäbe angelegt werden. So gelten für eine Person, die nur für die Dauer eines Projekts beschäftigt ist, dieselben Verpflichtungen hinsichtlich Sozialversicherung oder Sonderzahlungen. Das wird aber von den Geldgebern nicht bezahlt. Deswegen müssen Leute meist als Berater mit Werkverträgen beschäftigt werden.

In Nicaragua wurden vor fünf Jahren NGOs und Frauenbewegungen verfolgt. Ist es seither besser geworden?

Nein. Das Klima ist sehr angespannt. Der Dachverband Coordinadora de la Sociedad Civil ist schwer angeschlagen. Ich denke, die Regierung hat ihr Ziel erreicht.

In welchen Ländern ist es besonders schwer, als NGO zu arbeiten?

Es gibt drei Arten von Ländern: Die einen fördern die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und schätzen sie. Zum Beispiel die Dominikanische Republik. Dann gibt es Länder wie Kolumbien, die einen brauchbaren gesetzlichen Rahmen haben. Aber manche Regierungen setzen den in der Praxis außer Kraft. Und wieder andere betrachten die organisierte Zivilgesellschaft als Feind. In Venezuela gilt der Grundsatz: Bist du nicht für mich, dann bist du gegen mich. Es wird der direkte Kontakt zu den Massen bevorzugt. Das gilt auch für Nicaragua, Bolivien und Ecuador.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

Rosa Inés Ospina Robledo
ist Gründungsmitglied von Transparency International in Kolumbien und seit 2009 Co-Direktorin des lateinamerikanischen Transparenznetzwerks „Rendir Cuentas“.

 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2012: Holz: Sägen am eigenen Ast
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