Der General steuert um

Myanmars Präsident Then Sein hat sein Land politisch und wirtschaftlich geöffnet. Westliche Regierungen und Investoren geben sich nun die Klinke in die Hand. Doch die zivilen Institutionen sind im Gegensatz zum Militär schwach. Myanmars Regierung braucht internationale Hilfe bei der nachhaltigen Entwicklung des Landes. Auch die Konflikte mit den ethnischen Minderheiten sind noch nicht gelöst.

Die birmanische Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat Anfang Mai ihren Sitz im Parlament des Landes eingenommen – ein weiterer Meilenstein in dem Prozess der politischen Öffnung, der sich seit einigen Monaten in dem südostasiatischen Land beobachten lässt. Myanmar hatte seit 1962 ununterbrochen unter Militärherrschaft gestanden; in keinem anderen Land der Welt hatten Militärs so lange und uneingeschränkt das Sagen. Die Junta unter General Than Shwe, die Anfang der 1990er Jahre an die Macht gekommen war, betonte zwar stets, dass sie nur eine Übergangsregierung sei, deren wichtigste Aufgabe darin bestehe, das Land in die Demokratie zu führen. Aber ihre Politik sprach diesem Ziel Hohn. Aung San Suu Kyi, die immer wieder mutig ihre Stimme gegen die Generäle erhob, stand mehr als 15 Jahre unter Hausarrest. Als im Herbst 2007 Hunderttausende auf die Straße gingen, um für bessere Lebensbedingungen und nationale Aussöhnung einzutreten, wurden die Demonstrationen blutig unterdrückt.

Autor

Gerhard Will

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er gehört dort zur Forschungsgruppe Asien und beschäftigt sich vor allem mit Südostasien.

Seit März 2011 zeigt Myanmar der Welt ein neues Gesicht. General Thein Sein, ein führendes Mitglied der alten Militärjunta, gab unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Präsident klar zu verstehen, dass seine Regierung zu Maßnahmen bereit sei, die wenige Monate zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte. Hunderte von politischen Gefangenen wurden ohne Auflagen freigelassen. Sie konnten – so sie denn physisch und psychisch dazu in der Lage waren – ihre politische Arbeit wieder aufnehmen.

Obgleich Aung San Suu Kyi an ihrer Kritik an der alten wie der neuen Regierung festhielt, wurde ihre Bewegungsfreiheit nicht beschnitten. Thein Sein empfing sie im August 2011 sogar zu einem persönlichen Meinungsaustausch in der neuen Hauptstadt Naypidaw. Ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (National League for Democracy, NLD), erhielt wieder eine offizielle Zulassung. Inhaftierte NLD-Mitglieder, die aufgrund einer Haftstrafe ihr passives Wahlrecht verloren hatten, bekamen es zurück. Die NLD konnte daher mit all ihren Kandidaten zu den Nachwahlen am 1. April 2012 antreten und 43 von den 45 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen erobern.

Nach Jahrzehnten der Militärherrschaft erlebt das Land eine politische Öffnung auf breiter Front. Die Pressezensur wurde weitgehend aufgehoben, der Zugang zum Internet freigeschaltet. Neue Gesetze erlauben Demonstrationen und die Gründung von Gewerkschaften und anderen Vereinigungen. Eine neue Wirtschaftspolitik begleitet den Umbau des politischen Systems. In einem mutigen Schritt wurde der offizielle Wechselkurs des Kyat (bislang waren acht Kyat einen US-Dollar wert) an den inoffiziellen Kurs angeglichen, der bei 800 Kyat für einen US-Dollar liegt. Alle Import- und Exportgeschäfte sind damit auf eine transparentere Grundlage gestellt; illegale Gewinne, die mit Hilfe von Währungsmanipulationen erzielt wurden, werden verhindert. Ein neues Investitionsgesetz gibt internationalen Investoren klare Rahmenbedingungen vor und legt Quoten für die Beschäftigung birmanischer Arbeitskräfte in internationalen Firmen fest. Es zielt darauf, der wirtschaftlichen Entwicklung eine höhere Dynamik, aber auch eine stärkere Nachhaltigkeit zu verleihen.

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In weniger als einem Jahr hat Myanmars Regierung, die lange Zeit international isoliert und immer stärker von China abhängig war, auch ihr außenpolitisches Profil stark verändert. Ein gigantisches chinesisches Dammbauprojekt im Norden des Landes setzte sie im September 2011 kurzerhand aus. Sie legte so gegenüber China eine gewisse Distanz an den Tag und bemühte sich zugleich intensiv um eine stärkere Position im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und um ein besseres Verhältnis zu Indien und den westlich orientierten Ländern.

Bei der Politik Thein Seins handelt es sich nicht um ein taktisches Zugeständnis, das ohne große Schwierigkeiten wieder zurückgenommen werden kann, sondern um eine strategische Neuausrichtung. Er will ein politisches System schaffen, das größeren Rückhalt in der Bevölkerung hat, und eine wirtschaftliche Dynamik entfalten, mit der die Ressourcen des Landes optimal entwickelt und das Leben der Menschen verbessert werden können. Die Ursachen für diesen Politikwechsel liegen weiter zurück als sein Amtsantritt im März 2011.

In der Rückschau wird deutlich, dass im Mai 2008 der Wirbelsturm Nargis, dessen verheerende Folgen und die fast 20.000 Todesopfer in der birmanischen Führung einen Schock und die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen ausgelöst haben. Thein Sein, der selbst im von Nargis verwüsteten Irawadi- Delta aufgewachsen ist, schilderte in der „New York Times“, wie er in einem Hubschrauber über das Delta flog und das ganze Ausmaß der Zerstörungen sah. Die Katastrophe offenbarte erstens die Unfähigkeit der Regierung und ihrer Verwaltung, den Opfern zu helfen. Zweitens wurde das große Selbsthilfepotenzial der Bevölkerung deutlich sowie drittens die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, den Opfern humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Bereits unter der alten Militärregierung unter General Than Shwe ließen sich erste Anzeichen eines Wandels ausmachen. Die internationale Katastrophenhilfe wurde zunächst boykottiert und wenige Tage später doch ins Land gelassen. Die Regierung lud renommierte Wirtschaftsexperten wie den Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ein, die wirtschaftliche Situation Myanmars kritisch zu analysieren und notwendige Reformschritte zu empfehlen. Auch in der Außenpolitik war man nicht länger auf China fixiert, sondern hielt Ausschau nach neuen Partnern.

Dass all dies damals allenfalls als Ablenkungsmanöver und nicht als erste Schritte einer politischen Neuorientierung aufgefasst wurde, lag daran, dass es sehr begrenzte, vereinzelte Maßnahmen waren, die kein neues Gesamtkonzept erkennen ließen. Zudem waren in der Innenpolitik kaum neue Ansätze wahrzunehmen. Die Hoffnung, dass die Wahlen im November 2011 zu einem offeneren politischen System führen würden, wurde zunächst schwer enttäuscht. Einschränkungen bei der Registrierung der Parteien, Behinderungen im Wahlkampf und offensichtliche Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen führten zu einem haushohen Sieg der Partei des Militärs, der Union for Solidarity and Development Party (USDP); den Standards für freie und faire Wahlen genügte der Urnengang keinesfalls.

Auch China ist an stabilen Verhältnissen im Nachbarland interessiert

Sobald jedoch das neue Parlament zusammengetreten, die neue Regierung und der Ministerpräsident vereidigt und damit die in der Verfassung festgelegte Vorherrschaft des Militärs auch institutionell abgesichert waren, folgten die ersten entscheidenden Reformschritte. Das rasante Tempo lässt sich zum einen damit erklären, dass die einzelnen Maßnahmen sich gegenseitig bedingen und Reformen in einem Bereich Veränderungen in anderen Bereichen nach sich ziehen oder erforderlich machen. Zum anderen war Thein Sein als geschultem Militär bewusst, dass eine Offensive nur dann Erfolg haben kann, wenn sie mit großem Tempo und Elan vorangetrieben wird, wenn dem Gegner keine Zeit gelassen wird, sich neu zu formieren.

Bestärkt wurde er in diesem konsequenten Vorgehen von den ASEAN-Staaten und den westlichen Ländern. Deren anfängliche Skepsis wich schnell der Bereitschaft, weitere Reformschritte nicht nur mit politischem, sondern auch mit wirtschaftlichem Engagement zu belohnen. Thein Seins Politik kann daher auf günstige regionale und internationale Rahmenbedingungen bauen. Auch China, häufig nur als Schutzherr der Militärs gesehen, ist in erster Linie nicht an der Erhaltung eines autokratischen Systems, sondern an stabilen Verhältnissen in seinem Nachbarland interessiert, die es ihm erlauben, dort seine wirtschaftlichen Interessen möglichst störungsfrei zu verfolgen.

Schwerwiegende Hindernisse für die Reformen liegen jedoch in der schwachen Staatlichkeit Myanmars. Nach dem Willen der Regierung sollen die wesentlichen Voraussetzungen für eine grundlegende Erneuerung des Landes von oben geschaffen werden. Aber es mangelt an qualifizierten Fachkräften. Wichtige Entscheidungen werden derzeit von einem sehr kleinen Personenkreis um den Ministerpräsidenten getroffen. Einige Minister und andere hochrangige Regierungsvertreter müssen mehr als 20 Besprechungen pro Tag bewältigen. Politikformulierung geschieht daher oft ad hoc und entsprechend mangelhaft. Zudem fehlen auf den unteren Ebenen Verwaltungsfachleute, Manager und technische Experten, die eigene Beschlüsse fassen und Entscheidungen der Zentrale umsetzen können.

Den schwachen zivilen Institutionen steht auf regionaler und lokaler Ebene ein militärischer Apparat gegenüber, der seine Kommandostruktur seit Jahrzehnten ausbauen und mit Einkünften aus legalen wie illegalen Wirtschaftsunternehmen festigen konnte. Auf diese Weise haben sich unterschiedliche Patronage-Netzwerke herausgebildet. Einige, die sich auf mehr oder weniger marktwirtschaftliche Aktivitäten wie Fertigungsbetriebe oder Tourismus verlegt haben, profitieren von der neuen Wirtschaftspolitik und sympathisieren daher mit der neuen Regierung. Anderen, die Schutz- oder Bestechungsgelder erpresst haben, kommen die alten Strukturen vor Ort zugute; sie setzen der Reformpolitik zähen Widerstand entgegen. So ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidungen, die an der Spitze getroffen werden, das ganze Land erreichen. Es wird ein regional und lokal unausgewogener Prozess bleiben, den zu verstehen eine spezifische Analyse der jeweiligen Verhältnisse verlangt.

Für das Militär ist Förderalismus noch immer ein Unwort

Dies gilt insbesondere für die großen Gebiete des Landes, in denen ethnische Minderheiten leben. Laut Schätzungen verfügen sie über weit mehr als 50.000 bewaffnete Kämpfer. Mit Ausnahme der Kachin beziehungsweise der Kachin Independence Organisation, mit der die Regierungstruppen blutige Auseinandersetzungen führen, hat die Regierung Thein Sein mit den meisten ethnischen Gruppierungen Waffenstillstandsvereinbarungen geschlossen. Es fehlen jedoch politische Vereinbarungen über eine Eingliederung in die staatlichen und militärischen Strukturen des Zentralstaates. Für das Militär, das sich als Wahrer der Einheit der Nation sieht, ist Föderalismus noch immer ein Unwort. Die Vertreter der Minderheiten hingegen sind sich ihrer Autonomierechte und der damit verbundenen materiellen Vorteile wie Gewinne aus dem Verkauf von Rohstoffen aber auch Einkünfte aus kriminellen Geschäften wie dem Drogenhandel bewusst. Sie sehen wenig Veranlassung, davon abzurücken. Bislang ist kein Kompromiss in Sicht, der für beide Seiten akzeptabel ist.

An der Entschlossenheit Thein Seins und seiner Anhänger zur grundlegenden Modernisierung des Landes bestehen wenig Zweifel. Doch er steht vor gewaltigen Aufgaben. Umso mehr ist die internationale Gemeinschaft gefordert, politische, ökonomische und technische Unterstützung zu leisten. Die Aussetzung der Sanktionen durch die Europäische Union macht den Weg hierfür frei. Der langfristige Erfolg dieser Hilfe wird indes weniger von ihrem Umfang als von der Fähigkeit abhängen, gemeinsam mit einheimischen Partnern Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung zu erarbeiten und zu verwirklichen.

 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2012: Holz: Sägen am eigenen Ast
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