In den vergangenen Jahren hat die ROK mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gehörte sie zu den deutlichsten Kritikern der Frauenordination und weigerte sich, Kirchen, in denen Frauen geistliche Ämter ausüben dürfen, als vollgültig anzuerkennen. Als sie mit dem Austritt aus dem ÖRK drohte, schlug der Weltkirchenrat 2002 als Kompromiss vor, dass ordinierte Frauen bei ÖRK-Treffen auf gottesdienstliche Handlungen verzichten sollten. Nicht nur Margot Käßmann zog sich damals enttäuscht aus dem ÖRK-Zentralausschuss zurück. Als die deutsche Protestantin 2009 EKD-Ratsvorsitzende wurde, brach die ROK den jahrzehntelangen theologischen Dialog mit der EKD kurzerhand ab. Zu groß waren die Vorbehalte gegenüber einer geschiedenen Frau in diesem Amt.
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Wichtiges Signal für die weltweite Ökumene
Auch strittige Themen seien angesprochen worden. Die russische Seite habe zwar ihr Unverständnis darüber geäußert, dass die EKD Homosexualität nicht verurteilt, sagt Tamcke. „Sie hat aber das deutliche Votum aus den deutschen Reihen stehen lassen können.“ In Zeiten, in denen Kirchen bei Meinungsverschiedenheiten die Brücken untereinander eher abbrechen als im Gespräch zu bleiben, sei dies umso erstaunlicher. „Das ist auch für die weltweite Ökumene ein wichtiges Signal“, meint Tamcke.
Martin Schindehütte, Auslandsbischof der EKD, zeigt sich „dankbar überrascht“ über die Offenheit der russischen Kirche. Das zeige, dass das Vertrauen, das in den vergangenen 50 Jahren zwischen EKD und ROK gewachsen sei, nach wie vor trage. Von 1959 an hatten sich Vertreter beider Kirchen regelmäßig getroffen und sich über theologische Themen ausgetauscht. Insbesondere die ROK, die zu Sowjetzeiten gesellschaftlich im Aus stand, war seinerzeit an diesen Gesprächen interessiert.
Seit der Wende hat sich aber viel verändert. Für die ROK stellt sich weniger die Frage des Überlebens. Sie muss vielmehr intern und nach außen klären, welche Rolle sie in der neuen russischen Gesellschaft spielen will. Dass sie dabei unter Druck steht, konnten die deutschen Teilnehmenden selbst erleben. Bei einem Gottesdienst in der Kathedrale von Rostow stellte eine Gruppe von Demonstranten die Anwesenheit der evangelischen Deutschen als Ehrengäste und den Dialog mit ihnen öffentlich in Frage.
In Russland wächst die Angst vor Überfremdung
Mit dem Treffen unter dem Motto „Die Kirche in der multikulturellen Gesellschaft“ beginnt zwischen EKD und ROK eine neue Generation des Dialogs. Anstelle von fundamentaltheologischen Themen will man sich künftig über gemeinsame Aufgaben austauschen und der Frage nachgehen, wie man das Evangelium in einer säkularen Welt gemeinsam bezeugen kann. „Multikulturalismus hat in Russland zwar eine jahrhundertelange Tradition“, sagt der Göttinger Theologe Tamcke. In jüngster Zeit wachse aber die Angst vor Überfremdung. „Viele sehen in den nichtorthodoxen Migranten, die aus den ehemaligen Sowjetrepubliken wie Tschetschenien nach Russland kommen, ein großes Problem.“ Der Umgang mit dem Thema werde immer militanter und die Kirche sei auf der Suche nach Antworten.
Die Ökumene-Beauftragte der Nordkirche, Martina Severin-Kaiser, berichtete bei dem Treffen über deutsche Erfahrungen im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Dass die Hamburger Lutheraner mittlerweile Kirchengebäude an andere Kirchenfamilien verkauften, darunter auch an die russisch-orthodoxe, sei interessiert und dankbar aufgenommen worden, sagt sie. Genauso hätten sich die russischen Delegierten von den Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Religionen beeindruckt gezeigt.
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