Autor
Christian Selbherr
ist freier Journalist in München und Redakteur beim missio-Magazin.Allein der Familienname „de Souza“ verschafft ihr in Benin einen gewissen Respekt. Martine de Souzas Vater war in den 1970er Jahren Bürgermeister ihrer Heimatstadt Ouidah. Der frühere katholische Erzbischof Frederick de Souza zählte zu ihren Verwandten. Und die Frau des Präsidenten heißt Chantal de Souza Yayi. Sie ist eine Cousine von Martine. „Aber mit der Politik will ich nichts zu tun haben“, sagt Martine de Souza. Wie viele ihrer Landsleute ist sie von ihrer Regierung schwer enttäuscht.
Bei der Wahl im März hat Thomas Boni Yayi mühsam die Präsidentschaft verteidigt, begleitet von Manipulationsvorwürfen der Gegenkandidaten. Während das Ausland Benin lange als demokratisches Musterland lobte, konnte Yayi, der frühere Chef der Westafrikanischen Entwicklungsbank, die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Mal ging es um Schmiergelder beim Bau von Luxusvillen für ein Gipfeltreffen der westafrikanischen Staatschefs, mal platzte ein Deal mit einer Investmentgesellschaft und brachte 150.000 private Kleinanleger um ihre Ersparnisse.
„Darum geht es fast allen heute,“ sagt Martine, „nur ums Geld.“ Eine Zeitlang hat sich die 50-Jährige auch selbst in höheren Kreisen bewegt – als Managerin und Beraterin für internationale Organisationen. Ende der 1990er Jahre war sie für die Weltbank tätig und forschte über die moderne Form der Sklaverei in Westafrika. Dabei drehten sie und ihre Kollegen auch einige Informationsfilme zum Thema Menschenhandel. Als Martine einige Zeit später einmal wieder in ihrem alten Büro zu Besuch war, stellte sie fest: „Die Filme lagen alle in der Schublade. Niemand hatte sie sich angesehen.“
Da beschloss sie, die Filme selbst dorthin zu bringen, wo das Problem am dringendsten ist: in die abgelegenen Dörfer im Hinterland, wo man Kinder gegen Bargeld bekommt. Laut einer Studie der Vereinten Nationen von 2008 werden in Benin jährlich noch immer 40.000 Mädchen und Jungen verkauft und als billige Arbeitskräfte missbraucht – als Haushaltshilfen für reiche Familien und entfernte Verwandte, als Straßenhändler oder Erntehelfer. Andere werden über die Grenze nach Nigeria verschleppt.
Wenn Martine de Souza und ihr Team ihren Filmprojektor aufbauen, dann zeigen sie Geschichten, die fast jeder kennt. Zum Beispiel im kleinen Dorf Amolehoué, wo sie ungefähr alle zwei Wochen zu Besuch sind. In ihrem Kleinbus haben sie DVD-Spieler, Projektor und Leinwand mitgebracht und auch einen Generator. Elektrischen Strom gibt es hier nicht. Mitten auf dem sandigen Dorfplatz findet die Vorführung statt. Die Kinder sitzen auf der Erde, die Älteren haben auf Plastikstühlen Platz genommen. Auch am Abend bleibt die Luft drückend schwül, Mücken schwirren durch das Licht des DVD-Projektors.
Den Film „Assiba“ hat Martine selber gedreht. Er handelt von einem kleinen Mädchen, das von ihrer eigenen Mutter verkauft wird, für gerade einmal 10.000 westafrikanische Francs. Umgerechnet 15 Euro dafür, dass der elegant gekleidete Mann das etwa acht Jahre alte Mädchen mit in die ferne Hauptstadt von Benin nehmen darf. Mit allen möglichen Versprechen hat er die Eltern geködert. „Dort darfst du zur Schule gehen und etwas lernen“, verspricht Assibas Mutter dem Mädchen, „und einen Fernseher gibt es dort auch.“
Aus den Träumen wird nichts. Assiba muss kochen, putzen, Geschirr spülen und auf dem Markt Obst und Gemüse verkaufen. Während das Mädchen schuftet, schaut der Mann, der sie ihren Eltern abgekauft hat, ab und zu im Heimatdorf vorbei. „Deiner Tochter geht es gut“, gaukelt er der Mutter vor und steckt ihr einen Geldschein zu. Das geht so lange, bis es Assiba nicht mehr aushält und davonläuft. Nach vielen Irrwegen findet sie zurück nach Hause.
Nach einer halben Stunde endet der Film, und Martine greift zum Mikrofon. Sie stellt ihre Tochter Therèse vor – die Hauptdarstellerin. Dann gibt sie das Wort ans Publikum. „Ja, auch mir ist es ähnlich ergangen“, meldet sich eine junge Frau aus der Menge. „Man hat eine meiner Töchter verkauft. Als sie nach drei Jahren wiederkam, hatte sie noch immer dasselbe Kleidchen an.“ Murmeln, Raunen, Nicken in der Runde. Aber es bleibt bei der einen Wortmeldung. „Es gehört schon viel Mut dazu, so etwas vor allen Leuten zu erzählen“, sagt Martine de Souza. Oft werde sie bei ihren Vorführungen von Müttern angesprochen, die eines ihrer Kinder vermissen. „Manchmal ist es uns schon gelungen, ein Mädchen wieder zurückzubringen.“
Martine de Souza ist schon seit 2001 mit ihrem fahrenden Kino unterwegs, zunächst zusammen mit der Organisation CNA (Cinéma Numérique Ambulant), inzwischen selbstständig. Ein wenig kämpft sie mit ihrem Engagement auch gegen die eigene Familiengeschichte an: Einer ihrer Vorfahren war der portugiesische Kolonialherr Francisco de Souza. Als Sklavenhändler schickte er tausende Afrikaner übers Meer nach Brasilien und Nordamerika und brachte es so zu großem Reichtum. „Ich bin natürlich nicht stolz auf ihn“, sagt Martine. „Und manchmal wünsche ich mir, dass ich nicht von ihm abstamme, sondern von Sklaven.“
Auch in ihrem anderen Job, als Begleiterin ausländischer Touristen, begibt sich Martine de Souza auf die Spuren der Menschenhändler. Benin hat zahlreiche Gedenkstätten errichtet, die an das Schicksal afrikanischer Sklaven erinnern. Das „Tor ohne Wiederkehr“ am Strand von Ouidah markiert eine der Stellen, an denen die meist jungen Männer und Frauen auf Schiffe verfrachtet wurden.
Mit ihren Filmen will sie die Menschen warnen und aufklären. Sie will zeigen, dass die Zeiten der Menschenhändler noch immer nicht vorbei sind. Obwohl das nicht so sein müsste. Denn anders als früher steht Kinderhandel seit 2006 in der Republik Benin unter Strafe. Aber erst wenn sich Eltern zur Anzeige entschließen, kann ein Kinderhändler vor Gericht gestellt werden. Die Strafen hängen stark vom jeweiligen Richter ab. Und aus Scham und aus Angst vor eigener Bestrafung verzichten viele Eltern auf eine Anzeige.
Auf dem Weltsozialforum in Dakar hat sich ein neues Bündnis formiert, das in ganz Westafrika gegen Kinderhandel vorgehen möchte. Mehrere Organisationen bündeln nun ihre Projekte im Netzwerk RAO (Réseau Afrique de l’ouest). Ein möglicher Lösungsansatz stammt aus Burkina Faso. In drei Dörfern bekommen 80 besonders arme Familien ein Stück Gemeindeland, das sie bewirtschaften können. Im Idealfall verdienen sie damit genug, um sie sich und ihre Kinder ausreichend zu versorgen – ohne das Geld der Menschenhändler.
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