Die Rapper aus dem Regenwald

Jere Santos
Der Rapper Sumano MC bei einem Auftritt.
Brasilien
Im Amazonasgebiet, abgelegen von den brasilianischen Metropolen, hat sich eine lebendige Rap-Szene etabliert. Anders als im Großstadt-Rap geht es in ihren Texten weniger um soziale Ungleichheit, sondern vor allem um Umweltzerstörung und kulturelle Identität.

„Ich träumte von der Uni, aber sie sagten, das schaffst du nicht.
Ich wollte Rapper werden, aber sie sagten, das schaffst du nicht.
Jetzt hab‘ ich mein Diplom und ein Album für unsere Leute,
aber ich brauch niemanden zu beweisen, was ich schaffe.“

Die Verse von Sumano MC, vorgetragen im kraftvollen und rhythmischen Beat des Rap, lassen keinen Zweifel: In Brasilien, einem Land, das von extremer sozialer Ungleichheit geprägt ist, kämpfen die Benachteiligten entschlossener denn je um ihren Platz. Sie wollen sich nicht mehr abweisen lassen.

Dass es an der Zeit ist, auch die Menschen am Rand der Gesellschaft wahrzunehmen und Vorurteile und Gewalt durch Ideen und Worte zu überwinden, gehörte schon in den 1970er Jahren zu den Kernbotschaften der Hip-Hop-Kultur, die den Rap hervorbrachte. Sie verhalf diesem Musikstil zu seinem weltweiten Siegeszug durch die Welt. Doch Sumano MC rappt nicht in graffitiverzierten Betonschluchten, wie es sie auch in brasilianischen Großstädten gibt, die sich der Rap längst erobert hat. Der Musiker und Aktivist, der zugleich Bauer ist, kommt mitten aus dem riesigen Amazonasgebiet im brasilianischen Bundestaat Pará, aus einer kleinen Ortschaft namens Vila menino Deus am Rio Anapu. Die nächste größere Stadt ist Igarapé-Mirí und hat rund 60.000 Einwohner.

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„Meine Musik ist von unserer Lebenswirklichkeit inspiriert. Ich wende mich gegen Probleme wie Rassismus, Bergbau und Agrarindustrie. Rap, das ist Widerstand und zugleich der Wunsch nach einer besseren Welt“, sagt er. „Als Künstler weiß ich, wie wichtig es ist, unsere Realität und die Konflikte im Amazonasgebiet anzusprechen“, betont Sumano.

Rap erzählt von Umweltzerstörung und Ausgrenzung

Auch in der verzweigten Flusslandschaft mit ihrer üppigen Vegetation, in der die Menschen in kleinen Ufergemeinden und Quilombos leben, wie man die von geflohenen Sklaven in der Zeit der portugiesischen Herrschaft gegründeten Siedlungen nennt, ist Rap zu einem ausdrucksstarken Mittel des Widerstands geworden. Die Rapper des Amazonasgebiets nutzen diesen Musikstil, um von den Hoffnungen der Jugend zu erzählen und ihre Lebenswirklichkeit zu schildern, die vom Kampf gegen Gewalt, sozialer Benachteiligung und Umweltzerstörung geprägt ist.

„Rap ist für uns hier draußen abseits der Städte sehr wichtig, weil die Songs die Ausgrenzung, die junge Menschen erleben, in eine politische Dimension übersetzen“, erklärt der Rapper DaCota aus Manaus, in der Szene des Amazonasgebiets ebenfalls sehr bekannt. „Rap findet man in Brasilien überall, wo die Menschen an den Rand gedrängt werden, so wie es mit uns geschieht. Der Rap ersetzt hier vielen den Vater oder die Mutter. Rap ist eine Quelle des Wissens und der Bildung.“

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„Am Anfang habe ich mich an den bekannten Rappern aus den Städten orientiert, aber ich habe bald erkannt, dass unsere Realität hier im Amazonasgebiet eine andere ist“, erklärt der 29-jährige Sumano MC, der als Kind aus einer Laune heraus anfing zu rappen. „Bei mir hat es Klick gemacht, als ein Gemeindeältester sagte: Warum schöpfst du deine Musik nicht aus unseren Problemen? Da wurde mir klar, dass ich über das sprechen muss, was uns bewegt, über die Dinge, mit denen wir hier in der Region tagtäglich konfrontiert sind.“ Dies wurde der Wendepunkt für Sumano, sich mit der Ausplünderung des Regenwalds durch den Bergbau, die Missachtung der Bevölkerung der Region und Konflikte um die Landnutzung zu beschäftigen, mit Themen, die den Alltag der Amazonasbewohner bestimmen. 

„Die Ausplünderung unseres Lands, der tägliche Kampf ums Überleben, all das ist Teil unserer Musik“, erklärt Sumano, dem seine Mutter – noch bevor er in die Schule ging – im Schatten eines Baums das Lesen beibrachte. „Sie hat dazu Gedichte benutzt, so ist meine Liebe zur Lyrik entstanden. Als ich dann später mit meinem Vater Musik im Radio hörte, ist mir aufgegangen, dass das auch eine Art von Lyrik ist. Ein Cousin, der erste in unserer Familie, der ein Mobiltelefon hatte, machte mich als Kind mit den Racionais MC’s bekannt, der populärsten Rap-Band Brasiliens, und da wusste ich, das will ich auch machen.“ In seinem „normalen“ Leben hat Sumano Geografie studiert und strebt nun einen Master-Abschluss an.

Rapper haben eine sehr kritische und rebellische Haltung

In der Region, in der bislang traditionelle Musikstile wie Boi, Carimbó und Brega vorherrschten, konkurrieren nun auch schwarze und indigene Rapper um die Gunst des Publikums, und das mit zunehmendem Erfolg. „Rap ist neu für mich, meine Freunde haben mich darauf gebracht“, sagt die Geografin und Aktivistin Izabely Carneiro Miranda, die in der Gemeinde Moju im Landesinneren des Bundesstaats Pará wohnt. „Durch sie habe ich die Bedeutung der Hip-Hop-Kultur verstanden und wie eng sie mit dem Leben der Menschen auf dem Lande verknüpft ist. Wenn ich den Rappern aus dem Amazonasgebiet zuhöre, verstehe ich besser, worum es hier in dieser Region geht und was es heißt, in einem so konfliktreichen Gebiet zu leben.“

Der Protest ist so prägend für diese Musik, dass Künstler und Kulturschaffende den Rap ihrer Region „Rap Cabano“ genannt haben, in Anlehnung an den Volksaufstand Cabanagem, der im 19. Jahrhundert im Bundesstaat Pará im Amazonasgebiet stattfand und in dem die Menschen für bessere Lebensbedingungen, das Ende der Sklaverei und eine Bodenreform kämpften.

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„Unsere Künstler sind einfach die Besten, sie haben eine sehr kritische und rebellische Haltung. Sie machen Kunst aus den Problemen unseres Alltags und aus den Träumen, für die wir in unserer Region kämpfen“, fügt Izabely hinzu. Einen rebellischen Ton schlagen auch die Rapper Urysse Kuykuro und Macc JB an. Sie stammen aus dem indigenen Volk der Kuikuro und sind Mitglieder von Nativos MC’s. Die Band, die im indigenen Xingu-Territorium in Mato Grosso gegründet wurde, rappt auf Portugiesisch und Kuikuro, um mehr Menschen zu erreichen. Die Strategie geht auf: Hits wie „Tente entender“ und „Trap Indígena“ wurden bereits über 14.000 Mal auf YouTube aufgerufen. Die Texte prangern nicht nur Missstände an, sie bringen auch den Stolz der Bewohner auf ihre Region zum Ausdruck und beziehen ihre Bräuche, Traditionen und Geschichte ein.

Auch Frauen erheben mit Rap ihre Stimme

„Wir wollen zur Sprache bringen, was unserem Volk und anderen Völkern Brasiliens seit der Invasion im Jahr 1500 angetan wurde, aber wir wollen auch unsere Kultur und unsere Sprache zeigen, damit die nicht indigene Bevölkerung eine Ahnung von der großen kulturellen Vielfalt unseres Landes bekommt“, sagt Urysse im Interview mit dem Nachrichtenportal Amazônia.

Wann immer es darum geht, Stereotype aufzubrechen, muss natürlich von den Frauen die Rede sein. Auch im Amazonas-Rap erheben sie mittlerweile ihre Stimme. „Ich sehe mehr Frauen in den Battles, sie schreiben Texte, spielen Songs ein, machen Videoclips und stoßen viele Diskussionen darüber an, wie man Gewalt gegen Frauen bekämpft oder wie man der Kunst von Frauen hier im Norden mehr Aufmerksamkeit verschafft“, sagt die Rapperin Negra Bi aus dem Bundesstaat Pará im Interview mit dem Onlineportal „Observatório das Favelas“.

Musik muss im Amazonasgebiet noch ihr Publikum finden

„Rap ist für uns hier draußen abseits der Städte sehr wichtig, weil die Songs die Ausgrenzung, die junge Menschen erleben, in eine politische Dimension übersetzen“, erklärt der Rapper DaCota aus Manaus.

Doch auch wenn die „Rap-Cabano“-Szene inzwischen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat, ist längst nicht alles geschafft. Während der Rap in den urbanen Zentren Brasiliens wie São Paulo und Rio de Janeiro schon seit langem Fuß gefasst hat, muss diese Musik im Amazonasgebiet ihr Publikum erst noch finden. Festivals konzentrieren sich auf die großen Städte. Die Menschen des Amazonasgebietes leben weit entfernt von Rap-Performances, Graffiti-Workshops und Breakdance-Battles, die die Hip-Hop-Kultur prägen. „Viele Veranstalter können mit Rap wenig anfangen und zeigen sich nicht sehr aufgeschlossen gegenüber lokalen Künstlern. So ist es zum Beispiel üblich, dass auf Festivals vor allem Musiker von außerhalb des Amazonasgebietes auftreten. Leider hat man den Menschen hier eingeredet, ihre lokale Kultur sei nicht gut genug. Das wirkt bis heute nach“, kritisiert Sumano. „Ganz zu schweigen davon, dass andere Regionen des Landes uns und dem, was wir hier auf die Beine stellen, wenig Beachtung schenken.“

Zudem fehlt es den Rappern aus dem Amazonasgebiet an Möglichkeiten, ihre Songs einzuspielen oder auch nur Auftrittsmöglichkeiten zu finden. Sie leben oft in indigenen Gemeinschaften oder Dörfern an Flussläufen, Tonstudios und Festivals sind für sie nur in tagelangen Bootsfahrten zu erreichen.
All dies sind sicherlich große Hürden, die aber das Potenzial des Amazonas-Rap nicht schmälern. „Mein Traum ist es, mit meiner Musik meine Familie zu unterstützen, den Kühlschrank zu füllen und dann noch etwas Geld zu haben, um die künstlerische Arbeit meiner Freunde zu fördern und die Entwicklung meiner Gemeinschaft voranzutreiben“, erklärt DaCota. „Welcher Rapper würde nicht gerne ein Kulturzentrum in seiner Gemeinde haben, wo Talente Förderung bekommen, egal ob im Rap, im Tanz, im Sport oder der Literatur?“

Ganz auf sich gestellt können es die Amazonas-Rapper allerdings auch nicht schaffen. Die Künstler wissen, dass in den schwer zugänglichen Regionen des Landes auch staatliche Förderung nötig ist. „Wir brauchen eine Kulturpolitik, die die künstlerische Produktion in unserer Region fördert und es uns ermöglicht, unsere Musik auch aufzunehmen, damit wir sie in die Welt tragen können“, so Sumano. „Dort, wo wir herkommen, gibt es nicht viele Bildungsmöglichkeiten. Bücher, Kunst oder auch nur Anreize, eine Hochschule zu besuchen, all das gab es für uns kaum. Eigentlich sprach alles gegen unseren Erfolg. Aber wir haben es trotzdem geschafft, dank der Unterstützung unserer Familien, gesellschaftlicher Initiativen und anderer Rapper, die vor uns kamen.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. 

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