Am „grünen Gold“ verdienen vor allem die Händler

Der Farmer Frederick Kinyanjui pflückt mit einem langen Stock, an dem ein Säckchen befestigt ist, auf seiner Farm Avocados.
Kate Stanworth
Frederick Kinyanjui, ein Farmer in Muranga County, pflückt auf seiner Farm Avocados.
Kenia
Kenia gehört zu den größten Produzenten von Avocados weltweit. Vor allem Kleinbauern bauen die Frucht dort an. Aber den größten Profit machen damit Händler und Makler, die die Avocados nach Europa verkaufen.

Über den grünen Hügeln von Muranga County, dem Herzen der kenianischen Avocadoindustrie, steht die warme Vormittagssonne. Der Bauer Frederick Kinyanjui läuft aufmerksam durch seine kleine Plantage. Er trägt einen orangefarbenen Schutzmantel, eine graue Hose und robuste Gummistiefel. Auf seinem Rücken hängt ein gelber Kanister mit Pestiziden gegen den Pilzbefall, der seine wertvolle Ernte bedroht. Kinyanjui besprüht damit die Blätter seiner Bäume, ein beißender Chemiegeruch hängt über der fruchtbaren Landschaft des kenianischen Rift Valley.

Der Klimawandel zwingt Avocadobauern dazu, immer stärker auf solche chemischen Hilfsmittel zurückzugreifen, berichtet Kinyanjui. Unberechenbare Wetterverhältnisse führen dazu, dass Schädlinge und Krankheiten verstärkt die Avocadobäume befallen. „Es gibt mehr Fruchtfliegen und Apfelwickler“, erklärt er. Steigende Temperaturen, Überschwemmungen und Trockenperioden lassen diese Schädlinge gedeihen. Darunter leidet die Qualität der Früchte, die dann „nicht mehr für den Export taugen“, sagt Kinyanjui.

Ohne Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfung kann er seine wertvollen Avocadobäume, die bis zu vier Jahren zur Erntereife benötigen, kaum schützen. Er selbst bringt die Chemikalien stets mit Handschuhen und Schutzausrüstung aus, räumt aber ein, dass nicht alle Landwirte so umsichtig mit diesen potenziell gefährlichen Stoffen umgehen. Das belastet die Umwelt, gefährdet die Tierwelt und beeinträchtigt das gesamte Ökosystem in seinem Land, das bereits die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt. 

Avocado wurde in den 1930er Jahren von Europäern in Kenia eingeführt

Im Muranga County, das auf einer Höhe von 1200 bis 2000 Metern über dem Meeresspiegel liegt, hat die Avocado zweimal im Jahr Saison: von März bis Juli und von September bis November. Landwirte wie Frederick Kinyanjui bewirtschaften in der Regel weniger als zwei Hektar. Pro Saison kann er auf einem halben Hektar sieben Tonnen der Frucht ernten. Muranga County hat vulkanische und sehr nährstoffreiche Böden und ein feuchtes, aber nicht zu heißes Klima, das sich ideal für den Anbau von Avocados eignet. So ist das County zum Zentrum der Avocadoproduktion des Landes geworden. Über 70 Prozent der Avocados in Kenia werden hier geerntet.

Aus Kenia allein stammen 82 Prozent aller aus Ostafrika exportierten Avocados. Im Jahr 2021 produzierte das Land 417.000 Tonnen, doppelt so viel wie 2016. Kenia ist einer der größten Exporteure von Avocados außerhalb Lateinamerikas. Die wichtigsten Exportsorten sind Hass und Fuerte. Und die Avocadoproduktion erlebt derzeit ein enormes Wachstum: Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO wird bis 2030 das Handelsvolumen von Avocados unter den tropischen Früchten nur noch von Bananen übertroffen werden. 

Die Avocado wurde in den 1930er Jahren von Europäern in Kenia eingeführt, der kommerzielle Anbau begann in den 1960er Jahren. Viele Landwirte in dem ostafrikanischen Land, das lange vor allem für den Export von Tee, Kaffee und Blumen bekannt war, haben aufgrund der steigenden Nachfrage nach Avocados in Europa auf diese rentable Kulturpflanze umgestellt. Die Branche wird von Kleinbauern dominiert, die Avocados meist auf weniger als zwei Hektar anbauen. 

Die Früchte gedeihen hier so gut, dass „fast jede Familie mindestens 10 bis 20 Bäume hat“, sagt Frederick Kinyanjui. Die Avocado, oft auch als „grünes Gold“ bezeichnet, ist in Europa als Superfood beliebt. Man streicht ihr Fruchtfleisch auf Toastbrot oder mixt sich aus ihr Smoothies. Aus der europäischen Küche ist dieses Obst inzwischen kaum noch wegzudenken. Dementsprechend steigt die Nachfrage in Cafés und Lebensmittelläden von Amsterdam über Berlin bis London rasant. 

Eine Avocado benötigt 320 Liter Wasser

Doch die kulinarische Begeisterung hat ihren ökologischen Preis. In Kenia macht sich die Klimakrise bereits mit Rekordniederschlägen, langen Dürreperioden und überraschenden Wetterumschwüngen bemerkbar. Davon ist besonders das fruchtbare Rift Valley betroffen. Zugleich führt die steigende Nachfrage nach Kenias saftigen und cremigen Hass- und Fuerte-Avocados dazu, dass die kenianischen Landwirte verstärkt auf Chemikalien und Pestizide setzen. Problematisch ist auch der hohe Wasserverbrauch: Für die Produktion einer einzigen Avocado werden etwa 320 Liter Wasser benötigt, viermal so viel wie für eine Orange und zehnmal so viel wie für eine Tomate. Zum ökologischen Fußabdruck von Avocados trägt zudem bei, dass die Früchte von den kenianischen Obstgärten zu großen Häfen wie Rotterdam und von dort weiter auf die europäischen Märkte transportiert werden müssen.

Ein Arbeiter versprüht Pestizide auf der Avocadofarm von Arthur Kamau in Muranga County in Kenia.

Im September 2023 bestätigte ein Bericht der in Nairobi ansässigen Organisation Route to Food Initiative, die von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wird, einen bedenklichen Trend in Kenias Agrarsektor: Im Jahr 2020 bestanden mehr als drei Viertel der im Land verwendeten Pestizide aus hochgefährlichen Substanzen. Fast die Hälfte dieser Pestizide ist in der Europäischen Union wegen ihrer Gesundheits- und Umweltrisiken verboten, was darauf hindeutet, dass hier auf bedenkliche Weise mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn im Muranga County gehen viele Bauern und Landarbeiter ohne Handschuhe, Masken und sonstige Schutzausrüstung mit Chemikalien um. Einige berichten uns, dass die Hersteller ihre chemischen Produkte auch direkt an sie vermarkten. Sicherlich haben diese Landwirte Erfahrung im Umgang mit Pestiziden, doch man kann bezweifeln, dass ihnen die damit verbundenen Risiken völlig bewusst sind.

Vermehrt auftretende Schädlinge machen Probleme

Die Bäuerin Ann Wanjira Nyutu hat auf ihren zweieinhalb Hektar üppigem Ackerland schon viele verschiedene Produkte wie Mais, Bananen und Bohnen angebaut. Doch auch sie folgt inzwischen dem Trend und setzt verstärkt auf Avocados, die „gutes Geld bringen“, wie sie sagt. Allerdings bereiten auch ihr die vermehrt auftretenden Schädlinge Probleme. Anders als ihr Kollege Frederick Kinyanjui kann sie sich keine Pestizide leisten, was zur Folge hat, dass die Händler ihr die Ernte nicht abnehmen. „Für Europa kommen nur erstklassige Avocados infrage“, erklärt sie.

Nach der Ernte verkaufen die Landwirte ihre Avocados an Zwischenhändler, die sie an große Verarbeitungsbetriebe weiterleiten. Dort werden die Früchte sortiert. Margaret, die nur ihren Vornamen nennen möchte, arbeitet in der Qualitätskontrolle eines solchen Europa-Exporteurs. „Bei der Qualitätskontrolle suchen wir nach Anzeichen von Krankheiten und beurteilen, ob die Avocados in gutem Zustand sind.“

In einer Warenhalle werden Avocados für den Export nach Europa verpackt.

Anschließend werden die Avocados per Container von Mombasa nach Rotterdam, der Avocado-Hauptstadt Europas, verschifft. „Es sind Kühlcontainer mit konstanter Temperatur, die optimale Transportbedingungen gewährleisten“, erklärt Margaret. „Die Haltbarkeit von Export-Avocados beträgt 35 bis 48 Tage.“ Die Früchte werden in grünem und festem Zustand verschickt, damit sie während des Transports nicht zu stark reifen.

"Exporteure verdienen das meiste Geld" 

Doch nicht nur Schädlinge und Krankheiten machen den Avocadobauern im Muranga County zu schaffen, sondern auch die schwankenden Einnahmen für ihre Erzeugnisse. Ungeachtet ihrer harten Arbeit diktiert der Markt oft derart niedrige Preise, dass sie kaum über die Runden kommen. Zwar ist der Verkauf von Avocados lukrativer als der von Kaffee oder Tee, dennoch haben sie das Gefühl, zu wenig für ihre Mühe zu erhalten. Grund dafür ist, dass die Makler, Händler und kenianischen Exporteure, die die Früchte auf den Weltmarkt bringen, das meiste abschöpfen.

Der Landwirt Arthur Kamau hält das System der Zwischenhändler für ungerecht. „Der Anbau von Avocados ist sehr kostenintensiv, doch die Exporteure verdienen das meiste Geld“, erklärt er. Für die Bauern ist es nahezu unmöglich, ihre Früchte selbst zu verkaufen und damit höhere Preise zu erzielen. „Uns bleibt keine Wahl, als den Preis zu akzeptieren, den der Makler uns bietet.“ Kleine Landwirte wie er fühlen sich einem System ausgeliefert, von dem vor allem die größeren Marktakteure profitieren.

Avocadoproduzenten fordern mehr Unterstützung

Auch Frederick Kinyanjui meint, dass Landwirte wie er aufgrund eines Systems, das ihre Arbeit kaum unterstützt, nur selten einen guten Verkaufspreis für ihre Ernte erzielen. Lange Zeit vertrat die Avocado Association of Kenya die Interessen der Erzeuger, Exporteure und anderer in der Avocado-Wertschöpfungskette. Doch im Januar 2024 entzog die Landwirtschafts- und Lebensmittelbehörde Kenias diesem Verband wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten und Verstößen gegen die Mitgliedsbestimmungen die Zulassung. Bei den Landwirten löste das große Unruhe aus, machte es doch einmal mehr deutlich, dass die kleinen Avocadoproduzenten in Kenia über keinerlei Unterstützung und Strukturen verfügen, um ihre Interessen im Wettbewerb des internationalen Avocadomarkts geltend zu machen. 

Arthur Kamau wünscht sich, so wie andere Bauern in Muranga County, mehr staatlichen Beistand. Sie würden gerne direkt an die europäischen Abnehmer verkaufen, um bessere Preise zu erzielen. Doch von den Politikern in Nairobi erhielten sie kaum Hilfe, sagt er. Er selbst ist seit zwanzig Jahren Landwirt und bewirtschaftet seine zwei Hektar große Avocadofarm mit großer Hingabe. Auch er hat mit den zahlreichen und immer größer werdenden Problemen zu kämpfen. „Ein funktionierender Markt wäre für uns das Beste“, sagt Arthur Kamau. Solange es ihn nicht gibt, so seine Einschätzung, werden die Zwischenhändler die kenianische Avocadobranche beherrschen. „Diese Typen machen uns einfach kaputt.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. 

Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von journalismfund.eu erstellt.

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