Klimakonferenzen als Seifenoper. "Jede Folge für sich kann spannend sein, aber man verpasst auch nichts, wenn man ein Jahr lang nicht zugeschaut hat.“ Das hat nicht irgendwer gesagt, sondern laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Yvo de Boer. Vier Jahre lang hat er das UN-Klimasekretariat geleitet; die am 11. Juni in Bonn zu Ende gegangene Versammlung war der letzte Serienteil, bei dem der Holländer mitgewirkt hat. Konkrete Ergebnisse gab es nicht, aber die hatte auch niemand erwartet. Trotzdem bezeichnet Jan Kowalzig von Oxfam die Bonner Gespräche als die „konstruktivsten Verhandlungen seit Jahren“.
Anders als im Dezember 2009 in Kopenhagen wurde nicht tagelang darüber gesprochen, worüber man miteinander reden will. Stattdessen bemühten sich die anwesenden Experten und Ministerialen gemeinsam, die zahlreichen Fragenkomplexe übersichtlich zu strukturieren. Es sei darum gegangen, eine Art „Hülle“ für die anstehenden politischen Entscheidungen zu konstruieren, erläutert Kowalzig. Schließlich sei der Gipfel in Kopenhagen nicht nur am mangelnden politischen Willen gescheitert, sondern auch daran, dass der Verhandlungstext viel zu kompliziert und für die Regierungschefs in seinen Folgen undurchschaubar war. Immerhin: Dieses Knäuel zu entwirren ist in Bonn an mehreren Stellen gelungen und soll im August, ebenfalls in Bonn, fortgesetzt werden.
Dass aber beim nächsten Gipfel Ende November im mexikanischen Cancún ein Nachfolgeabkommen für das Ende 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll verabschiedet wird, glaubt kaum jemand. Bestenfalls werden die Industrieländer dort zusagen, einen solchen Vertrag rechtzeitig abzuschließen. Sollte tatsächlich beschlossen werden, die Klimaerwärmung möglichst auf 2 Grad zu begrenzen, müssten anschließend für jedes Land Vorgaben errechnet werden, die dann ein Jahr später in Südafrika abgesegnet werden könnten – dem letzten geplanten Gipfel vor dem Auslaufen des Kyoto-Abkommens.
Derweil senden die Wissenschaftler neue Hiobsbotschaften aus: Das Eis in der Arktis schmilzt schneller als noch vor ein paar Jahren erwartet, riesige Mengen Methan blubbern dort vom Meeresgrund herauf. Trotzdem haben sich Regierungen in mehreren Industrieländern auf die Bremse gestellt. In Kanada verkündete Premier Stephen Harper, dass die für dieses Jahr beschlossene Kohlendioxidreduktion um 90 Prozent kleiner ausfallen darf als bisher geplant. Sein Argument: Kanadische Arbeitsplätze seien in Gefahr. Auch in Japan gelang es der Industrie, das neue Klimaschutzgesetz zu entschärfen. Und hierzulande trommelt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gegen die Absicht der Bundesregierung, die Steuerprivilegien energieintensiver Unternehmen herunterzufahren. Hunderttausende Jobs könnten verloren gehen, behauptet BDI-Präsident Hans-Peter Keitel. Auch bei den Verhandlungen in Bonn sorgten die Industrieländer gemeinsam dafür, dass sich durch die Anrechnung von Wäldern auf ihre Klimabilanzen künftig viele Tonnen CO2 entsorgen lassen – statistisch gesehen.
In Brüssel hat sich seit dem Desaster von Kopenhagen indessen nichts bewegt. Die Europäische Union (EU) war damals mit der Ankündigung in die Verhandlungen gegangen, ihre Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu senken und das Ziel auf 30 Prozent aufzustocken, falls ein anderes Industrieland voranginge. Die Taktik scheiterte. Drei Monate später legte die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard eine „neue Klimastrategie“ vor, die allerdings an den entscheidenden Stellen nur Altes enthält. Um den Mitgliedsländern das 30-Prozent-Ziel schmackhafter zu machen, ließ die EU-Kommission im Mai eine Modellrechnung erstellen. Das Ergebnis: Das Reduktionsziel um zehn Prozent zu erhöhen bedeute volkswirtschaftlich keine Einbußen – im Gegenteil werde es den Absatz von erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien steigern und sich damit ökonomisch letztendlich positiv auswirken.
In den USA regiert zwar mit Barack Obama inzwischen ein Präsident, der die jahrelange Blockade seines Landes in punkto Klimaschutz aufbrechen will. Doch nach wie vor fehlt ihm dafür das nötige Mandat. Zuerst müssen Parlament und Senat ein ernstzunehmendes Klimagesetz verabschieden. Im Spätsommer könnte es endlich so weit sein, so dass Obama dann „sprechfähiger“ wird, wie das im Fachjargon heißt. Da die USA aber kaum noch das Kyoto-Protokoll unterzeichnen werden und bestenfalls beim Nachfolgevertrag einsteigen, sehen Umweltorganisationen Gefahren für die bereits etablierten Klimainstrumente. Sie könnten abgeschwächt werden, um die USA zum Einstieg zu bewegen. Womöglich würden dem europäischen Emissionshandel die endlich wachsenden Zähne gleich wieder gezogen: 2013 soll die Menge der ausgegebenen Zertifikate deutlich sinken, und weitere Branchen werden ins System einbezogen, so dass sich viele Investitionen in öl- und stromsparende Maschinen dann endlich lohnen. Andererseits würde der Emissionshandel absehbar ganz zusammenbrechen, wenn es zu keinem Kyoto-Nachfolgeabkommen kommt.
Eines der wenigen greifbaren Ergebnisse des Kopenhagener Gipfels war die Zusage der Industrieländer, den Entwicklungsländern 30 Milliarden Dollar als Soforthilfe bis 2012 zur Verfügung zu stellen. Explizit versprochen wurde „frisches Geld“ – also nicht die Erneuerung bereits gemachter Zusagen oder die Umwidmung von Entwicklungshilfe. Finanziert werden soll alles Mögliche: Der Bau von Deichen ebenso wie Hilfen für Bauern, die bereits heute von Dürren oder Überflutungen betroffen sind. Auch für die langfristige Ausrichtung der öffentlichen Infrastruktur auf erneuerbare Energien sollte es Unterstützung geben. In den Jahren bis 2020 würden die Mittel für Anpassungsmaßnahmen dann auf jährlich 100 Milliarden Dollar steigen, so der Plan.
Doch etwa sieben Monate später ist davon kaum noch die Rede. Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen moniert, dass die Bundesregierung entgegen dem Versprechen viele alte Zusagen zusammenaddiert hat und lediglich 70 Millionen Euro zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt eingestellt sind. Nichtstaatliche Organisationen fürchten, dass die Bilanz nach den Sparbeschlüssen sogar noch schlechter ausfällt.
Ende November wird die Welt eine neue Folge der Serie „Klimakonferenzen“ beobachten können. Auf dem Chefsessel des Klimasekretariats sitzt dann eine Frau: Christiana Figueres aus Costa Rica. Vor allem die vom Absaufen bedrohten Inselstaaten hatten für die Kandidatin plädiert. Schließlich hat sich Costa Rica zum Ziel gesetzt, als erstes Land weltweit bis 2021 kohlendioxidneutral zu wirtschaften – und ist tatsächlich auf einem guten Weg dorthin. In Cancún soll Figueres dafür sorgen, dass die in Bonn angelegte „Hülle“ endlich mit politischen Zusagen gefüllt wird.
Für Optimismus gibt es wenig Anlass: Während die Verhandlungen unendlich langsam voranschreiten, wachsen die Anstrengungen und Kosten rasant, will man das 2-Grad-Ziel doch noch erreichen. Zugleich hapert es bei der Verwirklichung bereits getroffener Vereinbarungen. Das zeigt der Umgang der Industrieländer mit der in Kopenhagen versprochenen „Soforthilfe“: Zusätzliches Geld haben wir jetzt leider doch nicht – schließlich herrscht bei uns die Finanz- und Wirtschaftskrise. Nach uns die Sintflut.