„Die Unternehmen wissen nicht, dass es uns gibt“

WAKIL KOHSAR/AFP via Getty Images
Frauen knüpfen im Juli dieses Jahres Teppiche in einer Fabrik in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Die deutsche Afghan Credit Guarantee Foundation unterstützt solche Betriebe, indem sie für die Kredite afghanischer Banken an lokale Unternehmen bürgt.
Afghanistan
Wie auch nach der Machtergreifung der Taliban Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan noch geht, erklärt Bernd Leidner von der Afghan Credit Guarantee Foundation.

Bernd Leidner ist Diplom-Betriebswirt und seit dreißig Jahren in der Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern tätig. Seit 2014 ist er Vorstandsvorsitzender der Afghan Credit Guarantee Foundation.

Herr Leidner, wie arbeitet Ihre Stiftung?
Wir bürgen für die Kredite afghanischer Banken und Mikrofinanzinstitute an ihre Kunden, vor allem kleinste, kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem helfen wir ihnen, ihr Kreditangebot zu entwickeln, ihr Risikomanagement zu verbessern und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszubilden. Ohne unsere Garantie beziehungsweise Ausfallversicherung würden diese Unternehmen keinen Kredit bekommen, weil sie nicht ausreichend Sicherheiten haben. In Afghanistan sind zum Beispiel vier Fünftel der Immobilien nicht im regulären Katasteramt registriert und werden daher von Banken nur eingeschränkt als Sicherheit akzeptiert. Selbst relativ wohlhabende Kunden bekommen keinen Kredit, weil ihre Vermögenswerte nicht bankfähig sind. Zudem sind es die afghanischen Banken nicht gewohnt, an kleine Kunden Kredite zu geben, und denken, dass das extrem riskant ist. Das ist es aber gar nicht, und mit Hilfe unseres Angebots lernen sie das mit der Zeit und nehmen Kredite an kleinste, kleine und mittlere Unternehmen in ihre Produktpalette auf.

Das heißt, mit den Unternehmen selbst arbeiten Sie gar nicht zusammen?
Richtig, im Prinzip wissen die gar nicht, dass es uns gibt. Das sollen sie auch nicht, um zu verhindern, dass die Rückzahlquote sinkt – nach dem Motto: Wenn die Deutschen der Bank den Kredit ohnehin garantieren, dann ist es ja nicht so schlimm, wenn ich ihn nicht zurückzahle. 

Im Idealfall fließt also gar kein Geld Ihrer Stiftung an die Banken, solange deren Kunden ihre Kredite zurückzahlen.
Genau. Unser Kapital dient als Sicherheit, um jederzeit zeigen zu können, dass die Garantien mit ausreichend Geld hinterlegt sind. Über viele Jahre hatten die Banken, mit denen wir kooperieren, sehr geringe Ausfallquoten, aber das hat sich durch die Krise als Folge der Machtergreifung der Taliban vor drei Jahren geändert. 

Inwiefern?
Bis 2021 lag die Ausfallquote immer bei sehr guten 1,7 Prozent im Jahr, dann gab es einen lauten Knall nach der Machtergreifung der Taliban und wir mussten große Beträge an Kreditgarantien auszahlen. Nicht weil wir etwas falsch gemacht hatten, sondern als Folge der damaligen Situation. Es gab eine große Wirtschaftskrise und neue Vorgaben der Zentralbank: Das Finanzsystem wurde nach islamischen Regeln umgebaut und die Banken durften von ihren Kunden keine Zinsen mehr kassieren. Beides führte dazu, dass ein Großteil der Kredite ausfiel.

Woher stammt das Kapital Ihrer Stiftung?
Gegründet wurden wir als Garantieprogramm vor fast zwanzig Jahren, mit Geld des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) und etwas später dann auch der US-Entwicklungsagentur USAID. Umgesetzt wurde das Programm von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG). 2014 wurden wir in eine Stiftung umgewandelt, und es kamen weitere Geber dazu, die Weltbank, die KfW Entwicklungsbank und die Europäische Union. Unser Stiftungskapital liegt derzeit bei circa 14,2 Millionen US-Dollar. Seit unserer Gründung haben die Banken und Mikrofinanzinstitutionen, mit denen wir arbeiten, von uns garantierte Kredite in Höhe von insgesamt 282 Millionen Dollar ausgegeben.

Was sind das für Unternehmen, die dank Ihrer Bürgschaften Kredite bekommen?
Da ist im Prinzip alles dabei: landwirtschaftliche Betriebe, Supermärkte, verarbeitende Industrie, etwa Hersteller von Kabeln oder Kleidung, Reparaturwerkstätten, Einzelhändler wie Handyshops, Großhändler und Dienstleistungsunternehmen. Laut einer Erhebung, die wir durchgeführt haben, tragen vier von fünf Unternehmen, die dank unserer Arbeit Kredit erhalten, zur täglichen Daseinsvorsorge der Bevölkerung bei. 

Wie hoch sind die Kredite?
Seit 2021 geht es um Beträge zwischen 1000 und 170.000 US-Dollar. Früher ging es auch um höhere Beträge, aber seit der neuen Lage nach Machtergreifung der Taliban, in der sich alle Beteiligten auf dem Finanzmarkt noch nicht so gut auskennen, haben wir das auf 170.000 Dollar begrenzt. 

Wie groß ist die Nachfrage bei kleinen und mittleren Unternehmen nach Krediten – und was würde passieren, gäbe es Ihre Stiftung nicht?
Garantiefonds wie wir haben ja immer das Problem, nachzuweisen, dass ohne ihr Angebot bestimmte Unternehmen keinen Kredit bekommen würden. Es gibt aber einige Indikatoren, die zeigen, wie groß der Bedarf ist und wie wir dazu beitragen, ihn zu befriedigen. Nach der Machtergreifung der Taliban gab es zunächst anderthalb Jahre keinerlei Kredite in Afghanistan. Jetzt gibt es wieder welche, und zwar fast ausschließlich von Banken und Mikrofinanzinstitutionen, mit denen wir arbeiten. Das zeigt, dass es ohne uns in Afghanistan sehr viel weniger Kredite an Unternehmen gäbe.

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert, seit die Taliban an der Macht sind?
Die hohen Kreditausfälle, die wir decken mussten, habe ich bereits erwähnt. Ansonsten betrifft uns der Umbau des Finanzsystems nach islamischen Regeln. Wir bieten jetzt ausschließlich islamkonforme Garantien an.

Was unterscheidet eine islamische von einer nicht islamischen Garantie?
Die Preisgestaltung ist anders. Früher haben wir Garantiegebühren aufgrund des Risikos und der Größe eines Kredits berechnet. Wir dürfen jetzt keine prozentuale Gebühr mehr verlangen, also eine Art Zins, sondern berechnen eine Kostenerstattung für unseren Aufwand in der Vergabe der Garantien. Im Ergebnis kommen ähnliche Beträge dabei heraus, aber sie werden eben anders hergeleitet.

Wo steht der afghanische Kreditmarkt heute, drei Jahre nach der Machtergreifung der Taliban?
Mikrofinanzkredite gibt es wieder in ähnlicher Größenordnung wie davor. Hingegen ist die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen noch deutlich geringer als früher. Das hat mit der Risikoeinschätzung der Banken zu tun, hat aber auch regulatorische und juristische Gründe: Seit die Taliban wieder am Ruder sind, gibt es neue Richter und eine neue Rechtsprechung, mit der die Banken keine Erfahrung haben. Das heißt, sie können nicht verlässlich einschätzen, was es heißt, wenn sie säumige Schuldner gerichtlich verfolgen müssen.

Müssen Sie mit Institutionen der Talibanregierung kooperieren, etwa mit der Zentralbank?
Die Banken nutzen unsere Garantien und werden von der Zentralbank beaufsichtigt, insofern müssen unsere Garantien von der Zentralbank akzeptiert werden. Das werden sie auch, und wir stimmen uns in diesem Zusammenhang mit der Zentralbank ab und stellen Informationen bereit. 

Ihre Stiftung wurzelt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, im Kuratorium sitzen Vertreter des BMZ und der DEG. Offiziell hat die Bundesregierung die bilaterale Zusammenarbeit mit Afghanistan aber beendet. Wie passt das zusammen?
Das BMZ ist zwar als Stifter weiterhin vertreten, aber wir bekommen von ihm schon seit vielen Jahren kein Geld mehr. Wir haben es geschafft, andere Geldquellen zu erschließen, etwa der Weltbank und der Europäischen Union.

Bei der Weltbank und der EU besteht also die Bereitschaft, sich auch nach der Machtergreifung der Taliban wieder stärker in Afghanistan zu engagieren? 
Der Reflex war ja bei allen Gebern, nur noch humanitäre Hilfe zu leisten. Aber inzwischen setzt sich die Einsicht durch, dass darüber hinaus die Förderung des Privatsektors in einem bestimmten Ausmaß notwendig ist, weil ausschließlich humanitäre Hilfe auf Dauer zu teuer und zudem wenig nachhaltig ist. Es gibt also bei einigen Gebern die Bereitschaft, das Spektrum der Hilfe auszuweiten, und da passen wir gut rein. 

Die Bundesregierung begründet den Stopp der Zusammenarbeit vor allem mit der Verletzung der Menschenrechte von Mädchen und Frauen in Afghanistan. Wie nehmen Sie deren Situation wahr?
Den Medienberichten zur Lage der Menschen- und Bürgerrechte von Mädchen und Frauen in Afghanistan habe ich nichts hinzuzufügen. Ich kann nur etwas dazu sagen, was das für uns bedeutet. Zum einen haben wir eine Tochterfirma in Afghanistan, die uns in unserer Arbeit vor Ort unterstützt. Und dort sind knapp ein Fünftel der Beschäftigten Frauen. Man muss bestimmte Regeln befolgen, etwa dass Frauen nicht mit Männern im selben Raum sitzen dürfen und Ähnliches, und daran halten wir uns selbstverständlich. Zum anderen sind circa 34 Prozent der Empfänger der von uns garantierten Mikrofinanzkredite Frauen, gemessen an der Zahl der Kredite. Gemessen am Kreditvolumen ist der Anteil geringer, weil Frauen in der Regel kleinere Kredite bekommen. Es gibt von der EU eine Vorgabe, dass Projekte in Afghanistan mit und für Frauen durchgeführt werden müssen – und die erfüllen wir. 

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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