Frauen stellen in den Hilfsorganisationen am Hindukusch knapp ein Drittel der Beschäftigten. Aus Protest gegen das Berufsverbot erklärte der Dachverband der in Afghanistan tätigen lokalen und internationalen Organisationen (ACBAR) im Dezember, man werde die Tätigkeit vorerst aussetzen. Seitdem bemühen sich internationale Geber und die Vereinten Nationen darum, mit einer Stimme zu sprechen. UN-Vertreter forderten, die Regierung solle das Dekret zurücknehmen. Der Ständige Ausschuss humanitärer Organisationen (IASC) versucht, eine Ausnahme des Beschäftigungsverbots für für Hilfsorganisationen zu erreichen – nachdem bereits für Schulen und Gesundheitseinrichtungen Lockerungen gewährt wurden.
Das Auswärtige Amt (AA) erklärte in der zweiten Januarhälfte in den sozialen Medien, es werde Hilfe nur noch dorthin liefern, „wo Frauen arbeiten und alle Menschen Hilfe empfangen können“. In Stein gemeißelt scheint dies nicht. Mitte Februar hieß es auf Anfrage aus dem Ministerium: „Wir verurteilen dieses Vorgehen (der Taliban) auf das Schärfste und überprüfen derzeit, was es für die humanitäre Hilfe bedeutet, die wir dort leisten.“
Das AA liefert den größten Teil deutscher Nothilfe für Afghanistan. Sie wird etwa je zur Hälfte über UN-Organisationen wie das Welternährungsprogramm WFP und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und über nichtstaatliche Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe oder die Caritas abgewickelt. Das Entwicklungsministerium (BMZ) beteiligt sich mit internationalen Partnern „regierungsfern“ an einer Basisversorgung der Bevölkerung, etwa für Gesundheit.
Das BMZ hat alle Vorhaben mit einem Fokus auf Frauen und Mädchen versehen
Nach wochenlanger Abwägung legte Entwicklungsministerin Svenja Schulze schließlich Mitte Februar Leitlinien für die weitere Arbeit in Afghanistan vor. Der Grundsatz laute „mit Frauen für Frauen“, teilte ein Sprecher mit. „Soweit Frauen in den von uns finanzierten Programmen mitarbeiten und Frauen durch unsere Programme erreicht werden können, werden wir unser Engagement zum Erhalt der Basisversorgung fortführen.“ Afghanische Mädchen und Frauen würden sonst „doppelt bestraft“. Das BMZ habe nach der Machtübernahme der Taliban alle Vorhaben darauf ausgerichtet, dass sie einen Fokus auf Frauen und Mädchen haben. Deshalb laufen die meisten Vorhaben der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der KfW Entwicklungsbank weiter; nur 15 Prozent der bisherigen Unterstützung liegen laut BMZ auf Eis, weil die Vorhaben pausieren müssen.
Vom Auswärtigen Amt heißt es, vor der Auszahlung weiterer Mittel werde jedes Projekt geprüft, inwieweit Hilfe unter Wahrung humanitärer Prinzipien möglich sei. Fachleute pochen auf Grundpfeiler der humanitären Hilfe wie Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit und Neutralität – und sehen es schon als Politisierung, wenn die Bundesregierung in Aussicht stellt, Mittel zu kürzen oder auszusetzen.
22 nichtstaatliche Hilfsorganisationen, darunter Mitglieder des Arbeitskreises Afghanistan des Dachverbands Venro, appellierten in einem gemeinsamen Brief Anfang Februar an Außenministerin Annalena Baerbock und die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg, die Finanzierung der humanitären Nothilfe aufrechtzuerhalten. „Den am Arbeitskreis beteiligten Organisationen ist es aus Verantwortung für die lokale Bevölkerung sehr wichtig, dass das Land nicht international isoliert wird“, sagt Anna Dirksmeier, die Länderreferentin für Afghanistan von Misereor. Das katholische Hilfswerk leistet mit BMZ-Mitteln Hilfe im einstelligen Millionenbereich, unter anderem für ländliche Entwicklung zugunsten von Bäuerinnen. Bis jetzt sei kein Projekt gestoppt worden, sagt Dirksmeier. Da die Taliban das Arbeitsverbot nicht einheitlich durchsetzten, lote man regionale Spielräume für die Weiterarbeit von Frauen aus.
Projekte in der Landwirtschaft oder der Tierhaltung sind schwierig
Ähnlich geht die Welthungerhilfe vor, die Nahrungsmittel- und Bargeldhilfe dort wieder aufgenommen hat, wo es möglich ist, Frauen zu erreichen, und wo Mitarbeiterinnen eine Arbeitserlaubnis bekommen. Schwieriger sei es, Projekte in der Landwirtschaft oder der Tierhaltung fortzusetzen, da es für diese keine Ausnahmen vom Arbeitsverbot für Frauen gebe, sagte eine Sprecherin. „Wir müssen Wege finden, um Frauen zu erreichen und können nicht die humanitäre Hilfe komplett einstellen, Ausnahmen sind für uns ein gangbarer Weg.“ Die Frage, ob Helfer sich moralisch kompromittieren, wenn sie trotz der Entrechtung von Frauen solche Kompromisse eingehen, verneinte die Sprecherin. „In der humanitären Hilfe geht es nicht um moralische Positionen, sondern um das Überleben aller Menschen, die in Not sind.“
Auch Misereor plädiert für pragmatische Lösungen. Es müsse bedacht werden, wie sich eine Suspendierung der Hilfe auf die notleidende Bevölkerung auswirkt, sagt Länderreferentin Dirksmeier. „Wir halten es für unabdingbar, einen Fuß in der Tür zu halten, um mit den Machthabern im Gespräch zu bleiben und bessere Bedingungen aushandeln zu können.“ Eine rote Linie wäre überschritten, wenn die Taliban lokale Partner in Gefahr bringen oder Projektmittel abgreifen – oder wenn Projekte mit und für Frauen überhaupt nicht mehr möglich wären.
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