Von Heiko Meinhardt
Gute Regierungsführung gilt als Voraussetzung für politische und wirtschaftliche Entwicklung. Vor allem in Afrika gibt es deshalb kaum ein Land ohne Programm für eine effektivere Verwaltung und rechenschaftspflichtige staatliche Institutionen. Häufig wirkt die Förderung aber nicht, weil sowohl die Geber als auch die Empfängerländer nicht wirklich dahinterstehen.
Seit die Weltbank vor rund zwanzig Jahren das Konzept der „Guten Regierungsführung“ (Good Governance) erfunden hat, ist es zu einem festen Bestandteil internationaler Entwicklungszusammenarbeit und Demokratieförderung geworden. Obwohl das Konzept nicht explizit von Demokratie spricht, basiert Good Governance auf dem westlichen Demokratiemodell und einem marktwirtschaftlichen System.
„Gute Regierungsführung“ bedeutet, dass die Staatsbürger sich an der Formulierung von Politik beteiligen können, zum Beispiel mittels Parteiarbeit oder Wahlen. Die gewählten Amtsträger und der öffentliche Dienst handeln verantwortlich und transparent und sind dem Bürger gegenüber rechenschaftspflichtig. Weitere Kriterien sind die Stabilität des politischen Systems, das sich auf eine demokratische Verfassung gründet, eine effektive und effiziente Verwaltung sowie Rechtstaatlichkeit und Kontrolle von Korruption.Vor allem in Afrika fördern Geber „gute Regierungsführung“. Dort werden aber auch die Schwächen und Fallstricke des Konzepts deutlich: Good Governance funktioniert nur dann, wenn die Regierung wirklich dahintersteht und die Geber an einem Strang ziehen. Das aber ist nicht immer gewährleistet.
Zwar haben fast alle afrikanischen Staaten heute Mehrparteiensysteme und formal-demokratische Verfassungen. Weiter sind die Reformen jedoch in vielen Ländern nicht gegangen. Viele afrikanische Staaten sind defekte Demokratien: Die demokratischen Institutionen sind zwar vorhanden, erfüllen aber nicht ihre Aufgaben.
Die Förderung von Good Governance soll diesen Defekt beheben und die staatlichen Institutionen leistungsfähiger machen. In vielen Ländern Afrikas ist der Staat schwach und sein Einfluss reicht kaum über die wenigen städtischen Zentren hinaus; die Bürger sind von seinen Leistungen abgeschnitten. Vor allem Unternehmer aber brauchen eine effiziente, transparente und möglichst korruptionsfreie Verwaltung, um investieren und arbeiten zu können. Und sie brauchen so wie alle anderen Bürger auch einen Rechtsstaat, der von einer unabhängigen und effizient arbeitenden Justiz garantiert wird und der es ihnen ermöglicht, Rechtsansprüche durchzusetzen.
In Kenia wurde nach dem ersten demokratischen Regierungswechsel von Daniel arap Moi zu Mwai Kibaki im Jahr 2003 ein großes Good-Governance-Programm aufgelegt. Das vom damals neu geschaffenen Justizministerium geleitete Governance, Justice, Law and Order Sector Reform Programme (GJLOS) umfasst 33 Schlüsselinstitutionen, darunter die obersten Gerichte, den Strafvollzug, die Antikorruptionsbehörde, die Menschenrechtskommission und die Polizei, sowie den privaten Unternehmersektor und zivilgesellschaftliche Organisationen. Das ambitionierte Programm, das unter anderem von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit gefördert wird, hat einige Erfolge erzielt: So hat sich beispielsweise die materielle und personelle Ausstattung der beteiligten Institutionen verbessert, Mitarbeiter wurden weiterqualifiziert, und die Kommission zur Rechtsreform unterstützt die Ausarbeitung neuer Gesetze.
Das Programm hat aber auch einige signifikante Schwachstellen, die die Frage aufwerfen, inwieweit die Regierung in Nairobi hinter dem Vorhaben steht. So wurde das Hauptziel, den Zugang der Bürger zum Rechtsstaat und zur Verwaltung landesweit zu verbessern, bisher nicht erreicht. Das liegt daran, dass bislang vor allem die Ministerien und Justizbehörden in der Hauptstadt bedacht wurden. Für sie wurden Fahrzeuge, Computer und Büroeinrichtungen angeschafft, während die staatlichen Stellen außerhalb von Nairobi weitgehend leer ausgegangen sind, weil die Mittel nicht reichten.
Der Staat in Kenia ist hierarchisch aufgebaut, die Behörden auf dem Land können deshalb gegenüber ihren Zentralen in Nairobi nur als Bittsteller auftreten. Der Bedarf auf dem Land wurde zwar erhoben, aber nur sehr selten auch erfüllt. Bevor man beispielsweise ein Verwaltungsgericht in der Provinz ausstattete, wurde lieber ein weiteres Fahrzeug für den Obersten Gerichtshof angeschafft. Auf diese Weise wurde zwar die Zentrale gestärkt und effizienter, aber die ländliche Bevölkerung vernachlässigt. Zudem werden Fördermittel immer wieder unsachgemäß verwendet. So wurde Geld für ein Gefängnis in Mombasa für den Ankauf von Wandfarben benutzt. Das Ziel, die hygienischen Bedingungen für die Häftlinge zu verbessern, wurde indes nicht erreicht: Zuerst wurden nämlich die Büros der Gefängnisleitung gestrichen, so dass für die Zellen nichts mehr übrig blieb.
Wie wichtig eine funktionierende Justiz ist, zeigt sich im hohen Anteil an Untersuchungshäftlingen in Kenia. Fast jeder zweite Gefängnisinsasse in dem Land ist nicht rechtskräftig verurteilt. Viele Untersuchungshäftlinge sitzen über ein Jahr in Haft. Der hohe Anteil ist vor allem einer Fehlentwicklung des Good-Governance-Programms geschuldet. Die Polizei hat in den vergangenen Jahren möglichst viele Verdächtige verhaftet, um die von ihr verlangte Effizienzsteigerung zu demonstrieren. Die Gerichte kommen allerdings nicht nach, diese Fälle abzuarbeiten. Für Kleinkriminelle oder gar unschuldige Häftlinge hat das Programm deshalb eher Nachteile gebracht.
Das Programm stößt zudem auf politische Widerstände. Das gilt vor allem für die Korruptionsbekämpfung. Die 2003 eingerichtete Kenya Anti-Corruption Commission (KACC) gilt als eigenständig, professionell und relativ gut ausgestattet. Sie hat eine ganze Reihe von Korruptionsfällen untersucht und zur Anklage vorbereitet. Präsident Kibaki hatte zudem kurz nach seinem Amtsantritt in einer werbewirksamen Aktion den Leiter der kenianischen Zweigstelle von Transparency International, John Githongo, zum Korruptionsbeauftragten der Regierung gemacht. Als dieser dann aber irgendwann auch führende Regierungspolitiker der Korruption bezichtigte, wurde er offenbar bedroht und floh im Januar 2005 nach Großbritannien ins Exil.
Die meisten von der KACC untersuchten Fälle, die Spitzenpolitiker betrafen, wurden nicht zur Anklage gebracht, da dafür das Einverständnis des Generalstaatsanwalts erforderlich ist. Dieser politische Beamte hat es bisher verstanden, die Empfehlungen der Kommission mit formalen oder inhaltlichen Einwänden abzuwehren. Dass der Generalstaatsanwalt zustimmen muss, entstammt britischem Recht und findet sich auch in anderen ehemaligen britischen Kolonien. Dass die Regierung dieses Vetorecht offensichtlich politisch missbraucht, macht deutlich, dass sie nicht gewillt ist, die Korruption tatsächlich auf allen Ebenen des Staatsapparates zu bekämpfen. Unter dieser Voraussetzung stößt ein Good-Governance-Programm schnell an seine Grenzen, da die Regierung in der Öffentlichkeit nur eingeschränkt glaubwürdig ist.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Einheimische nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wurden in das kenianische Programm eingebunden, um ihre Interessen, Vorschläge und Ideen zu berücksichtigen und um die für das Programm relevanten Dienstleistungen und Netzwerke der NGOs koordiniert zu nutzen. Das kollidiert aber mit dem Selbstverständnis dieser Organisationen, die sich vor allem als Aufpasser (watchdog) der Regierung sehen und daraus ihre Legitimität gegenüber ihren Mitgliedern und Sponsoren ableiten. Sie wollen sich deshalb nicht über das Programm von der Regierung einbinden lassen. Dazu kommt, dass die NGO-Szene in Kenia sehr heterogen und zerstritten ist. Viele formal nichtstaatliche Organisationen sind parteipolitisch unterwandert, was eine konzertierte NGO-Arbeit fast unmöglich macht.
Die meisten Good-Governance-Programme gehen auf Initiativen der Geber zurück. Die Regierungen der Empfängerländer, vor allem wenn sie wie in Kenia autoritäre und korrupte Regime abgelöst haben, sind es ihrer politischen Glaubwürdigkeit im In- und Ausland schuldig, diese Programme nicht nur zu tolerieren, sondern ausdrücklich zu begrüßen und finanziell zu unterstützen. Wenn ein Programm aber den Interessen der betroffenen Regierung widerspricht und deshalb von dieser unterlaufen wird, haben die Geber kaum Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen.
Ein Ausstieg aus dem Programm, so wie es die Geber beispielsweise nach dem Rücktritt des Korruptionsbeauftragten John Githongo in Kenia erwogen haben, ist meistens keine Option, weil dadurch auch die erfolgreichen Maßnahmen gefährdet würden. Zudem verliert die wiederholte Drohung, die Finanzierung einzustellen, mit der Zeit an Wirkung. Das Beispiel des von der EU finanzierten Rechtsstaatsprogramms in Malawi zeigt indes, dass mitunter die Geber selbst die Förderung „guter Regierungsführung“ behindern, wenn sie nicht ihren Interessen entspricht. Im Juni 2003 – das Programm war gerade fünf Jahre alt geworden – wurden auf Drängen der USA fünf Ausländer in Malawi unter dem Verdacht festgenommen, der Terrorgruppe al-Qaida anzugehören.
Die zwei Türken und jeweils ein Bürger Saudi-Arabiens, Sudans und Kenias wurden an die USA überstellt und ausgeflogen, obwohl sie in einem Gerichtsverfahren eine einstweilige Verfügung gegen ihre Ausweisung erwirkt hatten. Dieses rechtswidrige Vorgehen kam offenbar unter erheblichem Druck der USA zustande und fügte dem malawischen Rechtssystem erheblichen Schaden zu. Die Verdächtigen wurden indes wenige Wochen später ohne jegliche Erklärung von den USA im Sudan wieder auf freien Fuß gesetzt. Mit dieser Aktion hat ein wichtiger Geber aus einem Eigeninteresse heraus die jahrelange Förderung der Rechtstaatlichkeit in Malawi schwer beschädigt.
In Afrika südlich der Sahara sind nach dem Ende des Kalten Krieges fast alle bis dahin autoritär verfassten Regime unter Demokratisierungsdruck geraten. Das lag auch an der großen Abhängigkeit der Staaten von westlicher Entwicklungshilfe. Für die Geber verlor der Kontinent an strategischer Bedeutung; sie waren nicht mehr bereit, selbstgefällige Potentaten unbedingt an der Macht zu halten, und koppelten die Entwicklungshilfe an Auflagen, beispielsweise an demokratische Reformen.
Allerdings endet an diesem Punkt bereits häufig die gemeinsame Politik der Geber. In der Vergangenheit haben sie ihre Konditionen für Entwicklungshilfe und ihre Bemühungen zur Stärkung „guter Regierungsführung“ oft nicht untereinander abgestimmt und mitunter sogar gegeneinander gearbeitet. So konnte man sich zum Beispiel in den 1990er Jahren nicht auf ein Erdölembargo gegen das Militärregime von Sani Abacha in Nigeria verständigen, da das den Erdölpreis in die Höhe getrieben und die Konjunktur in den USA und in Europa eingetrübt hätte. In der Republik Kongo unterstützten die Franzosen aktiv die gewaltsame Rückkehr des autoritären Staatschefs Denis Sassou-Nguesso und verärgerten damit besonders die USA. Auch dort ging es um Erdöl.
Good Governance braucht Zeit. Trotz aller Defizite und Rückschläge haben die Programme in Kenia und Malawi durchaus etwas bewirkt: Eine Rückkehr zu den früheren korrupten und autoritären Regimen in beiden Ländern ist kaum denkbar. Die Programme der Geber sind in technischer Hinsicht stimmig und wichtig. Es kommt aber auf den politischen Willen sowohl der Regierung im Empfängerland als auch der Geber an, solche Projekte zu stützen und frei von schädlicher politischer Einflussnahme umzusetzen.
Heiko Meinhardt lehrt Internationale Politik an der Universität Hamburg und ist als Consultant und Wahlbeobachter tätig, vor allem in Afrika.