Die junge Kenianerin Ruth Jebet geht beim Finale über 3000 Meter Hürden in Rio de Janeiro im August 2016 als Erste über die Ziellinie. Damit erfüllt sie sich ihren Lebenstraum, Olympiasiegerin zu werden – allerdings in den Farben des Königreichs Bahrain. Jebet hätte auch für ihr Heimatland antreten können, doch schon als Jugendliche hatte sie sich entschieden, ihre finanzielle Zukunft und die ihrer Familie zu sichern. So bringt sie dem Königreich vier Jahre nach dem Olympiasieg von Maryam Yusuf Jamal, einer Mittelstreckenläuferin äthiopischer Herkunft, die zweite Goldmedaille ein.
Fünf Jahre später stammen alle vierzehn Athletinnen und Athleten, die in Tokio für Bahrain ins Leichtathletikstadion einlaufen, vom afrikanischen Kontinent. Der Handballkader dagegen rekrutiert sich ausschließlich aus Einheimischen von Bahrain: Sämtliche Spieler gehören der schiitischen Bevölkerungsmehrheit an, den Baharana. Nach einer guten Vorrunde scheidet diese vielversprechende Auswahl im Viertelfinale gegen den späteren Olympiasieger Frankreich aus.
Der Sport ist alleiniger Herrschaftsbereich der Familie Al-Khalifa
Der Sport ist in Bahrain genau wie die undurchsichtigen Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen der Monarchie alleiniger Herrschaftsbereich der Familie Al-Khalifa. Das Olympische Komitee, die Verbände und Clubs gehören zum Räderwerk des königlichen Machtapparats. Den Sport hat Scheich Nasser Bin Hamad Al-Khalifa fest in der Hand, ein Sohn von König Hamad Bin Isa Al-Khalifa (er ist nicht zu verwechseln mit Nasser Al-Khelaïfi, dem katarischen Präsidenten des Fußballclubs Paris Saint-Germain). Als Vorsitzender des Obersten Jugend- und Sportrats, der einem Sportministerium entspricht, leitet der Halbbruder des Kronprinzen auch das Olympische Komitee von Bahrain. Auf ihn gehen die verstärkten Investitionen Bahrains in verschiedene Zweige der Sportindustrie im Laufe der 2010er Jahre zurück: der Einstieg in den zweiten Fußballverein von Paris, den Paris Football Club; die Übernahme des spanischen FC Cordoba; die Gründung eines Radsportteams, das heute Bahrain-Victorious heißt.
Als Absolvent der königlichen Militärakademie von Sandhurst in Großbritannien hat der Scheich auch den prestigeträchtigen Posten des Kommandeurs der Königlichen Garde inne. Er bestimmt also nicht nur über den Sportapparat des Königreichs, sondern gehört auch zum Rückgrat von dessen Sicherheitsapparat, weshalb er seit den Unruhen im Jahr 2011 von nichtstaatlichen Organisationen immer wieder der Folter bezichtigt wird. Damals gerieten zahlreiche bahrainische Sportlerinnen und Sportler ins Visier der Repression. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 1959 gilt jede Politisierung des Sports, die nicht der königlichen Sprachregelung entspricht, als Widersetzlichkeit gegen das Königshaus.
Die meisten Opfer der Repression gegen Sportler stammen aus der Bevölkerungsmehrheit der Bahrana, die von den Machthabern als potenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Einer ist Alaa Hubail, der Star des bahrainischen Fußballs der 2000er Jahre. Im April 2011 wurde der Torjäger verhaftet und zusammen mit seinem Bruder Mohamed, ebenfalls Fußballer, in ein Geheimgefängnis gebracht. Nach seiner Freilassung ließ der Star über die Presse verlauten, er habe nicht aus politischen Gründen an Demonstrationen teilgenommen. In den Monaten nach diesen Festnahmen schätzten mehrere unabhängige Presseorgane, darunter Miraat Al-Bahrayn (Spiegel von Bahrain), die Zahl der Festnahmen von Sportlerinnen und Sportlern auf über hundert.
Inzwischen stammen viele Spitzensportler aus Subsahara-Afrika
Diese Reaktion auf den Aufstand zeigt die Verbindung des Sports mit der politischen Herrschaft, und die hat seit Beginn der 2000er Jahre ihren deutlichsten Ausdruck in der Einbürgerungspolitik unter Leitung des Olympischen Komitees von Bahrain gefunden. Die Mittelstreckenläufer Abdul Haq Al-Qurashi und Rashid Ramzi sowie der Fußballer Faouzi Aaish, alle drei marokkanischer Herkunft, waren in den Jahren 2001, 2002 und 2005 die ersten eingebürgerten Afrikaner. Wegen ihrer arabischen Erscheinung werden Sportler aus Nordafrika am Golf geschätzt, auf dem Spielfeld mischen sie sich problemlos mit dem einheimischen Kader.
Doch schnell gewannen Athleten von südlich der Sahara die Oberhand. Die aus Äthiopien stammende Maryam Yusuf Jamal brachte 2007 dem Königreich den dritten Weltmeisterschaftstitel in Leichtathletik ein – nach den ersten beiden Goldmedaillen für Rashid Ramzi zwei Jahre zuvor. Danach reihten sich neun kenianische Sportlerinnen und Sportler in den Kader des Golfstaats ein. In der bahrainischen Gesellschaft wird das mit Argwohn beäugt. Unter dem sportlichen Nachwuchs im Land erzeugt es ein Gefühl der Zurücksetzung und nährt Abwanderungsgedanken.
Bahrain verfolgt diese Politik, um ständig einheimische Sportlerinnen und Sportler unter Druck zu setzen und in den Stadien den Ruhm seiner Dynastie zu mehren. Dafür machen sich die Verantwortlichen zunutze, dass afrikanische Sportorganisationen ihren jungen Leuten nicht die finanziellen Perspektiven bieten können wie Manama.
Athleten aus Somaliland müssen unter der Flagge eines anderen Landes laufen
Das Netzwerk, das sie nach Bahrain lockt, entsteht jedoch auf afrikanischem Boden. An einem Tisch im Café Al-Madina im Zentrum von Hargeisa, der Hauptstadt von Somaliland, diskutieren an einem Abend im Ramadan 2022 junge Amateurläufer über ihre Leistungen, ihre Ambitionen und ihre Abwanderungsgedanken. Ihr Land existiert ja gar nicht, jedenfalls nicht offiziell: Somaliland hat zwar 1991 seine Unabhängigkeit vom übrigen Somalia erklärt, wird jedoch von der Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Seine jungen Athletinnen und Athleten, die von einer internationalen Karriere träumen, sind gezwungen, unter der Flagge eines anderen Landes zu laufen. In Äthiopien und Kenia wissen die Verbände schon nicht mehr, wohin mit diesen Talenten.
Manche Athleten aus Somaliland suchen daher ihr Glück in Dschibuti, wo es kaum aufstrebende Sportler gibt. So stammt Ayanleh Souleiman, der Star unter den Mittelstreckenläufern Dschibutis, aus der Grenzregion Awdal in Somaliland. Für junge Somaliländer ist die dschibutische Flagge aber nicht das Traumziel. Europa wäre eine bessere Option, aber der ferne und „alte“ Kontinent bleibt für sie weitgehend unerreichbar.
Also richten sich die Hoffnungen eines Großteils von ihnen auf die Golfstaaten, vor allem Katar und Bahrain. Sie bieten „echte Möglichkeiten“, wie ein somaliländischer Läufer betont. Ein anderer Athlet, den wir 2022 auf der Durchreise in Hargeisa treffen, erklärt, er sei nach Manama geflogen, „um [seine] Träume zu verwirklichen“, nachdem sein Coach „großes Potenzial“ in ihm gesehen habe. Diese jungen Leute gehen nicht nur aus wirtschaftlichen Motiven an den Golf, sondern auch, weil sie dort die Infrastruktur und Betreuung finden können, um das höchste Leistungsniveau zu erreichen. Ein Athlet aus dem Westen Somalilands betont, dass das somaliländische Ministerium für Jugend und Sport „keine Ahnung vom Laufsport hat und nichts für die Entwicklung dieser Disziplin tut“.
Ostafrikanische Trainer sind bei den Sportverbänden der Ölmonarchien angestellt
Die jungen Sportlerinnen und Sportler werden nach ihrer Ankunft in den Golfstaaten von ostafrikanischen Trainern rekrutiert, die bei den Leichtathletikverbänden der Ölmonarchien angestellt sind und „ihnen den Start erleichtern“, sagt ein Amateurläufer in Hargeisa. Einer ist der sehr angesehene Jama Aden „Karaacin“: Der Mittelstreckenläufer, der in den 1980er Jahren für Somalia gestartet war, wurde Anfang der 2010er Jahre von Katar unter Vertrag genommen. Damals war er bereits in der ganzen Region dafür bekannt, dass er berühmte Athleten trainiert hatte. 2016 wurde er im Zusammenhang mit einer Dopingaffäre in Spanien verhaftet. Bald darauf kehrte er Doha den Rücken und ließ sich in Manama nieder. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2022 übergab er seine Trainertätigkeit mit jungen, überwiegend äthiopischen und vereinzelt somaliländischen Sportlern an seinen Sohn Ayman.
Andere Coaches entdecken Läuferinnen und Läufer in Afrika und trainieren sie dort. In Kenia und Äthiopien ist die Konkurrenz hart. Manche junge Athleten versuchen aus sportlichen wie aus finanziellen Gründen, ihr Land zu verlassen. Der Kenianer Joshua Kiprugut Kemei erklärte 2016: „Wenn ich talentierte Läufer gefunden habe, verhandele ich mit deren Eltern“, damit sie nicht „nach Bahrain gebracht werden, um dort einen Vertrag zu unterschreiben.“
Auch die Gehaltsbedingungen, die Golfstaaten den Trainern anbieten, sind interessant – besonders für die, von denen die nationalen Verbände sich ohnehin trennen wollen. So hatte der Äthiopier Tolosa Kotu Terfe bis zu seiner Entlassung Ende der 2000er Jahre für den Verband seines Landes gearbeitet; in Bahrain fand er dann eine neue Anstellung als Trainer. Auch der Kenianer Gregory Kilonzo wanderte nach seiner Suspendierung durch den kenianischen Verband Anfang der 2010er Jahre dorthin aus.
Äthiopische Athleten sind in Bahrain eingebürgert, trainieren aber in der Heimat
Auch wenn sie in Bahrain eingebürgert werden, trainieren ostafrikanische Athleten oft in ihren Herkunftsländern. In Äthiopien läuft man in der Umgebung von Sululta, nördlich von Addis Abeba, auf 2800 Metern Höhe. Das kurbelt die Produktion roter Blutkörperchen an und verbessert damit die Ausdauer. Junge Läuferinnen und Läufer, die von einer sportlichen Zukunft am Golf träumen, können hier außerdem Spitzensportler treffen, die sich regelmäßig hier aufhalten und von diesen Kontakten profitieren.
In Sululta sind die Trainingsbedingungen und die Möglichkeiten, entdeckt zu werden, viel besser als anderswo. Aber das hat seinen Preis: Für Unterkunft, Verpflegung sowie Zugang zu den Laufstrecken und Sporthallen müsse man mindestens zweihundert Dollar pro Monat zahlen, bemerkt ein junger Läufer, der regelmäßig dort trainiert. Viele Somaliländer bevorzugen Dschibuti wegen der geringeren Kosten. In Kenia laufen die Athleten in der Provinz Rift Valley im Westen des Landes, vor allem im Gebiet um Eldoret.
Die Sportler träumen von großen Erfolgen – egal für welches Land
Im Vorfeld der Olympischen Spiele von Rio, zwischen 2013 und 2016, erhielten rund vierzig afrikanische – überwiegend kenianische – Sportlerinnen und Sportler die bahrainische Staatsbürgerschaft. Manche Trainer schwankten selbst zwischen Missbilligung, Anpassung und Unterstützung des Geschäfts. Der kenianische Coach Mike Kosgei hatte sich erst kritisch zu den eingebürgerten Athleten geäußert, bevor er 2006 selbst einen Trainervertrag in Bahrain unterzeichnete. Juma Ndiwa, ein anderer Coach aus Kenia, bemerkte 2017, seine Läuferinnen und Läufer würden sich von den Eingebürgerten nicht „die Party verderben“ lassen. Damals war einer seiner Schützlinge Bahrainer geworden.
Viele afrikanische Sportler haben in Bahrain aber nur eine Aufenthaltsbewilligung. Ein Amateurläufer aus Somaliland berichtet, die Sportler würden, wenn sie sich eine langwierige Verletzung zuziehen, in ihre Heimatländer zurückgeschickt.
Die jungen Athleten in Hargeisa kümmern diese Überlegungen nicht besonders. Sie träumen von Rekorden und olympischen Siegerpodesten. Die meisten kommen aus der Hauptstadt von Somaliland oder den großen Städten im Westen des Landes, Burao, Borama und Gabiley. Alle hoffen, eines Tages dieselben Erfolge zu erzielen, sei es für Bahrain, Katar oder welches Land auch immer.
Der Artikel ist zuerst französisch erschienen auf https://AfriqueXXI.info. Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller.
Raphaël Le Magoariec promoviert im Fach Geopolitik in der Forschungsgruppe Arabische Welt und Mittelmeer der Universität Tours (Frankreich) und befasst sich mit der Sportpolitik der Golfmonarchien.
Brendon Novel promoviert in Politikwissenschaft an der Universität Montreal (Kanada).
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