Verschiebung der Hilfe vom Süden zur Ukraine

picture alliance / AA/Narciso Contreras
In der Stadt Izyum in der Ukraine stehen Zivilisten Schlange, um Hilfsgüter zu erhalten. Aufgrund des Krieges und dem Rückgang der ukrainischen Wirtschaft ist die Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Schweiz möchte sich in der Ukraine in den nächsten Jahren in der humanitären Hilfe, aber auch in Projekten zur Energiegewinnung sowie zur Rückkehr von Vertriebenen engagieren. So steht es in der neuen IZA-Strategie.
Schweiz
Laut dem jüngsten Entwurf zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz 2025-2028 soll die Ukraine besondere Unterstützung erhalten. Die Etats für andere Länder werden nicht erhöht.

Leben retten und den Zugang zur Grundversorgung sicherstellen; zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum beitragen; die Umwelt schützen und den Klimawandel bekämpfen; Frieden und Menschenrechte fördern; sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken: Diese Ziele setzt sich die Schweiz in ihrer Ende Juni veröffentlichten Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA-Strategie) 2025-28. Damit führt sie die Schwerpunkte der laufenden Strategie (2021-24) weiter. Auch die Schwerpunktregionen bleiben in den nächsten vier Jahren Subsahara-Afrika, Asien, Nordafrika und Mittlerer Osten sowie Osteuropa.

Neu hinzu kommt jedoch ein besonderes Engagement für die Ukraine. Von den insgesamt 11,45 Milliarden Franken für die gesamten vier Jahre, die der Bundesrat für die internationale Zusammenarbeit ausgeben will, sind 1,5 Milliarden Franken für die Ukraine reserviert – „für humanitäre Projekte, die Minenräumung, Energieversorgung und Rückkehr der Vertriebenen“, erklärte Patricia Danzi, Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), bei einer Pressekonferenz. „Wir sind seit 1999 in der Ukraine tätig und ein Partner, auf den sie sich stützen kann.“ Weitere 1,6 Milliarden Franken sind für die Bekämpfung des Klimawandels vorgesehen.

Unterstützung für Ukraine müsste aus anderen Mitteln kommen

Ursprünglich sollten die Mittel, die mit Beendigung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika Ende 2024 frei werden, in die anderen Schwerpunktregionen verlagert werden, insbesondere Subsahara-Afrika sowie Nordafrika und Mittlerer Osten. Dass nun ein beträchtlicher Anteil für die Ukraine reserviert wird, ohne das Budget insgesamt zu erhöhen, kritisieren viele zivilgesellschaftliche Organisationen.

„Wir setzen uns dafür ein, dass die Schweizer Unterstützung der Ukraine nicht von der Bevölkerung im Globalen Süden bezahlt wird“, schreibt Alliance Sud, das Schweizer Kompetenzzentrum für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, dem sieben Hilfswerke angehören. Laura Ebneter, Fachverantwortliche Internationale Zusammenarbeit bei Alliance Sud, ergänzt: „Wir befürworten eine verstärkte Unterstützung für die Ukraine, aber diese muss zusätzlich zu dem Budget der Internationalen Zusammenarbeit gesprochen werden.“

Dem stimmt auch Martin Leschhorn zu. Er ist Geschäftsführer von Medicus Mundi, einem Netzwerk von rund 50 schweizerischen Organisationen, die in der internationalen Gesundheit tätig sind. „Das Geld für den Wiederaufbau der Ukraine muss anders bereitgestellt werden, etwa durch einen speziellen Fonds, der bestenfalls auch mit mehr als 1,5 Milliarden bestückt wird“, sagt Leschhorn. „Bei anderen krisengeplagten Ländern zu sparen, ist jedenfalls nicht der richtige Weg, so provozieren wir nur noch mehr Krisen.“

Deza-Direktorin Patricia Danzi räumte bei der Pressekonferenz ein: „Die Bedürfnisse weltweit sind größer geworden. Auf diese neuen, zusätzlichen Bedürfnisse können wir weniger reagieren, als wir gewollt hätten.“

Schweizer Schulden haben abgenommen

Laut Laura Ebneter von Alliance Sud hätte die Schweiz jedoch das Geld, mehr für den globalen Süden zu tun. Sie verweist auf eine Studie zu der Schuldenbremse der Schweiz, die Alliance Sud in Auftrag geben hatte. Demnach haben die Schulden des Bundes seit 2005 nicht nur absolut abgenommen. Relativ zur Größe der Schweizer Wirtschaft seien sie geradezu eingebrochen.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem neuen Strategieentwurf ist, dass das Budget der humanitären Hilfe um fünf Prozent aufgestockt werden soll, jedoch auf Kosten der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit. Für zusätzliche Maßnahmen der Not- und Soforthilfe bei Krisen und Katastrophen stünde mit dem Instrument der Nachtragskredite bereits ein flexibles Finanzierungsinstrument zur Verfügung, schreibt Alliance Sud.

Inhaltlich sei man mit den vier Themenschwerpunkten generell zufrieden, sagt Ebneter. Was aber fehle, sei eine klare Ausrichtung an internationalen Prozessen wie etwa der Lokalisierung der Entwicklungshilfe.  Außerdem vermisse sie ein Bekenntnis zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen und zur Stärkung der Zivilgesellschaft.

Konsultationsprozess zum Gesetz dauert bis September

Martin Leschhorn gibt zu bedenken, dass der Entwurf sehr wenige Details beinhalte und eine genaue Analyse deswegen schwierig sei. So werde etwa das Thema „Globale Gesundheit“ in der Strategie aufgegriffen, die genaue Ausgestaltung sei jedoch nicht ersichtlich. „Wenn die Gesundheit weltweit gesichert werden soll, wäre beispielsweise eine Förderung der örtlichen Produktion von Medikamenten unabdingbar“, sagt Leschhorn.

Alliance Sud und Medicus Mundi werden mit ihren Mitgliedern ihre Anmerkungen ausarbeiten und an den Bundesrat zurückschicken. Auch viele weitere zivilgesellschaftliche Akteure, Organisationen oder Parteien, nehmen an dem Konsultationsprozess teil, der bis September dauert. Am Ende entscheidet das Parlament. 
 

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