Mit Feride Funda G.-Gençaslan, der Vorsitzenden des Europäischen Zentrums für Sufismus und interreligiöse Begegnungen sowie Mitglied im Vorstand von GreenFaith Deutschland, und Khushwant Singh, dem Gründer des Rates der Sikh-Religion, hatte die Stiftung zwei Gesprächspartner aus Religionen aufs Podium gebeten, die an einen Schöpfergott glauben. Doch das Leben, das er demnach mit und auf der Erde geschaffen hat, ist nun durch den von Menschen gemachten Klimawandel bedroht. Das fordert alle Religionen, dies in ihr jeweiliges Weltbild einzuordnen.
Für Gençaslan sind Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder extreme Dürre Mitteilungen Gottes an die Menschen, „dass da etwas nicht rund läuft“. Gleichzeitig sei der Klimawandel aber nichts, das außerhalb von Gottes Plan liege. „Er lässt es zumindest zu.“ Naturkatastrophen seien aber auch eine Aufforderung an die Gläubigen, sich Gedanken zu machen, was man Gutes für andere tun könne.
Auch bei Khushwant Singh steht das Handeln des Einzelnen im Hier und Jetzt im Vordergrund. „Aus Liebe zur Natur können wir nicht passiv bleiben und müssen handeln. Mutter Erde ist ein Organismus, etwas, das lebt. Sie ist keine Ressource, die wir ausbeuten können.“ Bei der Frage, wie Menschen dazu bewogen werden, im Einklang mit der Natur zu leben, gehe es weniger um „Punktesammeln fürs Jenseits“. Eine nachhaltige Lebensweise sei vielmehr Ausdruck der Einsicht und inneren Weisheit. „Es geht nicht um Verbote, sondern um die Liebe zur Schöpfung.“ Deswegen wolle er weniger von Umwelt- als vielmehr von Seelenschutz sprechen, sagte Khushwant Singh. „Das Innere zeigt sich im Äußeren. Umweltverschmutzung ist ein Ausdruck dafür, dass wir im Inneren verschmutzt sind.“
Singh wünscht sich Austausch mit "Fridays for future"
Gegen die Klimakrise plädiert er für eine ganzheitliche Sichtweise. „Neben den technischen Lösungen braucht es auch spirituelle Antworten.“ Er wünsche sich einen Austausch mit der Fridays for Future-Bewegung, um gemeinsam Wege zur inneren Reinigung zu finden. Und er schlug einen „Holistic Wellbeing Index“ vor, der nicht nach linearem Wachstum frage, sondern messe, wie es der Natur, den Tieren und den Menschen gehe.
Dass Religionen bei der sozialökologischen Transformation eine wichtige Rolle spielen, stellte auf der Tagung niemand in Frage. „Egal in welcher Krise – ob in Kriegen, bei der Flüchtlingsfrage oder beim Klimawandel –, die Religionsgemeinschaften sind immer die ersten Gruppen, die handeln, weil sie es aus Liebe und aus ihrem Glauben heraus tun“, sagte Gençaslan.
Die These, dass organisierte Religionen bei der Bewältigung der Klimakrise im Hier und Jetzt eher hinderlich seien, weil sie auf das Jenseits vertrösteten, teilten weder Gençaslan noch Khushwant Singh. „Ich interessiere mich für das Jenseits und Diesseits. Die Weisheit lehrt mich, im Jetzt etwas zu tun“, sagte Singh. Gençaslan kritisierte, dass bei dieser These „nur ein Fetzen der gesamten Offenbarung rausgepickt wurde“. Am Tag des jüngsten Gerichts werde jeder aufgrund seiner Taten im Diesseits beurteilt. Deswegen gelte im Islam: „Im Diesseits investieren, um im Jenseits zu profitieren.“
„Muslim zu sein bedeutet eigentlich, Umweltaktivist zu sein“
Khushwant Singh kritisierte auch den Ansatz, dass der Mensch sich die Schöpfung untertan machen solle und die Krone der Schöpfung sei. Solche Bilder, in denen der Mensch zum Ausbeuter werde, kämen in allen Traditionen vor. „In der Spiritualität kommt es aber auf andere Werte an, nämlich auf Demut, Hingabe und Bescheidenheit. Wir sind auf dieser Erde nur Gäste und sollten uns auch als solche verhalten.“
Einig waren sich beide, dass Gläubige weniger predigen als vielmehr ihren Glauben leben sollten, um so zum Vorbild für andere, auch andere Religionsgemeinschaften zu werden. Gefragt, welche konkreten Schritte religiöse Institutionen gegen den Klimawandel tun könnten, nannte Gençaslan das Label der grünen Moschee, das ähnlich wie der in den Kirchen bekannte Grüne Gockel funktioniere. Allerdings finde sie auch, dass Imame die Gläubigen noch stärker auf das Umweltpotenzial im Islam hinweisen könnten. „Muslim zu sein bedeutet eigentlich, Umweltaktivist zu sein“, sagte sie. Und Khushwant Singh sieht die Aufgabe der Religionsgemeinschaften darin, Menschen hervorzubringen, die verzichten können. Wichtig sei auch, dass junge Menschen beim Klimawandel die größeren Zusammenhänge durchschauten.
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