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Die Geber tricksen bei den Zahlen zur Entwicklungshilfe und entwerten so das ODA-Konzept. So können sie knausrig sein, ohne sich rechtfertigen zu müssen, kritisiert Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".

Seit Jahren kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen, ein erheblicher Teil der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) der OECD-Geberländer sei in Wahrheit „Phantomhilfe“, weil sie gar nicht in den Entwicklungsländern ankomme. Dazu zählen etwa die Versorgung von Flüchtlingen in den Geberländern und die Kosten der Studienplätze für Studentinnen und Studenten aus Entwicklungsländern – beides dürfen sich die Geber nach den Regeln des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) als Entwicklungshilfe anrechnen. 

Die Praxis ist fragwürdig, doch viel tiefer noch reicht der Vorwurf einer neuen Initiative zur ODA-Reform, deren Website seit kurzem online ist. Demnach ist auch den Angaben des DAC zu Geldflüssen, die vermeintlich als ODA in den Entwicklungsländern ankommen, immer weniger zu trauen. Die Kritik bezieht sich zum einen und vor allem auf die Berechnung des sogenannten Zuschussäquivalents von Entwicklungskrediten, zum anderen auf das Anliegen der Geber, auch die staatliche Förderung von privaten Investitionen in Entwicklungsländern als ODA zu verbuchen.

Viele Geber, darunter Deutschland, Frankreich und Japan, vergeben einen Teil ihrer Entwicklungshilfe nicht als Zuschüsse – also als Geldgeschenke –, sondern als verbilligte Kredite, die das Empfängerland irgendwann wieder zurückzahlen muss. Seit dem Jahr 2018 führt der DAC in seinen Statistiken nicht mehr den Nennwert dieser Kredite als ODA an, sondern nur die öffentliche Leistung darin, das Zuschussäquivalent. Das ist ein errechneter Betrag, den der Geber theoretisch verlieren würde und sich selbst auf dem Kapitalmarkt besorgen müsste, würde das Empfängerland den Kredit nicht zurückzahlen. Laut der ODA-Reform-Webseite rechnen die OECD-Geber dabei so großzügig, dass sie viel höhere Beträge als ODA verbuchen können, als sie tatsächlich als Subventionierung aus Steuergeldern leisten. 

Hilfe für Privatgeschäfte als ODA?

Gleiches gilt für das Anliegen der Geber, sogenannte Privatsektorinstrumente als ODA zu verbuchen. Dazu zählen staatliche Kreditgarantien für Unternehmen, die in Entwicklungsländern Geschäfte machen, oder Unternehmensbeteiligungen staatlicher Entwicklungsfinanzierer wie der deutschen DEG. Seit einigen Jahren verhandeln die DAC-Geber darüber, wie solche Leistungen ODA-konform angerechnet werden könnten; seit 2018 gelten vorläufige Übergangsregeln. Für die Kritiker der ODA-Reform-Initiative ist das Ansinnen an sich widersinnig, weil solche Privatsektorinstrumente per se keine konzessionäre Leistung für das Empfängerland darstellen.

Hinter der ODA-Reform-Website steht der Brite Stephen Cutts, der elf Jahre im Finanzbereich der OECD sowie in einigen britischen Regierungsstellen tätig war und derzeit in der nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit arbeitet. Cutts befürchtet zu Recht, dass die Trickserei der Geber bei der Berechnung ihrer „Entwicklungshilfe“ das ODA-Konzept zunehmend entwertet. Denn dann ist nicht mehr klar, wie viel Geld tatsächlich in die Entwicklungsländer fließt. Und es lässt sich nicht mehr verlässlich sagen, wie viel Hilfe bestimmte Regionen oder bestimmte Bereiche wie Bildung, Landwirtschaft oder Gesundheit erhalten. 

Die Hilfe steigt - aber nur auf dem Papier

Angaben zur ODA taugen dann auch nicht mehr als Grundlage für politische Entscheidungen, um etwa festzustellen, ob bestimmte Bereiche über- oder unterfinanziert sind. Stattdessen dienen sie nur noch dazu, dass die Geber sich damit schmücken und zeigen können, wie großzügig sie vermeintlich sind. Cutts geht davon, dass die ODA in den kommenden Jahren auf dem Papier weiter steigen wird, die reichen Länder tatsächlich aber weniger Entwicklungshilfe leisten werden. 

Das ist der eigentliche Skandal, auf den der Brite aufmerksam macht: Die Regierungen der Geberländer fahren die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zurück, lobpreisen die Kraft des Privatkapitals für die Bearbeitung globaler Aufgaben und rechnen die ODA schön. So entziehen sie sich ihrer Verantwortung, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

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