Mister Toi und seine Feinschmecker-Kaffees

Knut Henkel
Sorgfältig sortiert Familie Thom die frisch geernteten Kaffeekirschen.
Klimaresistenter Kaffee
In Vietnam wird vor allem Robusta-Kaffee angebaut, der als weniger schmackhaft gilt als Arabica. Doch den anzubauen, wird mit dem Klimawandel schwieriger. Kaffeebauern in Vietnam versuchen es nun mit hochwertigem Robusta – ein zukunftsweisender Weg.

Die Auffahrt zur Farm der Familie Thom ist aufgeweicht. Vier Tage lang hat es nahezu pausenlos Bindfäden geregnet, rund um Bao Loc, eine von zwei Kaffeestädten im zentralen Hochland von Vietnam. „Alles andere als vorteilhaft mitten in der Kaffee-Ernte“, murmelt Toi Nguyen und parkt den weißen Pick-Up seiner Future Coffee Farm vor dem einfachen Holzgatter. Mister Toi, wie ihn alle nennen, nutzt den ersten trockenen Tag Anfang Dezember, um ein paar seiner Lieferanten abzuklappern. Zielstrebig geht er durch das Tor, wirft im Vorbeigehen einen prüfenden Blick auf die roten Kirschen, die an den buschigen, hochgewachsenen Kaffeesträuchern hängen, und steuert dann auf die windschiefe Scheune gleich hinter dem Wohnhaus zu. 

Da sitzt die Familie Thom vor einer mit Kaffeekirschen bedeckten Plane auf dem Boden und trennt die reifen, leuchtend roten von den unreifen grünen und den wenigen vertrockneten schwarzen Kaffeekirschen. Toi Nguyen nickt anerkennend in Richtung des Ehepaares Thom und deren Tochter. Dann greift er mit den Händen in einen der beiden prall gefüllten Säcke mit Robusta-Kirschen. Bei einigen ist das Fruchtfleisch aufgeplatzt, sie müssen zügig weiterverarbeitet werden. „Dafür sind die heftigen Regenfälle der letzten Tage verantwortlich. Manchmal fallen die Kirschen auf den Boden und verfaulen dort. Ein Albtraum für uns Bauern, egal ob wir Robusta oder Arabica anbauen“, sagt Mr. Toi. So heißen die beiden Kaffeesorten, die den Weltmarkt dominieren. Arabica gilt als höherwertig, Robusta hingegen als minderwertige Massenware, denn Arabica hat den Ruf, mehr Geschmacksnuancen zu liefern. 

Dieses Vorurteil will Toi Nguyen widerlegen. Seit 2015 baut er selbst, so wie sein Zulieferer Thom, im zentralen Hochland Vietnams auf rund 800 Meter über dem Meeresspiegel Robusta-Kaffee in Gourmetqualität an. 

Auch in Vietnam braucht man jetzt widerstandsfähige Sorten

Bis zu 85 Punkten von 100 möglichen erreichen die Kaffees von der Future Coffee Farm auf der Skala der Specialty Coffee Association (SCA), in der US-amerikanische Kaffeehändler, Röster und Baristas zusammengeschlossen sind, und gelten damit als exzellente Gourmetkaffees. Das ist ein erster Achtungserfolg für den innovativen und experimentierfreudigen Toi Nguyen, der auf knapp zwölf Hektar Robusta anbaut und von einem knappen Dutzend befreundeter Kaffeebauern und -bäuerinnen mit Robusta-Kirschen beliefert wird. Die werden unter dem Logo der Future Coffee Farm weiterverarbeitet und nach Japan, Europa und die USA verkauft.

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.
Derartige Kooperationen von Kleinbauern sind in Vietnam alles andere als üblich und auch nicht der Preis von 2,42 US-Dollar pro Kilogramm roter Kirschen, die die Future Coffee Farm ihren Zulieferern zahlt. Für die Familie Thom, die erst seit rund zehn Monaten zum Kreis der Lieferanten von Mr. Toi gehören, ist das überaus attraktiv. Normalerweise zahlen die Aufkäufer im Auftrag großer und kleiner, meist vietnamesischer Kaffeeunternehmen deutlich weniger als die Hälfte. 

Doch dafür verlangt Mr. Toi Qualität. Ausschließlich knallrote Robusta-Kirschen in möglichst einheitlicher Größe akzeptiert der Kaffeepionier von seinen Lieferanten. Deshalb sitzt Familie Thom vor dem Berg von Kaffeekirschen und sortiert: die knallroten mittelgroßen Robusta-Kirschen für Mr. Toi und den Rest für die weniger anspruchsvollen Ankäufer der Kaffee­industrie.

Toi Nguyen erzeugt hoch­wertigen Robusta-Kaffee; die Bedingungen für seine Zulieferer sind attraktiv.

Das funktioniert. Unter anderem weil Mr. Toi langfristig denkt und seinen Zulieferern Verträge gleich für fünf Jahre anbietet. Zudem berät er die Kaffeebauern beim Anbau und versorgt sie mit Setzlingen. „Junge Kaffeepflanzen sind widerstandsfähig gegen Schädlinge wie den Kaffeerost, aber auch gegen Wetterkapriolen, wie sie der Klimawandel mit sich bringt“, sagt er. Steigende Temperaturen machen sich auch im Hochland von Vietnam nachteilig bemerkbar, und deshalb empfiehlt Mr. Toi seinen Partnern die Robusta-Sorte 13A, die widerstandsfähiger gegen den Klimawandel ist und konstant große Kaffeekirschen hervorbringt. „Das ist ein immenser Vorteil bei der Verarbeitung in der Schälmaschine“, erklärt Mr. Toi und wuchtet die beiden bereits sortierten und gewogenen Kaffeesäcke der Familie Thom auf die Ladefläche seines Pick-ups. Die Kirschen sollen noch heute Abend auf der Future Coffee Farm weiterverarbeitet werden.

Die Farm liegt in einem Vorort von Bao Loc. Dort steht in einer Halle die Schälmaschine, dahinter die an Treibhäuser erinnernden Zelte mit den mehrstöckigen Trockenbetten, auf denen die Bohnen auf insgesamt 6000 Quadratmetern langsam und gleichmäßig trocknen. „Schnelle Verarbeitung nach dem Pflücken und langsames Trocknen nach dem Schälen sind zwei wesentliche Faktoren bei der Produktion von hochwertigen Kaffeebohnen, sowohl bei Robusta als auch bei Arabica“, erklärt Mr. Toi.

Junge Vietnamesen möchten heute besseren Kaffee 

Er hat sich sein Wissen über die aromatischen Bohnen und deren Anbau selbst angeeignet: zum einen in Gesprächen mit den Nachbarn, als er vor zwölf Jahren begann, auf sieben Hektar Ackerland Robusta anzubauen, zum anderen vor allem auf einschlägigen Kaffeeseiten im Internet. In seinem Vorhaben bestärkt hat Toi Nguyen die Teilnahme an einem Seminar für nachhaltigen Kaffeeanbau vor gut zehn Jahren in Bao Loc. Dort erklärte ihm ein Experte aus Frankreich, welche Preise für Gourmetkaffee geboten werden und wo er ansetzen müsse, um bessere Bohnen zu produzieren. 

Daran erinnert er sich heute noch mit einem breiten Grinsen: „Beim traditionellen Anbau verlieren wir rund 70 Prozent der Qualität“, sagt er und deutet auf eine große Freifläche am Straßenrand, wo mehrere Tonnen bräunlich-schwarzer Kaffeebohnen auf Plastikplanen trocknen. Schon auf den ersten Blick sind die Schimmelsporen auf einigen der Kaffeekirschen zu sehen. „So wird Robusta-Kaffee traditionell in Vietnam getrocknet – hier ging es immer um Masse, nie um Qualität. Für den Instantkaffee oder den billigen, dunklen Röstkaffee aus dem Supermarkt reicht das“, meint Toi Nguyen und winkt entnervt ab.

Doch der minderwertige Kaffee stößt immer mehr Produzenten und Konsumenten in Vietnam sauer auf: Sie wollen bessere Qualität. Zudem konkurrieren vor allem bei der jüngeren Generation Espresso und Cappucino mehr und mehr mit dem traditionellen Café Phin, dem durch den Handfilter laufenden Brühkaffee, und anderen vietnamesischen Kaffeespezialitäten wie Egg-Coffee oder Eis-Kaffee. Vietnam ist nicht nur zweitgrößter Kaffeeproduzent der Welt, sondern ein Land mit eigener Kaffeekultur. „1857 brachten französische Missionare die ersten Arabica-Bohnen ins vietnamesische Hochland rund um Da Lat. Das ist bis heute das Mekka des Arabica-Anbaus. Doch spätestens seit 1908 dominiert die widerstandsfähigere Robusta-Variante die vietnamesische Produktion“, erklärt der Holländer Timen R.T. Swijtink von Lacàph, einem vor drei Jahren gegründeten aufstrebenden Kaffeeröster und -händler in Saigon. 

Robusta wächst in Höhenlagen zwischen dreihundert und neunhundert Metern, während Arabica ab einer Höhe von 1000 bis 2250 Metern gedeiht. Die Arabica-Pflanzen sind zudem kleiner, weniger buschig als die bis zu vier Meter hohen Robusta-Sträuche, deren Kaffeebohnen kleiner sind, aber fast doppelt soviel Koffein und mehr Säure als die Arabica-Bohnen enthalten. Die Unterschiede zwischen den beiden dominierenden Kaffeepflanzen auf dem Weltmarkt haben dazu geführt, dass Robusta das Aschenputtel auf dem Weltmarkt ist und Händler und Röstereien meist weniger für die gehaltvollen Bohnen zahlen. 

Noch hat Gourmetkaffee aus Vietnam es in Europa schwer

Zu Unrecht, findet Kaffeefan Swijtink. Er bezieht für sein Unternehmen aromatische Bohnen von acht innovativen vietnamesischen Kaffeefarmen, die wie Mr. Toi auf Qualität setzen. Lacàph bietet deren Bohnen, sowohl Arabica als auch Robusta, frisch geröstet auf dem vietnamesischen Markt an. Zudem organisiert das umtriebige Start-up mit der schmucken Zentrale in Saigons Altstadt Kaffeeseminare und Kaffeetouren, hat ein Buch über Vietnams Kaffee-Kultur herausgebracht und exportiert ins Ausland.

Gourmet-Kaffee aus Vietnam hat dort noch einen schweren Stand. In Europa sind es vor allem kleine Röstereien wie Cumpa aus Herrenberg in Baden-Württemberg, die sowohl Robusta- als auch Arabica-Bohnen aus Vietnam anbieten und als Drehscheibe fungieren.

Das kann sich schnell ändern, denn der vietnamesische Kaffeemarkt, auf dem 94 Prozent der Produktion auf Robusta und nur rund sechs Prozent auf Arabica entfallen, wandelt sich. Das lässt sich in den großen Städten des Landes wie Saigon und Hanoi sowie in den touristischen Hotspots wie Hoí An oder Da Nang kaum übersehen. Dort steht in jedem Kaffeehaus mittlerweile eine moderne Espressomaschine, in der westliche Kaffeespezialitäten wie Cappuccino und Espresso zubereitet werden. Neu ist auch, dass die ersten Cafés informieren, welche Arabica- und Robusta-Sorten angeboten werden und aus welchen der etwa zehn vietnamesischen Anbaugebiete sie kommen. Hier und da kommt bereits Importkaffee aus Kolumbien, Guatemala oder Äthiopien in die Kaffeefilter und Siebträger.

Will Frith bietet in Saigon Weiterbildung und Beratung für die Kaffee-Branche Vietnams an.

Für Will Frith, Kaffee-Experte vom Kaffeezentrum Building Coffee in Saigon, ist das eine indirekte Folge des Kaffeeskandals aus dem Jahr 2013. Mehreren Kaffeeunternehmen wurde damals nachgewiesen, dass sie verunreinigten und mit Zusatzstoffen belasteten Kaffee auf den Markt gebracht hatten. „Das war ein Wendepunkt. Seitdem ist der Markt breiter geworden, die Nachfrage nach Qualitätskaffee steigt“, so Frith, Sohn einer Vietnamesin und eines US-Amerikaners. 2013 zog er aus der US-amerikanischen Kaffee-Drehscheibe Washington, wo er als Röster, Barista und schließlich Kaffee-Berater arbeitete, nach Saigon und baute dort Building Coffee im japanischen Viertel Pham Viêt Chánh auf. In dem modernen Zentrum für Weiterbildung und Beratung rund um Kaffee ist seitdem so manche vietnamesische Röstmarke, aber auch die Idee zur Gründung von Lacàph und weiterer Kaffeeunternehmen geboren worden.

Das ist kein Zufall, denn nach zwei Jahrzehnten Wirtschaftswachstum von rund sechs Prozent jährlich ist in Vietnam eine gut ausgebildete Mittel- und Oberschicht entstanden, die sich mehr leisten kann und will. Obendrein sei sie neugierig auf Produkte aus dem Ausland, meint Frith. Er profitiert davon, denn seit der Corona-Pandemie konzentriert er sich vor allem auf das Rösten und Verkaufen exquisiter Kaffeemischungen (blends) und Kaffees aus bestimmten Regionen, den sogenannten Single Origins. „Die haben Perspektive, nicht nur in Vietnam, sondern auch außerhalb“, ist sich Frith sicher und nennt neben Mr. Toi und seine Future Coffee Farm Produzenten wie Zanya Kaffee, einen Arabica-Hersteller aus der Hochlandregion Da Lat, und andere innovative Robusta-Bauern. 

Mit der Erderhitzung wird das Arabica-Angebot schrumpfen

Qualität aus Vietnam wird sich durchsetzen, sagt Frith und hat dafür noch ein weiteres, schlagkräftiges Argument: Weil es als Folge des Klimawandels auch in höheren Anbauregionen wärmer wird, wird sich das Angebot von Arabica-Bohnen auf dem Weltmarkt in den kommenden Jahren zunehmend verknappen. „Studien zufolge könnte allein Mittelamerika bis zum Jahr 2050 bis zu 80 Prozent seiner Anbauflächen für Arabica verlieren. Das könnte der Türöffner für bessere Robustas sein“, glaubt Frith. Unter Kaffeeexperten ist er damit nicht allein.

Die Zahl der innovativen Röstereien, die nach gutem Robusta fahnden, steigt, und erste Robusta-Anbauprojekte in Guatemala und Peru, klassischen Arabica-Produzenten, sprechen für sich: Fakten, die weitsichtigen Robusta-Farmern weltweit in die Karten spielen. Die Nachfrage nach gutem Robusta wird jedoch weit über den Markt für Spezialitätenkaffees hinausgehen, prognostiziert Frith. „Robusta kann die absehbare Lücke im Angebot füllen, der Weltmarktanteil von derzeit dreißig Prozent wird steigen.“

Dafür ist allerdings ein Qualitätsschub in Vietnam und bei anderen großen Robusta-Produzenten wie Indien, Indonesien oder Brasilien nötig, sagt Frith. Pioniere wie Mr. Toi allein reichen nicht, auch die Regierung müsse dem Bekenntnis zu mehr Qualität Taten folgen lassen und den Anbau von hochwertigem Robusta mehr fördern. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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