So schafft man erfolgreich Frieden

REUTERS/Thierry Gouegnon
Friedliche Machtübergabe: Liberias frühere Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf und der neu gewählte Präsident George Weah unterhalten sich während der Zeremonie zu seiner Amtseinführung im Samuel Kanyon Doe Sports Complex in Monrovia, Liberia, im Januar 2018.
Afrika
Im Sudan eskaliert die Gewalt und auch viele andere Staaten in Afrika sind unsicher und instabil. In Sierra Leone und in Liberia im Westen des Kontinents hingegen herrscht seit zwanzig Jahren Frieden. Wie sind die beiden Länder der Konfliktfalle entkommen?

Das vergangene Jahr war hart für UN-Einsätze zur Friedenssicherung, insbesondere in Afrika. In der Demokratischen Republik Kongo hat die lokale Bevölkerung wutentbrannt gegen die von ihr so wahrgenommene Unfähigkeit der Friedenstruppen demonstriert, die Zivilbevölkerung im Osten des Landes zu schützen. In Mali ist die UN-Mission praktisch zum Erliegen gekommen. Im Südsudan hatten die Peacekeeper Mühe, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung einzudämmen, und in der Zentralafrikanischen Republik sowie in Mali mussten sie mit der Anwesenheit von Söldnern zurechtkommen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden

Zu diesem Katalog frustrierender Schwierigkeiten kommt hinzu, dass in Haiti die Gewalt bewaffneter Banden immer wieder aufflammt. Die UN haben dort seit 1993 sechs Friedensmissionen durchgeführt. Die letzte, die 15 Jahre gedauert hat, endete 2019 unter schwierigen Umständen. Haitis Rückfall unterstreicht die Gefahr, dass einst von Bürgerkriegen geplagte Länder erneut in Gewaltkonflikte rutschen können. Fachleute sprechen von der „Konfliktfalle“.

Diese Bilanz ist zwar düster, doch der Rückblick auf zwei andere vergangene UN-Einsätze, gibt Anlass zu Optimismus. Vor 20 Jahren wurden die Bürgerkriege in Sierra Leone und Liberia beendet. Die Amputation von Gliedmaßen, „Blutdiamanten“ und Kindersoldaten, die zu Gräueltaten gezwungen wurden – dadurch waren die Konflikte in diesen beiden Ländern in Westafrika gekennzeichnet. Die Kriege griffen auf die Nachbarländer über und erzeugten seinerzeit eine der schlimmsten Krisen der Welt. Der UN-Sicherheitsrat warnte damals, die Stabilität der gesamten Region sei gefährdet.

In beiden Ländern wird dieses Jahr gewählt

Wie ist es Sierra Leone und Liberia gelungen, der Konfliktfalle zu entkommen? Und können sie die Stabilität halten angesichts dessen, dass in beiden Ländern in diesem Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen – in Sierra Leone bereits im Juni, in Liberia im Oktober? 

Vier Faktoren sind wesentlich für die Nachkriegsstabilität in beiden Ländern. Der wichtigste Faktor war die Stärke der politischen Führung nach dem Konflikt und die Legitimität der Regierung. Nach dem Ende der beiden Kriege sahen sich die Staatspräsidenten Tejan Kabbah in Sierra Leone und Ellen Johnson Sirleaf in Liberia mit tief zerrütteten und durch Jahre brutaler Gewalt und schlechter Regierungsführung traumatisierten Gesellschaften konfrontiert. 

Autor

Alan Doss

Alan Doss hat mehr als 40 Jahre lang für die Vereinten Nationen gearbeitet, vor allem in der humanitären Hilfe und der Friedenssicherung, unter anderem in Sierra Leone und in Liberia. Er ist Vorsitzender des Beirats der Denkfabrik Oxford Global Society, Senior Berater bei der Kofi Annan Foundation und Autor von „A Peacekeeper in Africa: Learning From UN Interventions in Other People's Wars“ (Lynne Rienner, 2020).

Die Amtsführung von Kabbah und Johnson Sirleaf war sicherlich nicht fehlerfrei, Vorwürfe der Korruption und Vetternwirtschaft waren ihre ständigen Begleiter. Aber anders als ihre Vorgänger bemühten sie sich, einen nationalen Zusammenhalt zu schaffen. Dadurch sicherten sie sich landesweit ein großes Maß an Unterstützung sowie das Vertrauen und Ressourcen der internationalen Gemeinschaft. Als ihre Mandate endeten, bewiesen sie die außerordentliche Klugheit, im Einklang mit den geltenden Amtszeitbeschränkungen abzutreten.

Seitdem finden in beiden Ländern regelmäßig Wahlen statt. Das stärkt die Glaubwürdigkeit des demokratischen Prozesses. Besonders wichtig dabei: Erfolglose Präsidentschaftskandidaten blieben in der politischen Arena und kamen später ins Amt.

Eine lebendige Zivilgesellschaft

Die politische Gestaltung lag jedoch nicht allein bei den Politikern. Eine lebendige Zivilgesellschaft, mit dem Engagement von Frauengruppen als Motor, hat dazu beigetragen, dass der Übergang nicht ausschließlich von den politischen Eliten gestaltet wurde. Auch die lokalen Medien ließen sich von zeitweiligen Repressalien nicht von regierungskritischer Berichterstattung abhalten. 

Ebenso bedeutsam für die Stabilität im Land waren sicherheitspolitische Reformen. Ein entscheidender Schritt war die Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung von bewaffneten Kämpfern. Ihnen wurden Unterstützung und Ausbildungsmöglichkeiten angeboten. Diese Programme trugen – obgleich von vielen als Belohnung für Kriminelle angesehen – dazu bei, ein Wiedererstarken bewaffneter Gruppen zu verhindern. 

Das allein hätte jedoch nicht ausgereicht, um dauerhaft Stabilität zu gewährleisten. Reformen des Sicherheitssektors waren dafür ebenso erforderlich. Sie zielten darauf ab, Militär und Polizei neu zu formieren und zu trainieren. Diese Reformen erforderten hohe Investitionen in Abfindungen für entlassene Polizisten und Soldaten, Sicherheitsüberprüfungen sowie für Ausbildung, Ausrüstung und Logistik. Sie wurden möglich, weil sich Partner wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Europäische Union und Südafrika in Zusammenarbeit mit den UN-Friedensmissionen vor Ort dazu verpflichteten, die Reformen langfristig zu unterstützen.

Auch die Übergangsjustiz spielte eine wichtige Rolle nach dem Ende der Konflikte. Beide Länder richteten Wahrheits- und Versöhnungskommissionen ein. Deren Aufgabe bestand darin, die Ursachen der Konflikte zu ermitteln, grobe Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu untersuchen und Maßnahmen zu empfehlen, die Abhilfe schaffen konnten. Die Kommissionen hatten zum Ziel, wiedergutmachende Gerechtigkeit zu fördern. Auf diese Weise erhielten Opfer und Täter die Möglichkeit, in Kontakt zu treten und ihre Belange anzusprechen.

Die Übergangsjustiz hat Opfern geholfen

Von den beiden Kommissionen war die in Sierra Leone wahrscheinlich die effektivere. Allerdings fanden ihre öffentlichen Anhörungen größtenteils in der Hauptstadt Freetown statt, was die Wirkung einschränkte. Den Weg wiedergutmachender Gerechtigkeit für Kriegsverbrechen schlug nur Sierra Leone ein: Dessen Regierung beantragte bei den Vereinten Nationen die Einrichtung eines Sondergerichts zur Verfolgung der Verbrechen. Die Urteile unter anderem gegen Liberias ehemaligen Präsidenten Charles Taylor wurden allgemein begrüßt, obwohl sie nur eine kleine Zahl von Tätern betrafen, die als die Hauptverantwortlichen galten.

Liberia hat keine Einzelpersonen wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Auf höchster Regierungsebene herrschte die unausgesprochene Befürchtung, dass solche Prozesse zu Unruhen und neuer Gewalt führen könnten. Glücklicherweise haben sich die Gerichtsverhandlungen und dort gefällten Urteile weder in Sierra Leone als irgendwie unheilvoll erwiesen, noch hatten sie derartige Auswirkungen auf Liberia.

Die Initiativen zur Übergangsjustiz spendeten den Leidtragenden einen gewissen Trost, doch unterm Strich waren sie nicht entscheidend für die Gewährleistung von Stabilität. Meinungsumfragen ergaben, dass sich die Menschen sicherer fühlten, aber das war hauptsächlich auf die Demobilisierung bewaffneter Gruppen und die Militärreformen zurückzuführen. Hingegen hielt die Unzufriedenheit der Bevölkerung über Missstände und Korruption bei der Polizei an.

Die rasche wirtschaftliche Entwicklung hat zweifelsohne zur Stabilität beigetragen. Das Wirtschaftswachstum schnellte in beiden Ländern dank des Zustroms von Hilfsgeldern und der verbesserten Sicherheitslage in die Höhe. Dank eines kompetenten makroökonomischen Managements genehmigten die Geber beiden Ländern den dringend benötigten Schuldenerlass. In Sierra Leone ging laut dem Onlineportal Our World in Data die extreme Armut von 75 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2002 auf 41 Prozent im Jahr 2012 zurück; die Lebenserwartung stieg im gleichen Zeitraum von 41 auf 51 Jahre. In Liberia sank die Quote der extremen Armut von 77 Prozent im Jahr 2003 auf 43 Prozent im Jahr 2013, und die Lebenserwartung kletterte von 53 auf 61 Jahre. 

Es ging um Macht, nicht um Ideologien

Mehrere für Sierra Leone und Liberia charakteristische Gegebenheiten haben die Stabilität ebenfalls gefördert. Erstens ging es in den Konflikten in beiden Ländern nicht darum, der Gesellschaft eine bestimmte Vision aufzuzwingen. Sie drehten sich vielmehr um den Kampf um staatliche Macht und die materiellen Vorteile, die diese Macht mit sich bringt. Daher konnten die Konflikte in politischen Verhandlungen gelöst werden, die weitgehend ungehindert von ideologischen, religiösen oder sezessionistischen Forderungen verliefen. Solche Forderungen wären viel schwieriger zu erfüllen oder aus der Welt zu schaffen gewesen.

Zweitens stimmte der UN-Sicherheitsrat größtenteils zu, Friedensmissionen und den Übergang nach dem Konflikt zu unterstützen. Glücklicherweise hat er sich auch anders als in Ruanda nicht aus dem Staub gemacht, als die Peacekeeping-Missionen in ernsthafte Schwierigkeiten gerieten. Innerhalb des Rates haben Großbritannien und die USA die Operationen stark diplomatisch unterstützt. UN-Generalsekretär Kofi Annan, der aus Ghana und damit aus der gleichen Region stammt, verstand sehr gut, worauf es ankam, und führte wohlinformiert die Missionen vom UN-Sekretariat aus.

Drittens unterstützten regionale Führungspersönlichkeiten und Organisationen, insbesondere die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), die UN-Einsätze. Zwar gab es Meinungsverschiedenheiten, etwa über die Rechtsprechung des Gerichtshofs für Sierra Leone. Das hat das insgesamt gute Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen und den afrikanischen Institutionen jedoch nicht beeinträchtigt.

Und schließlich sind Sierra Leone und Liberia kleine Länder mit kleiner Bevölkerung. Diese geografischen und demografischen Sachverhalte wirkten sich zu ihren Gunsten aus. Die Zahl der UN-Friedenstruppen im Verhältnis zur Landfläche und zur Einwohnerzahl war viel günstiger als in größeren Ländern wie dem Kongo. Dies verschaffte den UN-Truppen eine größere Durchschlagskraft, wodurch sie schnell auf Bedrohungen reagieren konnten.

In Sierra Leone und Liberia finden in diesem Jahr Präsidentschaftswahlen statt – in einer Zeit zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten, unter anderem verursacht von Covid-19 und dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. Die Wahlen werden zeigen, wie sehr sich beide Länder und ihre Führer für den demokratischen Fortschritt einsetzen – einen Fortschritt, der ihnen geholfen hat, der Konfliktfalle zu entkommen. Der Frieden ist nie gesichert. Aber Stabilität ist eine Plattform, auf der eine friedliche Zukunft aufgebaut werden kann – wenn die Bevölkerung und die politische Führung das wollen.

Aus dem Englischen von Anja Ruf. 
Der Artikel ist im Original bei Passblue erschienen. 

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