Der Scheich hilft den Kriegs­opfern

Was tut sich...im Jemen?
In unserer neuen Rubrik "Was tut sich...?" stellen unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten aus aller Welt einmal im Monat interessante und engagierte Menschen vor, die vor Ort etwas bewegen. Diesmal geht es um "Scheichs" im Jemen.

In vielen Regionen des Jemen funktioniert die Versorgung mit dem Allernötigsten nicht mehr. Hilfe kommt von gewählten Dorfvertretern, die einen altehrwürdigen Titel tragen.

Lehrer und Scheich: Fahmi Saif dient seinem Dorf als ehrenamtlicher Verhandler und Schlichter.
Fahmi Saif ist Lehrer im Dorf Al-Silw im Süden der Stadt Taiz im Jemen. Als der Krieg 2017 nach Al-Silw kam, floh er von dort wie die übrigen Dorfbewohner. Ein Jahr später kamen die Menschen in ihr Dorf zurück oder vielmehr zu den Ruinen ihrer Häuser. Eine Grundversorgung mit Wasser und Strom gab es nicht mehr. Stattdessen stritten sich die Menschen um Zugang zu Wasser und um Nutzungsrechte für Land, denn Landwirtschaft war und ist im Dorf eine der wichtigen Einkommensquellen.

Wer konnte in dieser Lage Hilfe mobilisieren und die vielen Streitigkeiten unter der Dorfbevölkerung schlichten? Die Leute fanden, Fahmi Saif sei dafür der Richtige. Der heute 46-Jährige sollte das Dorf fortan im Umgang mit staatlichen und privaten Hilfsinstanzen vertreten. Nahezu alle unterschrieben ein Papier, das ihn zum gewählten „Scheich“ des Dorfes erklärte – ein Ehrentitel, der seit Jahrhunderten für Männer von Rang und Namen verwendet wird. „Es ist eine schwierige Aufgabe, aber ich konnte nicht Nein sagen“, sagt Saif. „Die Leute vertrauen mir und glauben daran, dass ich ihnen helfen kann. Deshalb habe ich zugesagt. Die Regierung hilft uns ja nicht, und wer sonst wird es tun?“

So streckte er seine Fühler aus und sprach wohltätige Organisationen und wohlhabende Gönner an, um sie um Hilfe für den Wiederaufbau des Dorfes zu bitten. „Inzwischen haben wir zwei Organisationen gefunden, die uns dabei helfen, Wasserquellen zu erschließen.“ Fahmi Saifs sozialer Status ist in seiner Gemeinde beträchtlich gestiegen, zumal er auch ehrenamtlich in Konflikten unter den Dorfbewohnern vermittelt. Das sei die schwierigste Aufgabe für einen Scheich, meint er: „Streitigkeiten um Land sind häufiger und auch schärfer geworden. Ich vermittele, und manch einer betrachtet mich als Feind, wenn ich nicht in seinem Sinne entscheide. Das ist hart. Aber ich will meinem Dorf auf jeden Fall helfen.“ 

Nähme er all die Vorwürfe ernst, die manchmal gegen ihn erhoben würden, müssten sich die Leute einen anderen Scheich suchen, meint der Lehrer, der von seinem Gehalt und auch ein wenig vom Landbau lebt. Aber er liebe es, wenn er seinen Mitmenschen im Dorf helfen könne: „Ein dankbares Lächeln von einer alten Frau entschädigt mich für viele Anfeindungen.“ Wie bei anderen Ämtern gebe es auch bei den Scheichs schwarze Schafe, räumt er ein. Einige hätten hauptsächlich ihre eigenen Interessen im Blick. „Aber das darf man nicht verallgemeinern.“ 

Scheichs sind im Jemen nichts Neues. Seit Jahrhunderten werden sie dazu ausersehen, ein Dorf oder auch ein Stadtviertel zu repräsentieren und sich um den nachbarschaftlichen Frieden zu kümmern. Die neuen Scheichs von heute aber, zu denen Fahmi Saif gehört, helfen vor allem Kriegsopfern, wieder auf die Beine zu kommen.  

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2023: Im Protest vereint
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