Europa biete der Welt „eine echte Alternative“ – so hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Global Gateway im Dezember 2021 angekündigt . 300 Milliarden Euro würden die EU und ihre Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2027 in Straßen, Häfen, Energieversorgung und Digitalisierung sowie in Gesundheitsversorgung und Bildung in Ländern vor allem im globalen Süden investieren. Zum ersten Jahrestag der Initiative stellte von der Leyen noch einmal klar, dass Global Gateway „vor allem ein geopolitisches Projekt“ sei: Es gehe darum, Europa auf einem „wettbewerbsbestimmten internationalen Markt“ zu positionieren, sagte sie nach dem ersten Treffen des Global-Gateway-Ausschusses Anfang Dezember 2022. Die Kommissionspräsidentin sagt das nie ausdrücklich, aber klar ist: Mit seiner Investitionsoffensive will Brüssel vor allem China etwas entgegensetzen, das mit viel Geld und wenig Skrupel rund um den Globus in Entwicklungsländern investiert, vor allem in Afrika und Südostasien.
Das erste Jahr war allerdings von Rätselraten geprägt: Woher soll das Geld kommen? Erneuert Global Gateway die Entwicklungszusammenarbeit grundlegend? Oder ist die Initiative lediglich ein neues Markenzeichen für die bisherige Politik? Im Laufe des Jahres hat die Kommission einige Beispiele für Global-Gateway-Projekte genannt – etwa ein 7100 Kilometer langes Unterwasser-Glasfaserkabel, das Nordafrika mit Südeuropa verbindet, ein Wasserkraftwerk in Tadschikistan oder Unterstützung für den Übergang zu erneuerbaren Energien in Südafrika und Indonesien. Aber das hat die Verwirrung eher noch vergrößert, da etliche der genannten Vorhaben schon beschlossen waren, als es Global Gateway noch gar nicht gab. „Eigentlich wollte die EU mit ihrer Initiative Klarheit schaffen, was sie im Bereich Infrastrukturförderung weltweit macht. Sie hat aber das Gegenteil davon erreicht“, resümiert Niels Keijzer vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS) das erste Global-Gateway-Jahr.
Das Europaparlament fühlt sich außen vor gelassen
Das sorgt auch im Europaparlament für Ärger. Bei einer Anhörung im Entwicklungsausschuss des Parlaments Ende des vergangenen Jahres wurde deutlich: Die Abgeordneten fühlen sich von der Kommission im Dunkeln und weitgehend außen vor gelassen. Der Grüne Erik Marquardt kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das Parlament im neuen Global-Gateway-Ausschuss nur als „Beobachter“ dabei sein soll. Das Parlament habe sich in der Vergangenheit viel Mitsprache bei außen- und entwicklungspolitischen Finanzentscheidungen erkämpft, sagte Marquardt. Angesichts der neuen Verwaltungsstruktur für Global Gateway stelle sich jetzt aber die Frage, „ob wir Projekte so kontrollieren können, dass am Ende Entwicklungsziele im Vordergrund stehen“.
Die Anhörung hat aber das eine oder andere Detail ans Licht gebracht. So stellte der Vertreter der zuständigen Abteilung der EU-Kommission noch einmal klar, was aufmerksame Beobachter von Anfang vermutet hatten: Zumindest aus Brüssel wird es kein zusätzliches Geld für Global Gateway geben, das über den mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 hinausgeht. Der irische EU-Abgeordnete Barry Andrews von der Renew-Fraktion kommentierte das mit den Worten: „Global Gateway ist nur ein neues Etikett für das, was schon da ist. Aus geopolitischer Sicht ist das okay. Aber erzählt uns nicht, es sei etwas, was es nicht ist.“ Er mache sich zudem Sorgen, „wie unsere Partner das wahrnehmen“, sagte Andrews.
Auch Niels Keijzer vom IDOS weist darauf hin, dass die EU ja schon seit vielen Jahren in die Infrastruktur in Ländern des globalen Südens investiert und dabei zunehmend auf den Privatsektor setzt, der mit Anreizen gelockt werden soll, etwa mit Kreditgarantien oder indem privates und staatliches Kapital gemischt wird (blending). Die Beteiligung der Privatwirtschaft ist das Herzstück auch von Global Gateway: Ein Großteil der geplanten 300 Milliarden Euro soll von Unternehmen kommen. Studien haben allerdings gezeigt, dass sich die Wirtschaft viel schwerer zu Infrastrukturinvestitionen in ärmeren Ländern bewegen lässt, als es die Politik gerne hätte. „Die Wirklichkeit ist eher unerfreulich“, sagt Keijzer. Investoren in wirtschaftlich starke Entwicklungsländer wie Brasilien zu locken sei das eine, viel komplizierter sei das in armen und instabilen Ländern wie etwa Südsudan.
Die Grenzen verschwimmen
Einen neuen Akzent setzt Global Gateway aber doch – und der könnte die Entwicklungszusammenarbeit der EU tatsächlich einschneidend verändern. Global Gateway ist als große Team-Europe-Initiative konzipiert, also als Initiative, in der Vorhaben aus Brüssel nicht bloß parallel laufen zur Entwicklungspolitik der einzelnen EU-Mitglieder, sondern mit der eng abgestimmt werden, so dass sich beide ergänzen. In diesem Zusammenhang setzt die EU-Kommission auch darauf, dass die Mitgliedstaaten ihre Möglichkeiten der Export- und Außenwirtschaftsförderung für Global-Gateway-Vorhaben nutzen; in Deutschland ist das unter anderem die sogenannten Hermes-Kreditversicherung. Die Wirtschaft dürfte das freuen, aber die Gefahr ist groß, dass dadurch die Grenze zwischen gemeinwohlorientierter Entwicklungszusammenarbeit und interessengeleiteter Außenwirtschaftsförderung weiter verschwimmt.
Letztlich würde die europäische Entwicklungspolitik auf diese Weise „chinesischer“ werden – und hier sieht Niels Keijzer auch einen zentralen Widerspruch von Global Gateway: „Die EU sagt einerseits, sie wolle etwas ganz Neues machen. Andererseits macht sie letztlich dasselbe wie China, nur mit dem Anspruch, es besser zu machen.“
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