Rüstungspolitik: Gute Strategie mit Widersprüchen

Schweiz
In einer neuen Strategie bezeichnet die Schweiz Abrüstung und Rüstungskontrolle als wichtiges Instrument für Frieden und Sicherheit. Darin sehen friedenspolitische Organisationen mehrere Ungereimtheiten.

In seiner ersten „Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung“ definiert der Bundesrat Aktionsfelder, Ziele und Maßnahmen für den Zeitraum 2022–2025. Mit ihrer Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik (RAN) will die Schweiz sich stärker als „Brückenbauerin“ positionieren und zu Frieden, Stabilität und Sicherheit im europäischen und globalen Umfeld beitragen. Die neue RANStrategie ist zwar Teil der Außenpolitischen Strategie, die Umsetzung betreffe jedoch alle Departemente und stärke so einen „Whole-of-Switzerland“-Ansatz, erklärt das Auswärtige Amt EDA.

An dieser geforderten politischen Kohärenz zweifelt Vanessa Bieri, Mitglied des Berner Sekretariats der antimilitaristischen Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Sie verweist auf die geplanten Investitionen der Armee in den nächsten Jahren unter anderem in die Panzerabwehr, obwohl ein kürzlich erschienener Zusatzbericht zur Sicherheitspolitik die Gefahr eines Bodenangriffs auf die Schweiz für „ausschließend gering hält“. Es sei deshalb fraglich, wie gut die RAN-Strategie mit den innenpolitischen Strategien des Departments für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport abgestimmt worden sei, sagt Bieri.

Ruedi Tobler, der Präsident des Schweizerischen Friedensrats, sieht einen weiteren Widerspruch zwischen außen- und innenpolitischen Interessen. Am 23. September bewilligte der Bundesrat die Ausfuhr von Munition nach Katar, die dort für die Bordkanonen des Kampfflugzeugs Eurofighter bestimmt ist. Der Bundesrat habe die gesetzlichen Beurteilungskriterien berücksichtigt und „keine zwingenden Gründe“ gesehen, die Ausfuhr in das Land mit zweifelhafter Menschenrechtsbilanz zu verbieten. 2021 hat die Schweiz Rüstungsgüter im Wert von 123 Millionen Franken in 67 Länder exportiert, darunter auch an Saudi-Arabien, obwohl das Land die jemenitische Regierung im Krieg gegen die Huthi-Rebellen unterstützt.

Diese Entscheidung zeige, dass die Interessen der Rüstungsindustrie vor einer sachorientierten Rüstungskontrollpolitik stehen, so Tobler. Die „autonome Landesverteidigung“ diene als Begründung, die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu genehmigen, um eine „‚lebensfähige‘ Schweizer Rüstungsindustrie zu ermöglichen“. Auch die Tatsache, dass die Schweiz die Militärausgaben nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erhöht hat, statt sich umso vehementer für die neue RAN-Politik einzusetzen und die Mittel für die Friedensförderung aufzustocken, zeige, dass es sich um eine „Schönwetter-Strategie“ handele.

Den Atomwaffenverbotsvertrag hat Bern nicht unterzeichnet

Tobler und Bieri sehen einen weiteren bedeutenden Widerspruch zwischen Strategie und politischer Realität. Mit der RAN-Strategie will sich die Schweiz für die vollständige nukleare Abrüstung einsetzen. Doch obwohl sie sich aktiv an der Erarbeitung des Atomwaffenverbotsvertrags von 2017 beteiligt hat, hat die Schweiz ihn bisher nicht unterschrieben. In einer im Juni veröffentlichten Stellungnahme gab das EDA Gründe dafür an: Mehrere westliche Länder hätten den Vertrag nicht ratifiziert, und es sei unklar, ob er die Abrüstung überhaupt voranbringen könne. Das EDA kündigte an, der Bundesrat werde Anfang 2023 entscheiden, ob die Schweiz dem Vertrag beitritt oder nicht. Tobler nennt diese Gründe „immer neue Ausflüchte“, mit denen die Regierung den Entscheid hinauszögere. Das stehe in einem klaren Widerspruch zur angepriesenen „aktiven, pragmatischen, sachorientierten und innovativen RAN-Politik“.

Die GSoA sieht jedoch auch Chancen in der neuen Strategie: Sie habe das Ziel, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen sowie die Anhäufung und missbräuchliche Verwendung konventioneller Waffen zu verhindern – etwa indem die Weitergabe von zivil und militärisch verwendbaren Gütern und besonderen militärischen Gütern, die nicht dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt sind, stärker kontrolliert wird. Die Ausfuhr solcher Güter habe „erschreckende Ausmaße angenommen“ und könne mit dieser Strategie eingeschränkt werden. Laut Bieri müssten jedoch gemäß diesem Ziel auch die regulären Waffenexporte weiter reguliert werden.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2022: Leben in Krisenzeiten
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