In vielen Ländern Afrikas ist die Ernährung nicht gesichert. Die Landwirtschaft produziert zu wenig, Bäuerinnen und Bauern leben vor allem von der Hand in den Mund. Zudem fehlt der Nachwuchs: Junge Leute haben keine Lust, für einen Hungerlohn auf dem Feld zu schuften, und versuchen lieber in der Stadt ihr Glück. Manche Fachleute sehen in neuen Agrartechnologien einen Ausweg. Ignorieren sie die Risiken, die damit einhergehen?
PRO: Afrikas junge Start-ups fördern
Von Adesuwa Ifedi
Doch das muss nicht der Fall sein. Die Zukunft liegt in den Händen der afrikanischen Landwirte, vor allem der jungen, an denen wir einen verzweifelten Mangel haben. Etwa 60 Prozent der Afrikaner sind unter 25 Jahre alt, aber das Durchschnittsalter der afrikanischen Kleinbauern liegt bei über 60 Jahren. Zu viele junge Menschen betrachten die Landwirtschaft als anstrengende Arbeit mit veralteten Werkzeugen für einen sehr geringen Lohn. Wir müssen das ändern, wenn wir die Ernährung in Afrika sichern wollen. Wir müssen zeigen, dass die Landwirtschaft eine wichtige Quelle für Arbeitsplätze in der Zukunft sein kann.
Ein Bericht von Heifer International zeigt, warum sich die Jugend von der Landwirtschaft abwendet, und verweist auf eine große Chance, den Sektor weiterzuentwickeln und sie zurückzuholen. Laut der Umfrage unter rund 30.000 jungen Menschen in elf afrikanischen Ländern hat nur etwa jeder vierte Junglandwirt Zugang zu jenen Technologien, die die Nahrungsmittelproduktion weltweit verändern. Zu diesen Hilfsmitteln gehören digitale Sensoren zur Überwachung der Bodengesundheit und digitale Plattformen, die Landwirte mit Märkten, technischer Beratung und hochwertigen Betriebsmitteln in Kontakt bringen.
Der Bericht zeigt auch, dass viel mehr junge Afrikaner eine Karriere in der Landwirtschaft in Betracht ziehen würden, wenn die Finanzierung, die Ausbildung und der Zugang zu Technologien gesichert wären. Es gibt auf dem Kontinent eine schnell wachsende Zahl von Agrartechnologie-Start-ups, die von kreativen, jungen Menschen betrieben werden. Wenn wir diese neue Generation von Innovatoren ermutigen und unterstützen, können wir den Zugang zu arbeitssparenden und transformativen Technologien für eine große Zahl von Kleinbauern verbessern.
Maschinelles Lernen als Entscheidungshilfe
Diese jungen, innovativen Unternehmer wissen, wie schwer die Landwirtschaft der Generation ihrer Eltern war. Aber sie glauben, dass sie ihrer eigenen Generation eine vielversprechende Zukunft bieten kann. In Äthiopien bieten junge Ingenieure Drohnendienste zur Analyse der Leistung von Farmen und eine App an, die Landwirten hilft, Pflanzenkrankheiten zu erkennen. Ein Start-up in Nigeria nutzt maschinelles Lernen, um Landwirten bei der Entscheidung zu helfen, was sie anbauen, wie sie es anbauen und wo sie es verkaufen sollten. Bäuerinnen und Bauern vom Senegal bis Kenia können sich per SMS wichtige Wetter- und Marktinformationen sowie landwirtschaftliche Ratschläge holen. Mit diesen Technologien könnten junge afrikanische Landwirte viele der in der Umfrage genannten Probleme – Wetterextreme, Schädlingsbefall, Krankheiten – besser bewältigen. Sie haben das Potenzial, Kleinbauern produktiver und nachhaltiger arbeiten zu lassen und die Lebensmittelproduktion für interessanter und attraktiver zu gestalten.
Diese Unternehmen zu unterstützen ist ein wirksames Mittel, um einen Kreislauf zum Besseren in Gang zu setzen: Erfolgreiche Agrartechnologieunternehmen führen zu erfolgreicheren jungen Landwirten. Das wiederum schafft noch größere Marktchancen für Agrarinnovatoren, was weitere Investoren ermutigt, sich zu engagieren. Regierungen und Unternehmen müssen deshalb in afrikanische Landwirte investieren und sie ermutigen, Innovationen der Agrartechnologie zu übernehmen. Der Bedarf ist hoch: Laut unserer Umfrage mussten seit Beginn der Pandemie etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Organisationen, die Kleinbauern unterstützen, zumindest vorübergehend schließen.
Die Pandemie hat die ohnehin schwierige Situation der afrikanischen Landwirte verschärft, wobei der Klimawandel eine noch größere Bedrohung darstellt. Doch wenn ich mit den jungen Leuten spreche, die afrikanische Agritechfirmen leiten, kann ich keine Schwarzmalerei erkennen. Diese jungen Menschen strahlen Energie, Ideen und Optimismus aus. Sie repräsentieren eine ganze Generation, die das Potenzial hat, die afrikanische Landwirtschaft zum Besseren zu verändern. In einer Zeit voller Entbehrungen sollten wir ihre Visionen annehmen und sie zu unseren eigenen machen.
Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.
KONTRA: Die Digitalisierung nutzt den Konzernen
Von Stig Tanzmann
Erneut soll also eine technologische Revolution bestehende komplexe sozioökonomische Verteilungsprobleme lösen. Die Parallelen zur Grünen Revolution in den 1960er und 1970er Jahren vor allem in Asien liegen auf der Hand. Dort sollte die landwirtschaftliche Produktion mit Hilfe von chemischen Düngemitteln und Pestiziden, industriellem Saatgut sowie verstärkter Mechanisierung und Bewässerung verbessert werden. Das hat in vielen Ländern große ökologische und auch soziale Probleme verursacht. In Afrika blieb der Erfolg dieses Ansatzes vollends aus.
Daran wird auch die Digitalisierung nichts ändern, denn die meisten digitalen Technologien zielen darauf ab, den Ansatz der Grünen Revolution zu optimieren, nicht aber eine Alternative zu bieten. Die Digitalisierung der Landwirtschaft in Afrika wird von den gleichen Staaten, Konzernen und philanthropischen Stiftungen vorangetrieben wie die Grüne Revolution. Mit der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) hat sich Brot für die Welt zusammen mit anderen Organisationen sehr kritisch auseinandergesetzt. In Studien wurde gezeigt, dass AGRA die vollmundigen Versprechen nicht halten konnte. Schon deshalb ist Skepsis gegenüber den Versprechungen der Digitalisierung angebracht.
Die Bauern sollen an technische Lösungen gebunden werden
Es überrascht nicht, dass Heifer International seine von Adesuwa Ifedi erwähnte Studie zu Jugend und landwirtschaftlicher Digitalisierung in Afrika unter anderem auf dem African Green Revolution Forum 2021 in Nairobi vorgestellt hat. Das Forum trägt seine Agenda schon im Namen: Es steht für „business as usual“ in der Landwirtschaft, das die afrikanische Landwirtschaft in die schwierige Lage geführt hat, in der sie sich jetzt befindet.
Die Digitalisierung des „business as usual“ wird keine Trendwende bringen. Im Gegenteil: Sie droht die Agrarkrise weiter zu verschärfen und noch mehr Menschen aus der Landwirtschaft zu vertreiben. Die Grüne Revolution wird von Chemie- und Agrarkonzernen wie Bayer, Syngenta oder Yara dominiert, deren Geschäftsmodell es ist, Bäuerinnen und Bauern an technische Lösungsansätze zu binden, also etwa an den Gebrauch von bestimmtem Saatgut und Kunstdünger, Pestiziden und Maschinen. Die Digitalisierung zielt darauf ab, diese Abhängigkeit noch zu verstärken.
Besonders deutlich wird das beim Saatgut. Die Sequenzierung und Digitalisierung von Saaten werde die Erträge erheblich steigern, versprechen die Konzerne. Grundsätzlich zielen sie aber vor allem darauf, Patente auf Saatgut zu erlangen und Gentechnik in der Landwirtschaft einzuführen. Zurückbleiben könnten Bäuerinnen und Bauern, die zwar traditionelles Saatgut nutzen, aber trotzdem beweisen müssten, kein Patent verletzt zu haben. Denn Konzerne lassen sich für ihre Produkte Gensequenzen mit bestimmten Eigenschaften aus traditionellen Sorten patentieren. Am Ende werden die Bäuerinnen und Bauern auf diese Weise gezwungen, das Konzernsaatgut zu nutzen. Auch bei chemischen Düngemitteln und Pestiziden geht es den Konzernen darum, Bäuerinnen und Bauern an ihre Produkte zu binden.
Statt wie in der Agrarökologie den Ausstieg aus Pestiziden und chemischem Dünger und den Systemwechsel zu wagen, sollen das bestehende System mit Drohnen und einer totalen Überwachung von Bäuerinnen und Bauern optimiert und die Profite der Konzerne gesteigert werden. Die Digitalisierung macht es möglich, relevante Betriebsdaten wie Bodenqualität, Wasserverfügbarkeit, Aussaatzeiten, Düngungsintensität und Erntezeiten mit Hilfe von Technik an die großen Konzerne zu übertragen. Das nimmt den Bäuerinnen und Bauern in einer völlig neuen Wirkungstiefe ihre Souveränität, entfremdet sie von ihrem Land und macht sie komplett austauschbar. Wenn es keine radikale Trendwende in der Landwirtschaft gibt, dann wird die Digitalisierung den Konzernen dienen und nicht den Bäuerinnen und Bauern in Afrika.
Neuen Kommentar hinzufügen