Bis vor einem halben Jahr war das mittelamerikanische Land El Salvador für internationale Anleger, die in digitale Währungen investieren, ein weißer Fleck auf der Landkarte. Doch dann kündigte der 40-jährige Präsident Nayib Bukele im Juni 2021 die Einführung des Bitcoins als offizielle Landeswährung an. Seit September können die Salvadorianer dank eines im Eilverfahren verabschiedeten Gesetzes ihre Steuern in der digitalen Währung Bitcoin bezahlen, an Geldautomaten die elektronische Brieftasche damit füllen und in Geschäften damit einkaufen. Jeder Salvadorianer kann zudem mit den Daten seines Personalausweises die staatliche Bitcoin-App namens Chivo herunterladen und bekommt darauf als Anreiz vom Staat ein Startguthaben von umgerechnet 30 US-Dollar in Bitcoins.
Und das ist erst der Anfang: Bukele plant eine mit erneuerbarer Energie gespeiste Bitcoin-City, finanziert mit Bitcoin-Anleihen von Privatanlegern. In der neuen Stadt am Fuße eines aktiven Vulkans soll die digitale Währung mit Hilfe von Supercomputern „geschürft“ werden. Die Energie, die dafür nötig ist, soll aus Geothermik kommen.
Mehr Spekulationsobjekt als Währung
Der Bitcoin ist eine digitale Währung. Ihr Name setzt sich zusammen aus „Bit“, dem Wort für die kleinste digitale Einheit, und dem englischen Wort für Münze, „ ...
Bukele befeuert mit seinen Visionen vor allem die Fantasie junger Salvadorianer, die bislang in dem armen, von Gewaltkriminalität und Arbeitslosigkeit geplagten Land kaum Zukunftsperspektiven haben und oft ihr Heil in den USA suchen. Sie waren es, die ihm zu zwei triumphalen Wahlsiegen verholfen haben: 2019 gewann er mit 53 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl, 2020 erhielt seine Partei „Neue Ideen“ 64 der 84 Abgeordnetensitze. In Rekordzeit tauschte das neue Parlament dann die obersten Richter aus – alle, die älter waren als 60 Jahre, wurden in Frührente geschickt. So kontrolliert der Staatschef nun alle drei Gewalten, was ihm beim Umbau des Landes zu einem Kryptomekka zupasskommt.
Bukele hofft, durch Bitcoin die maroden Staatsfinanzen zu sanieren
Was Präsident Bukele zum Bitcoin-Fan gemacht hat, ist unklar. Im Wahlkampf spielte das Thema überhaupt keine Rolle. Experten sehen ein Motiv in den maroden Staatsfinanzen: Die Steuereinnahmen schrumpfen seit der Pandemie; das Land ist mit 22,6 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet – bei einem Bruttoinlandsprodukt von 25 Milliarden US-Dollar (2021). Der Internationale Währungsfonds hat im Herbst 2021 auch mit Blick auf Bukeles unberechenbaren Bitcoin-Poker weitere Kredite abgelehnt. Weil der US-Dollar seit 2001 die offizielle Währung ist, wird die Geld- und Zinspolitik des Landes von der Zentralbank der USA gemacht. El Salvador kann zum Beispiel nicht seine Währung abwerten lassen, um Exporte billiger zu machen. Und der Staat kann auch im Inland Kredite nur in US-Dollar aufnehmen.
Zur finanziellen Schieflage des Staates El Salvador kamen günstige Rahmenbedingungen in der Kryptowelt: Im Herbst 2020 erlebte der Kurs des Bitcoins eine Hochphase. Darüber hinaus suchte die Krypto-gemeinde eine neue Heimat, nachdem China Kryptowährungen verboten und Bitcoin-Fabriken auch wegen ihres extrem hohen Stromverbrauchs geschlossen hatte. Die treibende Kraft hinter dem Abenteuer war Presseberichten zufolge Bukeles Bruder Yusuf. Der Bitcoin habe einen Börsenwert von 680 Milliarden US-Dollar, soll er argumentiert haben. Wenn davon ein Prozent in El Salvador investiert würde, werde das Bruttoinlandsprodukt um ein Viertel steigen. Ein weiteres, auch für die Bevölkerung verständliches Argument für den Bitcoin ist das Einsparen von Bankgebühren bei den Rimessen, den Rücküberweisungen ausgewanderter Landsleute. Diese Rimessen machen ein Viertel der Wirtschaftskraft des Landes aus.
Wert eines einzelnen Bitcoin schwankt extrem
El Salvador ist mit seinen knapp 21.000 Quadratkilometern das kleinste Land Mittelamerikas. Seit Ende des Bürgerkriegs 1992 ist es aus den Schlagzeilen verschwunden und wurde international höchstens wegen Bandenkriminalität oder als Transitland für Migranten wahrgenommen. Dieses Klischee hat der exzentrische Bukele von Anfang an durchbrochen. Sein falsch herum aufgesetztes Baseball-Käppi, sein Selfie am Rednerpult der Vereinten Nationen, sein Twitter-Auftritt, wo er sich wahlweise als coolster Diktator oder Geschäftsführer von El Salvador ausgibt – all das sind kalkulierte Tabubrüche. Doch nach sechs Monaten können selbst die schrillsten Auftritte und die schärfsten Angriffe Bukeles auf Kritiker das wackelige Fundament seines Experiments nicht mehr übertünchen: Der Bitcoin, warnten Ökonomen von Anfang an, ist eine hochspekulative Kapitalanlage.
Das hat sich inzwischen bestätigt. Allein seit seiner Einführung in El Salvador schwankte der Wert eines einzelnen Bitcoins zwischen 35.000 und 58.000 US-Dollar. Immer wieder kaufte Bukele Bitcoin hinzu – aus welchem Haushalt das Geld stammte und ob Zentralbank und Parlament dies genehmigt hatten, ist völlig unklar. Inzwischen ist der Bitcoin abgestürzt; einer Rechnung der Finanzagentur Bloomberg zufolge hat das Land dadurch seit Beginn des Experiments zwischen zehn und zwölf Millionen US-Dollar verloren.
Auch wenn sich das angesichts der hohen Wertschwankungen des Bitcoins rasch wenden kann, sind solide Staatsfinanzen oder ein einigermaßen planbarer Haushalt auf dieser Basis kaum möglich. „El Salvador wird zum Versuchskaninchen“, warnt José Miguel Cruz von der Internationalen Universität in Florida: „Das ist wie im Kasino. Geht Bukeles Wette auf und der Bitcoin durch die Decke, dann gibt es allenfalls Unklarheiten, wo der Gewinn investiert werden soll. Stürzt der Bitcoin weiter so ab wie in den letzten Wochen, kann das Experiment im Staatsbankrott enden.“ Davor warnen auch der IWF, Ratingagenturen und die US-Regierung. Doch deren Bedenken schlägt Bukele in den Wind. Sie fürchteten nur um ihre finanzielle Hegemonie, so sein Argument, mit dem er sich zum Robin Hood gegen das große Kapital stilisiert.
„Bitcoin-Schürfen in El Salvador macht keinen Sinn“
Doch nicht nur Kursschwankungen hängen wie ein Damoklesschwert über dem Experiment. Der Teufel liegt auch im Detail: El Salvador habe zwar Energiequellen, um den Strom für das geplante Schürfen von Bitcoins zu erzeugen, aber nicht genügend Stromtrassen, sagt Cruz. Und: „Es mangelt im Bankensystem an. Kontrollmechanismen und Transparenz, um zu verhindern, dass die angestrebten Investitionen der Geldwäsche dienen“, fügt er hinzu. „Bitcoin-Schürfen in El Salvador macht keinen Sinn“, warnt David Gerard, ein weiterer Kryptoexperte. „Im Durchschnitt zahlen Bitcoiner weltweit fünf US-Cent pro Kilowattstunde. In El Salvador kostet sie 13 bis 15 Cent. Außerdem importiert El Salvador 20 Prozent seiner Energie. Es wäre also sinnvoller, mit zusätzlicher Geothermik den heimischen Bedarf abzudecken und damit Geld zu sparen.“
Der Ökonom und Bitcoin-Experte Steve Hanke von der Johns-Hopkins-Universität kritisierte unlängst, dass die Chivo-App der Regierung eklatante Sicherheitslücken habe und zahlreichen Inhabern ihre Guthaben gestohlen worden seien. Bukele bezeichnete Hanke als altbackenen Verfechter der herkömmlichen Währungen, blieb aber genaue Daten und Zahlen schuldig.
Bitcoin-Schürfer müssen keine Steuern zahlen
Auch sonst ist vieles nebulös. Etwa, was mit etwaigen Gewinnen passiert. Bukele hat unlängst versprochen, dass er damit ein Tierhospital bauen wolle. Neue Bitcoin-Gesetze zur Verbesserung der Sicherheit sind offenbar ebenfalls in Planung. Die erste Ankündigung machte aber nicht der Präsident, sondern der italienische Bitcoiner Samson Mow, der in Kasachstan einen Kryptofinanzdienstleister betreibt und Yusuf Bukele berät.
Die Bitcoin-City, für die die Regierung mit Hilfe der Finanzdienstleister Blockstream und Bitfinex – dieser musste in den USA schon mehrfach Strafen wegen Missmanagement zahlen – eine Milliarde US-Dollar von Anlegern einwerben will, soll nicht nur ein Schürfer-, sondern auch ein Steuerparadies werden. Die Schürfer müssen also keine Einkommens- und Kapitalsteuern zahlen, lediglich die Mehrwertsteuer würde fällig. Wer Anleihen mit fünfjähriger Laufzeit im Wert von 100.000 US-Dollar kauft, soll ein Anrecht auf ein Investorenvisum in El Salvador haben, womit sie in El Salvador wohnen dürfen. „Für mich steckt dahinter der verzweifelte Versuch, um jeden Preis Geld aufzutreiben“, sagt Ricardo Castañeda vom Mittelamerikanischen Institut für Fiskalstudien.
Die Bevölkerung zahlt weiterhin lieber mit US-Dollars
Inzwischen wird dieses präsidiale Kasino auch der Bevölkerung etwas unheimlich. Die Popularität des Präsidenten ist laut dem Umfrageinstitut Mitofksy von 84 Prozent im Jahr 2020 auf derzeit 71 Prozent gesunken. Einer anderen Umfrage zufolge benutzt nur eine kleine Minderheit die Bitcoins, 91 Prozent der Salvadorianer bezahlen weiterhin lieber mit US-Dollars, 40 Prozent sind ganz gegen Kryptowährungen. „Niemand in meinem Bekanntenkreis zahlt mit Kryptos oder hat die App heruntergeladen“, sagt die Sekretärin Nora Melendez. „Was der Präsident da treibt, ist nicht für uns, sondern für irgendwelche Investoren aus dem Ausland.“ Ein Gesetz zur Landenteignung für Infrastrukturprojekte wie die Bitcoin-Stadt hat der Kongress aber inzwischen verabschiedet.
Im Oktober kam es erstmals zu Protesten gegen Bukele. Dabei wurde auch einer der erst vor kurzem aufgestellten Bitcoin-Automaten in San Salvador angezündet. Anschließend verbot der Präsident – wegen der Zunahme von Covid-19-Infektionen – bis auf weiteres Demonstrationen, ein Bitcoin-kritischer Blogger wurde festgenommen. Diese autoritären Anwandlungen nehmen dem Präsidenten viele übel.
„Die Kryptogemeinde sollte ein bisschen mehr nachdenken“, kritisiert Tommy Vietor vom Magazin „Pod Save The World“. „El Salvador hat eine der höchsten Mordraten der Welt, Bukele ist ein autoritärer Typ, der nicht mal die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen stillen kann und uns trotzdem eine vulkangetriebene Tec-Utopie-Stadt verkaufen will. Vielleicht sollte er erst einmal etwas kleinere Brötchen backen.“
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