Wir haben mit quantitativen Methoden gezeigt, dass ein partizipativ angelegtes Entwicklungsprogramm in Dörfern in Gambia die Netzwerke informeller Transaktionen zwischen den Dorfbewohnern langfristig schwächt. Betroffen waren davon vor allem Haushalte, die von dem Entwicklungsprogramm weniger profitiert haben als andere.
Was war das für ein Entwicklungsprogramm?
Die beteiligten Dörfer haben von der Weltbank Finanzmittel erhalten unter der Auflage, dass Gremien und Entscheidungsträger der Dörfer das Geld verwalten und in Projekte investieren. Solche partizipativen Programme – man spricht von „community-driven development“, also von der Gemeinschaft vorangetriebene Entwicklung – sind heute weit verbreitet. Die Idee ist, dass das Geld passgenauer investiert wird, als wenn das jemand in Frankfurt oder Washington entscheidet. Zudem sollen auf diese Weise lokale Verwaltungs- und Regierungsstrukturen gestärkt werden. Die beteiligten Dörfer haben mit dem Geld vor allem landwirtschaftliche Geräte wie Getreidemühlen und handbetriebene Wasserpumpen sowie Produktionsmittel wie Saatgut und Dünger gekauft, manchmal sogar einen Traktor.
Wie funktionieren die Netzwerke informeller Transaktionen, die Sie vorgefunden haben?
Ein Dorfbewohner hilft dem anderen auf dem Feld oder schenkt ihm einen Sack Reis. Das geschieht ohne Vertrag oder Lohn oder Kaufpreis – informell eben. Die Transaktionen reichen vom Tausch von Land oder Arbeitszeit, Nahrungsmitteln oder landwirtschaftlichen Inputs wie Dünger bis hin zu kleinen Geldbeträgen. Die daraus entstehenden Netzwerke sind sehr wichtig, weil sich Haushalte in armen ländlichen Regionen auf diese Weise gegen existenzielle und unternehmerische Risiken absichern. Sie wirken also ähnlich wie vertragliche Versicherungen bei uns. Wenn ich gut in solche Netzwerke eingebunden bin und zum Beispiel einen Ernteausfall habe, kann ich zu meinem Nachbarn gehen, der mir mit Essen aushilft.
Ein partizipativ angelegtes Entwicklungsvorhaben sollte so etwas ja möglichst stärken. Was ist in Gambia passiert?
Auch wir haben vermutet, dass das Programm die Netzwerke eher stärkt. Unsere Ergebnisse bestätigen das aber nicht. Die Weltbank hatte das Programm so angelegt, das die Hälfte der beteiligten Dörfer das Geld bekommen hat, die andere Hälfte nicht beziehungsweise erst später kriegen sollte, so dass man gut beide Gruppen vergleichen kann. Ein Ergebnis ist, dass in den Dörfern, die Geld bekommen haben, die informellen Transaktionen zwischen den Dorfbewohnern um ungefähr ein Sechstel geschrumpft sind. Wir können das kausal auf das Programm zurückführen.
Wie interpretieren Sie diesen Befund?
Eine mögliche Erklärung ist, dass das Programm für höhere und sicherere Einkommen gesorgt hat und die Dorfbewohner weniger stark auf die informellen Transaktionen angewiesen waren. Das wäre ein erfreuliches Ergebnis. Allerdings konnten wir insgesamt nur geringe Einkommenszuwächse als Folge des Programms feststellen. Zumindest scheinen sie nicht hoch genug, um die informellen Transaktionen ersetzen zu können. Für eine andere Erklärung muss man genauer schauen, wer vor allem von dem Programm profitiert hat. Das waren bessergestellte Dorfbewohner, zum Beispiel mit Landbesitz. Wir haben festgestellt, dass die Leute mit den größten Wohlstandsgewinnen als Folge des Programms zugleich nur wenig bei den informellen Transaktionen eingebüßt haben. Hingegen haben die ohnehin ärmeren Dorfbewohner, die kaum von dem Entwicklungsprogramm profitiert haben, die meisten informellen Transaktionen verloren.
Das müssen Sie erklären.
Informelle Transaktionen sind tendenziell vor allem mit solchen Leuten von Wert, die ökonomisch aktiv und als Tauschpartner interessant sind. Und das sind vor allem die bessergestellten Dorfbewohner, die von dem Programm besonders profitiert haben. Das Programm hat also bewirkt, dass sich die Netzwerke informeller Transaktionen vor allem unter den Bessergestellten verdichtet haben. Sie sind als Tauschpartner noch attraktiver geworden. Die ärmeren Dorfbewohner hingegen sind noch unattraktiver geworden; ihre informellen Transaktionen haben sich verringert. Das ist die für uns am stärksten plausible Erklärung. Wir haben außerdem festgestellt, dass die informellen Transaktionen zwischen ungleichen Paaren besonders stark geschrumpft sind, also zwischen wohlhabenderen und ärmeren Dorfbewohnern. Das heißt, die Kluft zwischen bessergestellten und ärmeren Dorfbewohnern hat sich tendenziell vergrößert. Dazu passt unser Ergebnis, dass der Rückgang informeller Transaktionen in Dörfern mit vorher schon höherer Ungleichheit größer war als in wirtschaftlich homogeneren Dörfern.
Hat speziell der partizipative Ansatz des Programms zu diesem Ergebnis beigetragen?
Ja, denn bei Programmen wie dem in Gambia besteht immer die Gefahr, dass sich die Dorfbewohner mit Einfluss die größten Vorteile sichern. Das heißt nicht, dass Partizipation grundsätzlich schlecht ist. Es kommt darauf an, wie sie ausgestaltet wird. In unserer Feldarbeit haben wir gesehen, dass die von der Weltbank definierten Regeln in manchen Dörfern auf Unverständnis gestoßen sind oder sogar ignoriert wurden. Die Weltbank hat zum Beispiel vorgeschrieben, dass die traditionellen Oberhäupter in Dörfern keine zentrale Rolle spielen sollen. Eigentlich sollte genau damit das sogenannte elite capture verhindert werden, also dass die Eliten sich selbst bevorzugen. Allerdings hat das zu Widerständen in Dörfern geführt, und es ist fraglich, dass auf diese Weise „elite capture“ verhindert werden kann.
Standen die Dörfer nach Ende des Programms wirtschaftlich insgesamt besser oder schlechter da als vorher?
Das können wir nicht sagen. Das Programm hat zu Wohlstandszuwächsen geführt, wenn auch ungleich verteilt, und wir können auf Grundlage unserer Ergebnisse nicht beantworten, ob die insgesamt größer oder kleiner waren als die unbeabsichtigten nachteiligen Wirkungen. Was wir immerhin sagen können: Insgesamt wurden die Netzwerke informeller Transaktionen durch das Programm nicht so stark geschwächt, dass sie in Krisensituationen nicht mehr wirken. Die Funktion als letzte Versicherung gegen existenzielle Schocks ist erhalten geblieben.
Hat die Weltbank auf Ihre Forschungsergebnisse reagiert?
Nein. Die Weltbank ist grundsätzlich sehr offen für begleitende Forschung zu ihren Programmen, fördert und berücksichtigt sie auch. Ich erwarte aber nicht, dass sie auf uns zukommt, um mit uns darüber zu reden. Interessant war aber eine andere Reaktion: Wir haben unsere Ergebnisse in Gambia Leuten vorgestellt, die bei der Durchführung des Programms dabei waren und für unsere Forschung die qualitativen Interviews mit Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern geführt haben. Diese Leute, die aus den Dörfern kamen und als eine Art Verbindung zur Weltbank gewirkt haben, fanden unsere Ergebnisse nicht besonders überraschend. Die hatten das in ihrer Arbeit im Grunde schon so beobachtet.
Welche Lehren ziehen Sie aus Ihren Ergebnissen?
Gerade bei partizipativ angelegten Programmen wie dem in Gambia ist es wichtig, dass gute Kenntnisse der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse berücksichtigt werden, um „elite capture“ zu verhindern. Darüber hinaus ist eine wichtige Lehre, dass sich die internationale Zusammenarbeit noch stärker für unabhängige wissenschaftliche Evaluation öffnen muss. Denn Entwicklungsvorhaben, egal ob partizipativ angelegt oder nicht, haben unendlich viele potenzielle Wirkungen, die sich nicht vorab einplanen lassen. Entsprechende Forschungskapazitäten sollten deshalb ausgebaut werden.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
Simon Heß, Dany Jaimovich und Matthias Schündeln:
Development Projects and Economic Networks: Lessons from Rural Gambia; The Review of Economic Studies, Volume 88, Issue 3, May 2021.
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