Hungernde Kinder, verheerende Naturkatastrophen, Kriege und Vertreibungen: Wird hierzulande über den globalen Süden berichtet, geschieht das häufig klischeehaft und mit einem Fokus aufs Negative. Und während täglich die neusten Corona-Zahlen aus Deutschland diskutiert werden, bekommen Fernsehzuschauer von der Lebenssituation oder der politischen Lage der Menschen in Afrika, Asien oder Südamerika vergleichsweise wenig zu hören. Diese Einschätzung ist nun auch wissenschaftlich belegt.
„Vergessene Welten und blinde Flecken. Die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens“, heißt eine Studie von Ladislaus Ludescher. Der Wissenschaftler von der Universität Heidelberg hat insgesamt rund 5.100 Sendungen der „Tagesschau“ aus den Jahren 1996 sowie 2007 bis 2019 ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass die Länder des globalen Südens in der Medienberichterstattung massiv vernachlässigt werden. Wie eine zusätzliche, aktuelle Analyse des Jahres 2020 zeigt, habe sich die mediale Marginalisierung des globalen Südens durch die Pandemie sogar noch verstärkt.
Zu wenig Auslandskorrespondenten
Anhand von drei Fallbeispielen - die Hungersituation in Afrika, die Cholera-Epidemie im Jemen und Flutkatastrophen in Südasien, Sierra Leone und der Karibik sowie den USA - illustriert der Studienautor das mediale Desinteresse am globalen Süden. So berichtete die Tagesschau 2017 von einer verheerenden Hungersnot in Ostafrika, bei der rund eine Viertelmillion Menschen starben, in elf Beiträgen zusammengenommen etwa 20 Minuten. Im selben Jahr berichtete sie über die 310 Hurrikan-Todesopfer in den USA in 19 Beiträgen insgesamt 38 Minuten.
Einen Grund dafür sieht der Studienautor in der geringen Zahl von Auslandskorrespondenten. So ist das Fernsehstudio der ARD in Nairobi mit zwei Korrespondenten für 38 afrikanische Staaten, die circa 870 Millionen Einwohner zählen, zuständig, während das Berichtsgebiet des Studios in Prag aus Tschechien und der Slowakei besteht, die zusammen rund 16 Millionen Einwohner haben.
"Mediale Blindheit" wirkt sich auf politische Entscheidungsprozesse aus
Neben der Tagesschau untersuchte Ludescher Beiträge des „Deutschlandfunk“, der „Süddeutschen Zeitung“, des „Spiegel“, des „ARD-Brennpunkt“, den Talkshows „Anne Will“, „Hart aber Fair“, „Maischberger“ und „Maybrit Illner“ sowie britischer, französischer und US-amerikanischer Medien. Auch sie berichten in sehr viel größerem Umfang über die „westliche Welt“ sowie den Nahen Osten und Nordafrika als über andere Regionen.
Ludescher appelliert an Journalisten, festgefahrene Strukturen in der Berichterstattung zu überdenken, und nicht dem „mutmaßlich kulturell oder geografisch näher Stehenden eine höhere Bedeutung“ zuzuschreiben, als dem „faktisch“ Bedeutsamen, möglicherweise aber kulturell oder geografisch Entfernten.“ Er warnt vor einer „medialen Blindheit“ gegenüber bestimmten Themen oder Ländern, die sich letztlich auch auf politische Entscheidungsprozesse auswirke.
Die Studie ist auch als Ausstellung online verfügbar und wird, sobald es die Situation wieder zulässt, in verschiedenen deutschen Städten zu sehen sein. Eine erste Übersicht inklusive Grafiken bietet eine Broschüre.
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