Der christlich-muslimische Dialog in Pakistan wird im Verborgenen geführt
Von Thomas Würtz
Pakistan erscheint auf den ersten Blick nicht gerade prädestiniert für den interreligiösen Dialog. Die Staatsgründung 1947 geschah als Reaktion auf die vehemente Forderung von indischen Muslimen nach Eigenständigkeit. Die vier Millionen Christen im Land bilden eine Minderheit, die sich seit den 1980er Jahren immer wieder gegen Diskriminierung wehren muss. Verschiedene Institutionen bemühen sich seither um eine Annäherung der Religionen.
Die aktuelle politische Krise und ein erstarkter islamischer Fundamentalismus tragen dazu bei, dass die nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften in Pakistan zumeist an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt werden. Das gilt auch für diejenigen, die sich eingehend mit dem Land und seiner politischen Entwicklung befassen. Doch neben Hindus und Sikhs leben in Pakistan auch Christen verschiedener Konfessionen.
Auf Einladung des Mogulkaisers Akbar waren jesuitische Missionare schon ab 1580 in Lahore tätig und erzielten vereinzelte Missionserfolge. Eine wirkliche christliche Tradition in Indien beginnt aber erst mit verstärkten Übertritten der Unberührbaren vom Hinduismus zum Christentum im Jahr 1880. Angesichts des festgefügten indischen Kastensystems suchten Menschen aus niedrigen Kasten eine Religion, in der alle Gläubigen gleichberechtigt sind und die einen sozialen Aufstieg ermöglicht. Neben den Konversionen zum Christentum gab es daher auch weiterhin Übertritte zum Islam.
Auf dem Gebiet des heutigen Pakistan war Sialkot im Pandschab das Zentrum der christlichen Konversionsbewegung, die in britischer Zeit meist einen Übertritt zu einer evangelischen Konfession bedeutete. Doch schon vor der Unabhängigkeit ergab sich eine Verschiebung hin zum katholischen Glauben, die auf die Aktivität von Kapuzinern in den 1930er Jahren zurückging.
Heute leben nach Angaben des nationalen Kirchenrates ungefähr vier Millionen Christen im Land, andere Erhebungen gehen von drei Millionen aus. Evangelische und reformierte Gruppierungen sind größtenteils in der Church of Pakistan zusammengeschlossen. Auf katholischer Seite bestehen neben den beiden Erzbistümern in Karatschi und Lahore vier weitere Bistümer im Land.
1960 begann der Schweizer Jesuitenpater Robert Bütler in Lahore mit dem Aufbau einer islamwissenschaftlichen Bibliothek, die dem Dialog auf theologischer Ebene dienen sollte. Sie wird bis heute von Muslimen aufgesucht, die hier vor allem deutschsprachige Fachliteratur finden. Der muslimische Gelehrte Ikram Chaghatai hat vor einigen Jahren die Schriften Bütlers gesammelt und unter dem Titel „Trying to Respond“ herausgegeben.
Inzwischen wird der interreligiöse Dialog in theologischen Fragen sowohl institutionell als auch von einzelnen Religionsvertretern voran getrieben. Der Dominikanerpater James Channan, Regionalkoordinator der United Religions Initiative in Multan, organisiert Gesprächsrunden und Workshops, in denen Christen und Muslime über religiöse und soziale Fragen diskutieren. Mit seinen Veröffentlichungen will Channan zudem die Wahrnehmung gemeinsamer Wurzeln und verbindender Aspekte beider Religionen fördern.
Den Beitrag der evangelischen Christen zum interreligiösen Dialog leistet das Christian Study Centre in Rawalpindi, das 1968 gegründet wurde. Es bietet theologische Weiterbildung an, organisiert aber auch interreligiöse Begegnungen in der Nachbarschaft, um das gegenseitige Kennenlernen und ein friedliches Miteinander im Alltag zu fördern. Auf islamischer Seite wurde 2006 auf Regierungsinitiative das Iqbal International Institute for Research, Education and Dialogue in Lahore unter Leitung von Riffat Hasan gegründet, das sich um die Verbreitung eines liberalen Verständnisses des Islams bemüht.
Seit den 1980er Jahren hat der interreligiöse Dialog an politischer Bedeutung gewonnen. Entscheidend dafür war die Islamisierung Pakistans, die mit der Regierungsübernahme von General Zia-ul-Haq 1977 ihren Anfang nahm. Als 1982 das Blasphemiegesetz erlassen wurde, das die Verunglimpfung des Propheten Mohammed und des Korans unter Strafe stellte, nahm das friedliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften Schaden. Manche Muslime erhoben unter dem Vorwand der Blasphemie Anklagen gegen Christen, wobei oft eher persönliche Motive eine Rolle spielten.
Zu Beginn der 1990er Jahre beschädigte die Einführung eines Vermerks der Religionszugehörigkeit auf Identitätskarten das christlich-muslimische Verhältnis erneut. Vertreter der christlichen Minderheit protestierten heftig, da sie vermuteten, dies diene nur zur Diskriminierung von Nicht-Muslimen als „Staatsbürger zweiter Klasse“. Es gelang schließlich, das Vorhaben zu verhindern, so dass bis heute kein Religionsvermerk auf pakistanischen Identitätskarten zu finden ist, wohl aber auf Reisepässen.
Anlass für heftige Auseinandersetzungen lieferten auch Prüfungstermine an den Universitäten, die auf hohe christliche Feiertage gelegt werden sollten. Seit der Übernahme der Macht durch Pervez Musharraf sind solche Praktiken seltener geworden. Gremien wie der 1965 gegründete Nationale Rat für Interreligiösen Dialog der katholischen pakistanischen Bischofskonferenz haben inzwischen größere Chancen, mit ihren Anliegen Gehör zu finden. Doch bei allen Erfolgen in den genannten Streitpunkten hat der politische Dialog oft den Charakter von permanenten Abwehrmaßnahmen. Abgesehen von einzelnen Konfliktfällen hat der Rat nur wenig Gestaltungsspielraum für die interreligiösen Beziehungen.
Große Bedeutung für das gegenseitige Verständnis der Religionen haben auch persönliche Initiativen. Der Kapuzinerpater Francis Nadeem etwa war lange Zeit Mitglied im Nationalen Rat, bemüht sich aber heute eher über Kontakte zu islamischen Religionsgelehrten in Lahore um einen direkten Dialog. Auf seine Initiative treffen sich beispielsweise Christen und Muslime zu gemeinsamen Mahlzeiten aus religiösem Anlass. Gegenseitige Einladungen erfolgen zum Fastenbrechen im Ramadan und während der Weihnachtszeit.
Dass selbst in einem Gebiet, das als Ausgangspunkt des Terrorismus von al-Qaida gilt, ein christlich-muslimisches Nebeneinander möglich ist, zeigt ein Blick nach Peschawar nahe der Grenze zu Afghanistan. Dort gibt es Kirchen, in denen regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden. Mit St. Mary’s High School befindet sich dort zudem eine große christliche Schule, die 1957 gegründet wurde und seit Jahren von Maristenbrüdern aus Sri Lanka geleitet wird. Auch heute ist sie wie viele christliche Schulen im ganzen Land bei Muslimen aus der Mittelschicht beliebt, die mit dem Niveau der staatlichen Schulen unzufrieden sind, sich aber kein Internat im Ausland leisten können.
Die Schule ist umgeben von Kasernen der pakistanischen Armee – ein Zeichen für die äußerst angespannte Lage an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Doch allein die Existenz von St. Mary’s High School und der Kirchen in Peschawar ist ein Symbol der Hoffnung für die Annährung zwischen den Religionen.
Thomas Würtz ist Islamwissenschaftler und promoviert zur Zeit am Orientalischen Seminar der Universität Zürich
welt-sichten 2/3-2008