Von Greg Arde
Philip Mkhwanazi und Thamsanqa Gcabashe wurden im Mai dieses Jahres getötet – beide in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal, aber unabhängig voneinander und Hunderte Kilometer voneinander entfernt. Gemeinsam war den Morden, dass die Opfer beide führende Lokalpolitiker des ANC waren. Die Taten sind Teil einer beunruhigenden Serie von Mordanschlägen innerhalb der südafrikanischen Regierungspartei. Diese Art gezielter Tötungen hat zugenommen und ist etwas völlig anderes als der Bürgerkrieg, der dem Ende der Apartheid vorausging und dem ideologische Unterschiede zugrunde lagen.
Der ANC hat 1994 die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika gewonnen – kurz nach dem Beginn meiner Arbeit als Journalist. Die Partei unter der Führung Nelson Mandelas hatte an vorderster Front für die Befreiung meines Heimatlandes von der Apartheid gekämpft und ist seit 1994 durchgehend an der Macht. Seither gab es Entschädigungsleistungen für unter der Rassentrennung erlittenes eklatantes Unrecht und einige bemerkenswerte gesellschaftliche Fortschritte über das allgemeine Wahlrecht hinaus. Das Land hat eine moderne Infrastruktur, ein international angesehenes Banken- und Finanzwesen, eine freie Presse, eine unabhängige Justiz und ein parlamentarisches Regierungssystem, in dem um Macht gerungen wird.
Manche meinen, die Demokratie in Südafrika stehe auf der Kippe, weil Schlüsselinstitutionen wie die Justiz untergraben und Dutzende Amtsträger und Beamte aus dem ANC ermordet worden sind. Tatsächlich liegt in der Regierungspartei einiges im Argen. Am besten lässt sich das in KwaZulu-Natal beobachten, der Provinz mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl, in der ich geboren wurde und überwiegend arbeite.
Autor
Greg Arde
ist ein südafrikanischer Journalist und lebt in Durban. Im Juni 2020 ist sein Buch „War Party – How the ANC’s Political Killings are Breaking South Africa“ erschienen.Für den ANC ist die Provinz sehr wichtig. Von dort stammen Männer wie John Langalibalele Dube, der 1912 maßgeblich an der Gründung des ANC beteiligt war, und Chief Albert Luthuli, der ANC-Präsident von 1952 bis 1967 und erste afrikanische Friedensnobelpreisträger (1960). KwaZulu-Natal ist auch die Heimat von Jacob Zuma, dem unwürdigen Vorsitzenden des ANC und Präsidenten Südafrikas von 2009 bis 2018. ANC-Mitglieder aus dieser Provinz haben großen Einfluss auf die Strategien und Entscheidungen der Partei. Ein Gutteil des Kabinetts des heutigen Staatspräsidenten Cyril Ramaphosa und des Nationalen Exekutivkomitees des ANC kommt aus KwaZulu-Natal.
20.000 Menschen fielen der Gewalt zum Opfer
Im Vorfeld der Wahl von 1994 war die Provinz ein Schlachtfeld. Hier, wo der größte Teil der Bevölkerung zur Sprachgruppe der Zulu gehört, stand der ANC der Inkatha Freedom Party (IFP) gegenüber. Diese chauvinistische Zulu-Organisation forderte einen Föderalstaat mit weitgehend autonomen Provinzen und war in KwaZulu-Natal stärkste Kraft, hatte aber Gegner unter Zulu sprechenden ANC-Mitgliedern. Mit einer Vereinbarung beider Parteien am Vorabend der Wahl 1994 konnte ein Bürgerkrieg abgewendet werden.
Der Gewalt zwischen beiden Lagern fielen bis 1994 etwa 20.000 Menschen zum Opfer, oft in blutigen Massakern. Viele hofften, die Wahl würde dem ein Ende setzen. Doch selbst der Friedensbotschafter Nelson Mandela konnte das Morden nicht beenden. Im Jahr 1996 zum Beispiel wurden in KwaZulu-Natal im Verlaufe nur eines Monats 60 Menschen getötet.
15 Jahre später war die Flut von Mordanschlägen zu einem Rinnsal geworden. Doch dann begann das Töten von Neuem und nahm bis 2016 erschreckende Züge an. Der Kampf zwischen den Parteien war nun dem innerhalb des ANC gewichen. Der ANC hatte, auch mit der Aufnahme von IFP-Mitgliedern in seine Reihen, in KwaZulu-Natal die Kontrolle übernommen. Seine Klientelpolitik machte ihn attraktiv. Zum Beispiel erhielt jemand, der für den ANC spendete, den Zuschlag für öffentliche Aufträge. Nun begannen ANC-Genossen, sich um die Früchte der Macht zu streiten. Am Ende brachten sie sich aus Gier gegenseitig um. Die hehren Ziele von Freiheit und Gerechtigkeit waren durch Günstlingswirtschaft unterlaufen worden, und das führte zu Mord und Totschlag.
In der Kleinstadt Umzimkhulu beispielsweise wurden Millionen für die Renovierung der Stadthalle an verschiedene Auftragnehmer vergeben. Es folgte eine Kette von Pannen, heute ist die Halle eine Bauruine. Und von 2017 bis 2019 wurden in Umzimkhulu drei ANC-Mitglieder ermordet; alle drei hatten Bedenken wegen der Renovierungskosten für die Stadthalle und anderer Fälle von Steuerverschwendung geäußert.
Mary de Haas beobachtet seit langem die Gewalt und zählt in KwaZulu-Natal in den zwei Jahren bis 2019 mindestens 90 ermordete Politiker oder Staatsbedienstete. Einige wurden umgebracht, weil sie Korruptionsfälle offengelegt hatten, andere, weil sie ihren Anteil an der Beute nicht teilen wollten. Die Vorfälle ähnelten sich erschreckend: Ratsmitglieder, Leiter von ANC-Ortsgruppen, städtische Beamte – alle erschossen.
In einer ländlichen Kleinstadt wurde ein rechtschaffener ANC-Stadtrat, der auch Lehrer war, vor seinen Schülern im Klassenzimmer erschossen. Versehentlich tötete der Mörder auch ein 13-jähriges Mädchen. Das Opfer hatte sich geweigert, einem verdächtigen Angebot über Sicherheitsdienste für die Stadt zuzustimmen. Im Gerichtsverfahren stellte sich heraus, dass der Mörder und sein Komplize Verbindungen zu einer Sicherheitsfirma hatten. In einem anderen Fall äußerte ein Beamter Zweifel an einem dubiosen Auftrag zur Behebung elektrischer Störungen; danach erschossen Auftragsmörder an seiner Haustür seinen Sohn.
Schamlos Reichtum angehäuft
Zu diesem Klima haben mehrere Faktoren beigetragen. Seit 1994 hat der ANC ein Programm zur Entsendung von Kadern vorangetrieben, das die völlige Kontrolle über KwaZulu-Natal (und den Rest des Landes) zum Ziel hat. Mitglieder oder Sympathisanten des ANC wurden auf Schlüsselposten in Regierung und staatlichen Firmen wie dem Stromversorger Eskom und der Luftlinie South African Airways platziert. Um sich ungestraft an Steuergeldern bedienen zu können, wären beinahe sogar Institutionen wie die nationale Strafverfolgungsbehörde ausgehöhlt worden. Sie hat, seit Jacob Zuma und seine Kumpane abgesetzt sind, ihre Unabhängigkeit wieder geltend gemacht, doch einige ANC-Getreue haben immer noch Einfluss.
Nach dem Übergang zur Demokratie wurde schamlos Reichtum angehäuft, oft mit Geschäften, die Parteigenossen oder Teilen des ANC Vorteile brachten. Manche Gangster und Schläger aus dem ANC sind weiter in Einschüchterungsmanöver und Diebstahl verwickelt, besonders dreist in Kleinstädten, die nicht im Fokus der Medien stehen. Sie kommen oft aus der Taxibranche. Das ist ein riesiges, unkontrolliertes Geschäft, das auf Bargeld beruht und kaum besteuert wird – ein idealer Bereich für Drogen- und Waffenhandel sowie Auftragsmörder. Taxiunternehmen heuern Schläger an, um „ihre“ Gebiete zu schützen. Teilweise werden dieselben Schläger eingesetzt, um Konkurrenz zu beseitigen, und manche arbeiten in der privaten Sicherheitsbranche, die größer ist als die Polizei.
Mord ist der schlimmste Ausdruck dieser Kultur. Ich habe einen jungen Mann interviewt, dessen Vater 20 Jahre zuvor ein lokaler Kriegsfürst in einer Kleinstadt in KwaZulu-Natal gewesen war. Im Konflikt mit der IFP war er für den ANC nützlich gewesen. Als er sich jedoch Jahre später gegen seine ANC-Führung wandte, wurde er eines Morgens vor dem örtlichen Supermarkt von Parteianhängern erschossen. Die Täter wurden gefasst und verurteilt, bekamen aber nach Absitzen ihrer Strafe Stellen beim Staat, manche in der Stadt, in der sie den Mord begangen hatten. Und der Sohn des Toten, jetzt Mitte 20, trat in den ANC ein. Als er noch nicht der Partei angehörte, habe seine Familie in der vom ANC regierten Stadt ums Überleben gekämpft, erzählte mir seine Mutter.
Vor einigen Jahren begannen die Mordanschläge wie in KwaZulu-Natal auch in anderen Provinzen. Die Gewalt nahm weitgehend parallel mit dem Aufstieg von Jacob Zuma zu, und es ist keine Frage, dass sein Führungsstil eine Kultur der Einschüchterung, Prunksucht und Gier beförderte. Aber es ist inzwischen üblich, die schamlose Korruption an diesem einen Mann und seinen Kumpanen festzumachen.
Eine weitere bequeme Verallgemeinerung lautet, der ANC sei nicht mehr zu retten. Aber ANC-Mitglieder standen im Kampf gegen ihre skrupellosen Genossen an der Spitze. Heute, rund zwei Jahre nach Cyril Ramaphosas Amtsantritt, sieht man erste Ergebnisse von Ermittlungen und Untersuchungsausschüssen wegen Korruption. Bestechliche Personen wurden entlassen, der Korruption Verdächtige verhaftet und die Leitung von Staatsfirmen werden umstrukturiert, um mehr Rechenschaft zu sichern.Doch wenn sich die Schlinge zuzieht, fallen Zeugen oder Whisteblower immer wieder Mordanschlägen zum Opfer.
Fähige Menschen, die hartnäckig sind
Der Polizeiminister Bheki Cele spricht die Probleme offen an. Auf die Frage nach der Korruption im ANC und ihrer Auswirkung auf die Gesellschaft hat er eingeräumt, seine Partei habe die nötige Führungsstärke vermissen lassen. Seine Offenheit deutet auf einen Richtungswandel hin.
Noch vor ein paar Jahren schienen nur wenige gegen Korruption aufzutreten – etwa ein einzelner Polizist in einer Kleinstadt, der sich dem Bürgermeister entgegenstellte. Inzwischen sind das keine einsamen Rufer in der Wüste mehr. Jetzt kommen fähige Menschen zusammen, die hartnäckig sind und sich nicht einschüchtern lassen.
So ist die politisch motivierte Gewalt zurückgegangen. Die Gangster sind nicht verschwunden, aber vielleicht etwas vorsichtiger geworden. Doch die Gewalt flammt nach wie vor auf. Laut Polizeiminister Cele untersuchten seine Ermittler im Mai und Juni dieses Jahres acht möglicherweise politisch motivierte Morde in KwaZulu-Natal. Auch im Taxigewerbe geht die Gewalt weiter, wobei nicht alle Morde einen politischen Hintergrund haben.
Sorge macht vielen, dass die Gewalt, die wir in KwaZulu-Natal erlebt haben, der Unterwelt in die Hände spielt. Im Vorwort zu meinem Buch schreibt mein Kollege Sam Sole, dass überall eine Unterwelt existiere, die in manchen Ländern „gelegentlich an die Oberfläche durchbricht“. In gescheiterten Staaten, in Mafiastaaten, verschlinge sie aber die Gesellschaft und lasse Zerrbilder und tote Hüllen von Polizei, Justiz und Demokratie zurück.
Südafrika scheint auf der Kippe zu stehen. Maßgebliche Institutionen müssen erneuert werden. Manche betrachten die Schritte zur Stärkung der Ermittlungs- und Strafverfolgungskapazität als Zeichen, dass der ANC es mit der Korruptionsbekämpfung nun ernst meint. Andere finden, das sei zu wenig und zu spät. Ohne mehr saubere Politiker würden rivalisierende Mafiagruppen das Land ausweiden.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.
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