Auch wenn sie politisch häufig so begründet wird: Entwicklungshilfe kann kaum dazu beitragen, den Migrationsdruck aus armen Ländern zu mindern. Im Gegenteil: Wirtschaftliche Entwicklung führt dazu, dass mehr Menschen auswandern, bis das Herkunftsland ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht hat. Auf diesen sogenannten Migration hump haben Fachleute in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen. Zwei Studien der US-Denkfabrik Center for Global Development stellen die Theorie nun auf eine empirische Grundlage.
Für eine der Studien hat Michael Clemens Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zur Auswanderung aus armen Ländern zwischen den Jahren 1960 und 2019 ausgewertet. Sie zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Migrationsrate. Diese steigt demnach bis zu einem durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von rund 10.000 Dollar (in Kaufkraftparitäten) und geht danach wieder allmählich zurück. Das heißt: Wenn die Armut sinkt, wandern zunächst eher mehr Menschen aus.
Das Muster lasse sich sowohl in kleinen wie großen Herkunftsländern beobachten und gelte für die Migration in reiche Industriestaaten sowie in Länder mit mittlerem Einkommen, heißt es in der Studie. Historische Daten für die Zeit zwischen 1850 und 1914 bestätigten das Muster: So habe der Wirtschaftsaufschwung in Italien, Schweden oder Ungarn im 19. Jahrhundert zwischenzeitlich für eine steigende Zahl an Auswanderern gesorgt, die mit zunehmendem Wohlstand wieder zurückging.
Besser gebildet und wohlhabender
Auswanderung sei grundsätzlich als vorübergehende Begleiterscheinung von wirtschaftlicher Entwicklung anzusehen, schreibt Clemens. Sinkende Transportkosten, bessere Bildung sowie demographische Faktoren begünstigten sie. Ein umgekehrter Effekt, also dass Migranten etwa durch Rücküberweisungen zum wirtschaftlichen Aufschwung der Herkunftsländer beitragen, sei aus den Daten nicht abzulesen.
Was Menschen zur Migration bewegt und welche Bevölkerungsgruppen vor allem auswandern, hat Michael Clemens zusammen mit der italienischen Ökonomin Mariapia Mendola anhand von Umfragen unter Auswanderungswilligen in knapp hundert Ländern untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es selten die Ärmsten sind, die diesen Schritt machen. Das Einkommen derjenigen, die angeben, auswandern zu wollen, liegt 30 Prozent über dem Landesdurchschnitt, das Bildungsniveau um 14 Prozent. Die naheliegende Erklärung dafür: Wer mehr Geld hat und besser gebildet ist, dem fällt es leichter, die Risiken einer Auswanderung auf sich zu nehmen.
Die meisten Befragten nehmen Migration als Chance und Investition wahr. Solange Arbeit und Wohlstand eher im Ausland als zuhause winken, zieht es Menschen dorthin. Das könnte auch eine Erkenntnis der beiden aufschlussreichen Studien für die Entwicklungspolitik sein: Migration ist kein Übel, dass es zu verhindern gilt, sondern lediglich Ergebnis einer allzu ungerechten internationalen Wohlstandsverteilung.
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