Düsseldorf/Göttingen (epd). Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland und Menschenrechtler fordern von der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Regierung mehr Unterstützung für die Jesiden. Um Frieden zu schaffen, brauche es den Wiederaufbau der Sindschar-Region, die Rückkehr der Flüchtlinge, die juristische Aufarbeitung des Genozids, Sicherheit und die Partizipation der Jesiden am politischen Leben im Irak, sagte der Zentralratsvorsitzende Irfan Ortac laut Redetext am Sonntag in Düsseldorf bei der bundesweiten Gedenkveranstaltung zum Genozid an den Jesiden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen rief die Bundesregierung auf, sich mehr für die Jesiden einzusetzen.
Um den 3. August 2014 hatte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) die Sindschar-Region im Nordirak und damit die Glaubensgemeinschaft der Jesiden überfallen. Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 5.000 jesidische Männer getötet und Tausende Frauen und Kinder verschleppt, viele flohen. Vor dem IS-Überfall hatten etwa 600.000 Jesiden in der Sindschar-Region gelebt, nach der Vertreibung der Dschihadisten nur noch rund 40.000.
"Die internationale Gemeinschaft, allen voran mein Heimatland Deutschland, hält sich mit dem Wiederaufbau der Region zurück", kritisierte der Zentralratsvorsitzende. Zwar gebe es Gelder für den Wiederaufbau, aber nicht für die Sindschar-Region, da "selbsternannte Experten der Bundesregierung" gemeint hätten, kein Jeside würde in seine Heimat zurückkehren wollen. Doch seit Mai seien mehr als 2.100 Familien trotz Behinderung durch die kurdische Verwaltung und nicht vorhandener Unterstützung der irakischen Regierung und der Weltgemeinschaft zurückgekommen.
"Aus aller Welt, auch aus Deutschland, waren Menschen an diesem Genozid beteiligt", sagte Ortac. Bis heute habe kein Staat systematisch die Mörder angeklagt. "Wir wissen noch nicht einmal, wo die Massengräber sind", beklagte er.
Eine weitere Bürde für die Gemeinschaft ist laut Lina Stotz von der Gesellschaft für bedrohte Völker, dass sich viele Frauen und Kinder noch immer in IS-Gefangenschaft befinden. "Fast 3.000 Jesidinnen sind noch in der Gewalt ihrer Entführer", erklärte sie. Hinzu kämen wohl Hunderte Kinder, die in Vergewaltigung gezeugt worden seien. "Diese Frauen und Kinder brauchen dringend Hilfe", betonte Stotz. Sie müssten in Sicherheit gebracht und humanitär sowie psychologisch versorgt werden. Auch hier sei die internationale Gemeinschaft in der Pflicht.
Zudem müsse die Bundesregierung Bombenangriffe der Türkei auf die Heimat der Jesiden verurteilen, erklärte Stotz. Dem stimmte auch die Linken-Politikerin Helin Evrim Sommer zu. "Die Bundesregierung darf nicht weiter den unbeteiligten Statisten spielen, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seinen neo-osmanischen Expansionsplänen im Nordirak einen Flächenbrand anzettelt und religiöse und ethnische Minderheiten wie die Jesiden terrorisiert", erklärte die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.
Auf Ebene der Europäischen Union müsse die Bundesregierung sich für ein Waffenembargo gegen die Türkei einsetzen, sagte Sommer. Zudem müssten die Nato-Staaten Erdogan zur Aufgabe seiner Expansionspolitik drängen. "Nur so können die Jesiden wieder zurückkehren", betonte sie.
Jesiden zählen sich mehrheitlich zur Volksgruppe der Kurden. Sie sind aber keine Muslime, sondern bilden eine eigene Religionsgemeinschaft. Weltweit bekennen sich mindestens 800.000 Menschen zum jesidischen Glauben. Die Heimat der meisten Jesiden ist der Nordirak. Ihr Stammland ist die Sindschar-Region am gleichnamigen Gebirge. Schätzungen zufolge leben mehr als 200.000 Jesiden in Deutschland - es ist die größte Gemeinde außerhalb des Iraks. Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen.
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