Armee auf den Straßen: Präsident Bukele lässt die Ausgangssperre mit Soldaten überwachen, hier Mitte April in La Libertad.
Eine Twitter-Botschaft von Präsident Nayib Bukele sorgte vergangenen Donnerstag für große Aufregung im Parlament von El Salvador. Minuten vor der Abstimmung gegen mehrere präsidiale Vetos erschien ein Tweet des Präsidenten auf den Handys der Abgeordneten: Sein Berater-Team habe einen Covid-19 Verdachtsfall unter den Parlamentariern ausgemacht. Es wäre besser, die Plenarsitzung zu beenden. Eine begründete Warnung oder nur ein Trick?
Diese Frage stellten sich auch die Abgeordneten, die gerade ein erstes Veto des Präsidenten überstimmt hatten. Danach wurde die Plenarsitzung abgebrochen. „Zu Unrecht“, sagt Saúl Baños, Direktor der Menschenrechtsorganisation Fespad. „Es gibt keinen bestätigten Verdachtsfall und alle Indizien sprechen dafür, dass es eine miese politische Finte des Präsidenten war.“
Mit dieser Einschätzung ist Baños nicht allein. Immer wenn sich Präsident Bukele in Bedrängnis sehe, reagiere er autoritär, kritisierte der Jurist Arnau Baulenas von der von Jesuiten gegründeten zentralamerikanischen Universität (UCA) gegenüber der Tageszeitung „El Diario de Hoy“. Noch weiter geht der Direktor der Stiftung für ökonomische und soziale Entwicklung (Fusades), Javier Castro. Für ihn war das Vorgehen des Präsidenten ein „Attentat auf die Verfassungsordnung“.
Übergriffe und Festnahmen durch Sicherheitskräfte
Es war nicht der erste Vorfall dieser Art in der Corona-Krise: Bereits Mitte April hat sich Bukele auf Twitter, seinem bevorzugten Medium, über ein Urteil des Verfassungsgerichts hinweggesetzt. Das Gericht hatte zuvor nach Klagen von Menschenrechtsorganisationen Einschränkungen von Grundrechten durch das Dekret No. 19 korrigiert. Das drakonische Gesetz, das am 13. April in Kraft trat, erlaubt staatlichen Behörden, Wohnungen und Geschäfte auf der Suche nach an Covid-19 Erkrankten zu inspizieren. Außerdem können dem Gesetz zufolge Verstöße gegen die Quarantäne mit der Festnahme und der Einweisung für 30 Tage in staatliche Einrichtungen, sogenannte Eindämmungszentren, geahndet werden.
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„Eine medial inszenierte One-Man-Show“
Bukele schert das Urteil offenbar wenig. „Kein Recht steht über dem Verfassungsrecht auf Leben und Gesundheit des salvadorianischen Volkes“, twitterte der Präsident am 16. April und kündigte an, dass die Regierung das Dekret No. 19 weiterhin zu 100 Prozent durchsetzen werde.
Saúl Baños sieht darin einen Verfassungsbruch. „Bukele hat seine Macht in der Corona-Krise stark ausgebaut. Eigentlich zuständige Ministerien wie das Gesundheitsministerium spielen kaum eine Rolle. Es gibt keinen funktionierenden Expertenstab, sondern eine medial inszenierte One-Man-Show“, kritisiert Baños.
Allerdings kann der Präsident, , der seit Juni 2019 als erster Präsident der Mitte-Rechts-Partei Große Allianz für die nationale Einheit (Gana) regiert, auf Erfolge in der Krise verweisen. Seine Regierung hat als erste in Mittelamerika mit rigorosen Maßnahmen auf die drohende Ausbreitung des Coronavirus reagiert, noch bevor es einen einzigen Todesfall gab. Am 11. März ordnete Bukele die Schließung der Grenzen für ausländische Besucher an, rief den Ausnahmezustand aus, ließ die Schulen schließen und appellierte an seine Amtskollegen in der Region, die Initiative zu ergreifen und nicht abzuwarten.
Einsparungen im Gesundheitssystem
Dass er die Maßnahmen durch soziale Hilfsmaßnahmen für rund 70 Prozent der Bevölkerung abfederte, hat dem 38-jährigen Präsidenten international Lob eingebracht – genauso wie die bis dato niedrigen Infektionszahlen. 298 an Covid-19 Erkrankte und acht Tote wurden bis zum 26. April registriert. Das ist etwas weniger als in den bevölkerungsreicheren Nachbarländern Honduras und Guatemala. „Dort wurden jedoch keine Grundrechte verletzt“, sagt Baños. Auch Menschenrechtsorganisation wie Human Rights Watch und die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet haben an Bukele appelliert, willkürliche Festnahmen und Gewaltanwendung zu unterbinden. Ohne Erfolg.
Das rigorose Vorgehen des Präsidenten habe eine Vorgeschichte, meint die Gesundheitsexpertin Rine Abrego: „Unser Gesundheitssystem steht einer Pandemie nahezu hilflos gegenüber. In El Salvador gibt es weniger als 100 Intensivmediziner. Betten mit Beatmungsgeräten sind Mangelware. Und dafür ist Bukele mitverantwortlich“, sagt Abrego, die bei der Nichtregierungsorganisation Aprocsal tätig ist. Bukele habe nach seinem Amtsantritt im Juni 2019 Ausgaben für das Gesundheitssystem gekürzt. Vor allem außerhalb der großen Städte sei die Gesundheitsversorgung schlecht, sagt Abrego. Dieser strukturellen Defizite hätten die Regierung zum schnellen Krisenmanagement gezwungen.
Soldaten im Parlament
Dabei habe die Regierung Fehler gemacht, kritisiert Abrego. „Einige Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen haben sich infiziert und wurden in Quarantäne geschickt, weil es zu wenig Masken, Kittel und Handschuhe gibt“. Der Mangel sei Folge der Sparmaßnahmen sowie fehlender Sicherheitskonzepte in den Kliniken, sagt Abrego: „In El Salvador werden anders als in Costa Rica oder Guatemala die Spezialisten kaum gehört. Wir haben einen Präsidenten, der sich nicht beraten lässt, sich inszeniert und auf die Militarisierung des Landes setzt. Das ist die bittere Realität.“
Auch Baños sieht Bukeles Nähe zu den Militärs kritisch. „Am 9. Februar 2020 hat er Soldaten im Parlament aufmarschieren lassen, um einen Rüstungskredit durchzudrücken. Das war ein erstes Signal, dass Bukele es mit den demokratischen Grundsätzen nicht so genau nimmt. Derzeit erleben wir die Fortsetzung“, sagt Baños. Sorgen macht ihm, dass der Präsident trotz seines Vorgehens überaus beliebt ist. Dass Bukele, der gute Kontakte zu US-Präsident Donald Trump pflegt, in der Coronakrise immer autoritärer agiert, ist in El Salvadors Gesellschaft kaum Thema. Da dreht sich fast alles um das Virus und das tagtägliche Überleben.
Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier.
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